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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 42)

 
Das Glasfenster ist ein starres Gebilde in seiner materiel- 
len Existenz, aber seinem inneren Wesen nach ist es 
voll von Dynamik. Seine Erscheinung wechselt im Ab- 
lauf der Zeit und auch sein Inhalt offenbart sich nicht 
auf einmal, sondern in einem längeren Prozeß allmäh- 
licher Klärung und Offenbarung. Damit ist die Glas- 
malerei eng mit der Musik verwandt. Doch ist dies nicht 
der einzige Wesenszug, der sie der Musik an die Seite 
stellt. Enger noch ist die Beziehung zwischen den Wir- 
kungsmitteln der beiden Künste. Ton und Licht sind 
von den elementaren Sinneseindrücken wohl die mäch- 
tigsten, sie sprechen am unmittelbarsten zu unserer 
Seele, sie bewegen uns am tiefsten. Während aber der 
Ton in allen seinen vielfältigen Abwandlungen unseren 
Alltag füllt, spielt farbiges Licht - so grundversehie- 
den von den Körperfarben unserer Umwelt - in die- 
sem eine nur geringe Rolle. Nur das Firmament be- 
schenkt uns mit leuchtendem Blau und mit der Glut der 
aufsteigenden oder sinkenden Sonne. Farbiges Licht be- 
deutet uns daher etwas Ungewöhnliches, Feiertägliches, 
eine Ahnung jenseitiger Welten, und es ist darum be- 
greiflich, daß die Glasmalerei ihren Ursprung und ihre 
höchste Entfaltung im Bereich des Sakralen fand und 
im Bereich des Profanen nie recht heimisch wurde. Eine 
Musik der Töne, die der Unterhaltung dient, ist mög- 
lich und daher in breitem Maß vorhanden, eine Licht- 
musik, wie sie die Glasmalerei darstellt, auf das 
Gebiet der Unterhaltung ausgedehnt, ist kaum vorstell- 
bar. Der Klang ist irdisch, ist schwingende Materie; 
wo sie fehlt, im leeren Raum, herrscht Schweigen. Aber 
noch die tiefsten Tiefen des Alls durchzittert die ge- 
heimnisvolle, schwerelose Schwingung des Lichtes. 
Albert Birkle wurde als Sohn schwäbischer Eltern am 
21. April 1900 in Berlin geboren und die Atmosphäre 
dieser Stadt mit der Sattheit und dem trügerischen Glanz 
des wilhelminischen Deutschland bildete das Milieu 
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seiner Kindheit. Aber das Grauen des Ersten Weltkrie- 
ges, das der junge Mann zutiefst erlebte und erlitt, 
wandelte ihn und weckte das ethische Verantwor- 
tungsbewußtsein, das den tiefsten Kern seines Wesens 
bildet. Von 1919 bis 1926 lernt der junge Künstler an 
der Berliner Akademie bei Professor Arthur Kampf und 
schon 1923 nimmt ihn Lovis Corinth in die Berliner 
Sezession auf. 1926 erhält er eine Berufung als Lehrer 
an die Akademie in Königsberg, aber große Aufträge 
für Kirchenausmalungen in Württemberg zwingen ihn, 
das Lehramt abzulehnen. 1933 schafft Albert Birkle 
sein erstes Glasgemälde, das riesige Fenster in der 
Kirche von "Herrenberg bei Stuttgart. Bis er das zweite 
Werk dieser Gattung gestaltete, sollten vierzehn Jahre 
vergehen! Sie waren angefüllt mit Arbeit und Erfolg, 
mit Enttäuschung und Verfemung, mit dem Erlangen 
einer neuen Heimat in Salzburg, mit Reisen und schließ- 
lich mit den Schrecken, Leiden und Verlusten eines 
neuen Krieges, den der Künstler wieder als Soldat 
durchstehen mußte. 1927 begann in Berlin die lange 
Reihe von Kollektivausstellungen. 1937 ließ Hitler die 
Bilder Birkles aus dem „Haus der Kunst" in München 
entfernen, 1938 wurde der Künstler in der Ausstellung 
„Entartete Kunst" angeprangert. Sein Freund und 
Gönner, Dr. Max Ncumann, ermöglicht ihm 1933 den 
Bau eines eigenen Hauses in Salzburg, indem er Bilder 
von ihm in Zahlung nimmt. Der Künstler genießt nicht 
nur das Glück der Abgeschiedenheit, er benutzt die 
neue Freiheit zu Reisen im Norden und Süden Europas, 
aber auch in Polen, Schlesien, Ungarn und jugoslawien 
und gewinnt aus der Landschaft, ebenso wie aus den 
sozialen Verhältnissen, die er antrifft, reiche Anregun- 
gen für sein Schaffen. Doch bald senken sich wieder 
die Schatten. Schon die Besetzung Österreichs betrach- 
tet Birkle als den Anfang des Krieges, dessen furchtbures 
Ende er trotz aller Siegcsmeldungen klar Voraussicht.
	        
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