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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 44)

 
Historie und Leben, Geist und Natur, Männliches und 
Wcibliches - das sind die Vorstellungsräume, aus denen 
die Kunst des 19. jahrhunderts ihre Impulse empfängt. 
Immer wieder steht sie vor einer Wegscheide, an der 
sich Instinkt und lnmittelbarkeit von Reflexion und 
Gelehrsamkeit trennen. Wlenn das llist0r' ehe und das 
Lnhistorisehe, nach einem Wort Nietzs ie, gleicher- 
maßen für die Gesundheit einer Kultur nötig sind, so 
mufl dieser Gedanke, auf die Kunst des 19. Jahrhunderts 
abgewandelt, lauten: ohne die Doppelstimmc von llisto- 
ric und Leben, ohne die Zwiesprztche des geschichtlichen 
Bewußtseins mit den Natur- und Lebensmächten wiire 
dieses Jahrhundert zwar leichter zu überschauen, aber 
innerlich ärmer und einförmiger. Um cs zu verstehen, 
mull man beide Wirkungskriifte im Auge lmhen. Das 
bedeutet freilich nicht, daß beide Partner stets in glei- 
chem Umfang den schöpferischen Kräftehaushalt be- 
 
streiten. Die Rollen sind ungleich verteilt, das SCltWkTe 
gewicht des Vorstellungsvermögens liegt anfänglich beim 
historisch-männlichen Welterlebnis, allmählich tibertrii 
es sich jedoch vom gliedernden Verstand auf die um- 
fassenderen, offenen Horizonte des unmittelbaren llr- 
lcbens und der zeitlosen, ewig strömenden Natur fte, 
in denen der Mensch ein mächtigeres Lehensgleichnis 
als in den Kategorien des Historischen vermutet. 'l'ritnm, 
Trieb und Offenbarung nehmen den Künstler zu sich. 
Die männliche Welt ist geplant und geordnet, sie setzt 
sich aus Institutinnen zusammen, sie besitzt raumgrei- 
fendc Erstreckttngen: ihr Schöpfer greift expansiv ins 
Unendliche. Kiewrkegaard hat das sehr schön beschrieben: 
„Als der Mann geschaffen war, da stand er da als der 
Herr und l' st der ganzen Natur; Pracht und (ilanz der 
Erde, der ganze Reichtum der Endlichkeit wartete ltloli 
auf seinen Wink - aber er verstand nicht, was er aus 
 
 
 
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