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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 45)

Die veränderliche Sehweise vor cler landschali 
KRIST 
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Die Malerei ist jcnc Ausdrucksform, 
in der jedc neue Art, die Welt zu 
begrcifen und in einen höheren Zu- 
sammenhang zu bringen, die Summe 
veränderter soziologischer, ge- 
schichtlicher und naturwissen- 
schaftlicher Voraussetzungen zu 
- seit der Entdeckung des Irdi- 
schen, des isolierbaren Ganzen, des 
Dings, der Umwelt, der Erde - 
wechselnde Betrachtungsweise der 
Landschaft, das Empfinden vor und 
das Entdecken neuer Teile in ihr 
durch den Künstler beeinflußt oder 
terlandschaften von Jakob Ruysdael, 
den Sonnenuntergang Altdorfers. 
Würden wir diese Landschaften so 
sehen, würden wir sie vor der Natur 
wiedererkennen, wären sie nicht zu 
irgend einem Zeitpunkt gemalt 
worden? Und ist es nicht auch ly- 
 
ziehen, ihre früheste Ausprägung 
zu finden pflegt. Der Maler schafft 
mehr noch als der Dichter aus sei- 
ner Zeit heraus, der er mit allen 
Fasern seines Seins verhaftet ist. 
„Ich urteile", sagt Leornardo da 
Vinci, „die Malerei sei über der 
Poesie, denn die Malerei stellt die 
Werke der Natur mit mehr Wahr- 
heit dar als die Dichter." Gelegent- 
lich begegnet man der Behauptung, 
ein Künstler sei seiner Zeit voraus, 
was aber nicht richtig ist: vielmehr 
hinken ihr seine Zeitgenossen nach; 
sie lernen erst später, und nicht zu- 
letzt durch ihn, so zu sehen, wie er 
es tat. „Es ist paradox", sagt Oscar 
Wilde, „aber darum nicht minder 
wahr, daß das Leben die Kunst weit 
mehr nachahmt als die Kunst das 
Leben." Ilier soll angedeutet wer- 
den, wie die in allen Jahrhunderten 
doch zuerst von ihm bezeugt wurde. 
Wie und wann ein Landschaftsaus- 
schnitt und in welchem Natura 
Zusammenhang er gesehen wird, 
welche Bedeutung und welchen 
Stimmungsgehalt der Maler diesem 
Teil eines Weltausschnitts unter- 
legt, ist mit der sich fortlaufend 
rationaler und realistischer ent- 
wickelnden Geistesgeschichte vom 
Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert 
eng verknüpft und von ihr abhän- 
gig. Aber es ist noch heute möglich, 
eineBrueghel-oderTurnerlandschaft 
zu sehen, lang, nachdem sie gemalt 
worden ist. Wir sehen perlmutter- 
iarbene Marquets, kalte, unermeß- 
liche, die Unendlichkeit mit einbe- 
ziehende Caspar David Friedrichs. 
einen tiefblauen, bewegten Sommer- 
himmcl mit den schönen, weißen, 
wandernden Wolken Sisleys, Win- 
pisch für unsere Zeit, die keine 
wirkliche, in der Natur wiederzu- 
entdeckende gemalte Landschaft 
mehr kennt, außer der transzen- 
dierten „abstrakten" Allandschaft, 
daß wir uns im Beschreiben von 
Nnturbildern und -eindrücken auf 
Zeugnisse vergangener Jahrhun- 
derte stützen, uns ihrer Bilder er- 
innern? Auch der Künstler kann 
sich vom Gesehenen, Vorgebildetcn 
nicht freimachen, seine Sehweise 
wird von Anfang an durch Bilder 
von Malern, die ihm vorausgingen, 
bestimmt. Sehen, sagt Mnlraux, 
bedeutet für uns heute: sich etwas 
in der Form eines Kunstwerks vor- 
stellen. Die Form des Wirklichen 
verbindet sich mit einer bereits vor- 
geprägten. 
Zunächst begegnet uns die Land- 
schaft nach den pompejnnischen
	        
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