2.3
das Wandrelief für das Bouwcen-
trum in Rotterdam (1955) und die
monumentale „Liegende Figur" für
das UNESCO-Gebäude in Paris
(19S8),sowiemehrere Ausstellungen
seiner Werke im Ausland. Nicht
alle Künstler haben es vermocht,
sich angesichts solcher Erfolge _
abgesehen von einem wachsenden
Selbstvertrauen - zu noch höherer
Vollkommenheit zu entwickeln.
Moore aber ist in dieser Dekade
ganz offenbar weiter gewachsen -
sowohl in technischer Meisterschaft
wie in emotionaler Tiefe. Beim Be-
treten der aus einem einzigen geräu-
migen Saal bestehenden Whitechapel
Gallery war man zunächst schon
allein von der Größe der wichtigen
Ausstellungsstücke überwältigt: dem
fast Sllgm hohen „Glenkiln-Kreuz"
mit den zwei kaum weniger hoch-
aufragenden flankierenden Säulen,
den wuchtigen Gestalten der „Sit-
zenden" und der „Liegenden" mit
ihren schrägen Falten von dicht um
diemassigen Körperformen drapier-
ten Gewändern und den beiden erst
vor kurzem geschaffenen „Zweiteili-
gen liegenden Figuren", die schon
rein äußerlichmächtig genugsind, in
der Phantasie aber eine geradezu
gewaltige Vorstellung von ver-
witterten Landmassen oder vom
Meer zerklüfteter Klippen auslö-
scn. Nicht geringer als die Größe
all dieser monumentalen Figuren
ist ihre Macht, den Beschauer zu
erschüttern, zu erschrecken oder zu
erheben. Wo sie abstrakt sind, be-
unruhigen sie tiefer, wo sie „na-
turalistisch" und „gegenständlich"
sind, wirken sie weit erhabener und
schrecklicher als alle seine früheren
Werke.
Dies hängt mit der vielleicht be-
deutendsten Entwicklung in Moores
Kunst während des letzten Jahr.-
zehnts zusammen: mit seiner er-
neuten Hinwendung zum Abstrak-
ten, nachdem sich etwa bis zum
Jahre 1955 eine Bewegung in der
entgegengesetzten Richtung abzu-
zeichnen schien. Nach dem Zwei-
ten Weltkrieg konnte man immer
stärker hervortretende menschliche
Züge an seinen so charakteristisch
unheimlichen und gewöhnlich kaum
als menschlich anzusehenden Figu-
ren erkennen. Er begann, Hände,
Arme und Füße naturalistischer zu
modellieren. Das psychologische
Element dieser neuen Figuren trat
gegenüber ihrer rein formalen Ge-
staltung in Holz, Stein oder Metall
weit stärker hervor. Es war die
Periode, die Moore seine „Mischung
verschiedener Stadien des Realis-
mus" nannte und in der er Figuren
schuf, bei denen er naturalistisch}
dargestellte Glieder mit abstrakt
geformten Köpfen und Rümpfen
verband, zum Beispiel die auf der
Ausstellung gezeigte Doppelstatuc
„König und Königin", den „Krieger
mit Schild" in Arnheim und den
später entstandenen „Fallenden
Krieger". Der hervorstechendste
Zug an diesen halbwirklichen We-
sen mit ihrem - wenn man sie als
Skulpturen betrachtet - seltsam
rührend und linkisch wirkenden
Mangel an organischer Einheit ist
ihr ergreifendes Pathos.
Leidenschaftliches Pathos aber läßt
sich schlecht mit dem Monumenta-
lcn vereinbaren. Der „Fallende
Krieger", der das Pathetische so
besonders stark zum Ausdruck
bringt, ist nur knapp lebensgroß;
viel größer und massiger sind da-
gegen die beiden bisher letzten
„naturalistischen" Figuren, die
Moore geschaffen hat: die in Ge-
wänder gehüllten Frauengestalten
der „Sitzenden" und der „Liegen-
den". Mögen sie auch eine erhabene
Ruhe und eine gewisse einsame
Größe ausstrahlen, so sind sie doch
zu wuchtig, um das ästhetische Ge-
Xi x
2 Die wuchtige Figur der „Licgcnden"
mit dem in schrägen Fallen eng um die
mnssigcn Körperformen drapiertcn Ge-
wand gehört zu den bisher letzten „na-
turallstischcn" Schöpfungen Moores.
3 Das Gewaltige und Monumenlale wird
an dieser Detailaufnahme derselben Fi-
gur noch deutlicher.
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