von selber ohne Regulirung; von seiten des Kopfes zu
laufen schien, glich dem geschwinden Tröpfeln
des Wassers etwa aus einer Rinne bei starkem
Regen, und das stille Mädchen war nicht nur
weiss wie eine Schneeflocke, sondern hatte auch
etwas an sich, als könnte sie jeden Augenblick
schmelzen und verschwinden. Man rief sie also
Tröpfchen und Schneeflocke oder Vikus und
Vika, da die feierlichen Namen Ludovikus und
Ludovika, auf die sie getauft waren, augen
scheinlich nicht für sie passten. Sie waren fast
jedermann bekannt und doch ganz ohne Freunde,
nicht weil sie unbeliebt gewesen wären, vielmehr
weil die Natur sie so neben einander gestellt hatte,
kam es ihnen nie in den Sinn einen anderen
Umgang zu suchen. Aber obwohl sie sich sehr lieb
hatten, ja nicht ohne einander bestehen konnten,
fühlten sie sich doch nicht befriedigt und ausge
füllt in ihrer Liebe, im Gegentheil als die Kunde
vom Weltuntergänge kam, fiel es ihnen plötzlich
ein, in was für einer fürchterlichen Einsamkeit
sie bisher gelebt hatten, nämlich nur mit einander,
die sich doch innerlich so ähnlich waren wie
äusserlich. Die Nachricht, dass es bald für immer
vorbei sein würde, schreckte sie wie mit Posaunen-
stössen aus ihrem Halbschlummer, und sie wussten
in ihrer Angst und Ungeduld gar nicht was sie
thun sollten, um das Leben in die Hände zu be
kommen. Sie waren bereit alles zu thun was sie
nur fühlen machte, dass sie lebten. Als die
Weltkinder begriffen hatten, um was es sich
handelte, schien ihnen das ein Hauptspass zu
sein; sie empfingen die Zwillinge voll Zärtlich
keit, die Frauen bemächtigten sich des Tröpf
chens und die Männer der Schneeflocke, denn
zunächst, sagten sie, müssten sie die Liebe kennen
lernen, dann würde das Leben sich von selber
aufthun. Es zeigte sich aber, dass dem Vikus
die Liebe nicht beizubringen war, weil er es
durchaus nicht ernst damit nehmen konnte, was
denn doch das betreffende Mädchen, wenigstens
auf Augenblicke, verlangte. Während der zärt
lichsten Wechselreden und Liebkosungen dachte
er an hundert andere Dinge, namentlich aber
mit welchen Worten er seiner Schwester das ge
habte Abenteuer wiedererzählen würde, wovon
eine grosse Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit
die Folge war, die die Geliebte beleidigte. Schliess
lich gab er es ganz auf und hielt sich zu den
jungen Männern, die er, namentlich wenn sie
gross, stark und etwas roh waren, nicht wenig
bewunderte, würfelte und zechte mit ihnen, ohne
übrigens ein anderes Interesse dabei zu haben als
das des munteren Aeffchens, das die Hantirungen
der Menschen nachmacht. Unterdessen wehte
Vika leicht und geräuschlos aus einem Arm in
den andern, indem sie jedesmal dachte, der Kuss
des neuen Geliebten würde ihr die Lebenswonne
bringen, nach der sie sich sehnte. Da ihre Seele
eigentlich gar nicht dabei war, wenn sie sich küssen
liess — denn sie horchte und wartete immer auf
das Wundervolle, was sich nun ereignen würde
— fühlte sie sich nicht gerade entwürdigt durch
den häufigen Wechsel, nur dass sie, da ihr Herz
trotz allem von dem heimlichen Schauder, dem
Frühlingsbeben und Blüthenschwellen nichts ver
spürte, immer trauriger wurde und am liebsten
ihren Bruder aufsuchte, um unter dem harmlosen
Geplauder, das von seinen Lippen plätscherte, vor
sich hin zu träumen.
Während dieser Zeit arbeitete der Bildgiesser,
Herr Brausewein, fleissig an dem goldnen Kalbe,
das er in all seiner gottlosen Pracht und Schönheit
darzustellen versprochen hatte. Dieser Mann ge
noss allgemeines Vertrauen, welches auch seine
feste, knorrige Gestalt, sein breites Gesicht mit
der stattlichen Nase und den kleinen blinkenden
Augen herausforderte; dazu war er als uneigen
nützig bekannt, denn er hatte sich stets mit ge
ringem Lohne für die zahlreichen Brunnenfiguren
und Kirchenornamente, die er der Stadt geliefert
hatte, begnügt und das goldene Kalb vollends
ganz ohne Entgelt zu bilden unternommen. Nach
dem das Vieh fertig war, wurde nach kurzen
Berathungen beschlossen, es in dem Park aufzu
stellen, wo die Weltkinder ihre Orgien zu feiern