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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 48)

von selber ohne Regulirung; von seiten des Kopfes zu 
laufen schien, glich dem geschwinden Tröpfeln 
des Wassers etwa aus einer Rinne bei starkem 
Regen, und das stille Mädchen war nicht nur 
weiss wie eine Schneeflocke, sondern hatte auch 
etwas an sich, als könnte sie jeden Augenblick 
schmelzen und verschwinden. Man rief sie also 
Tröpfchen und Schneeflocke oder Vikus und 
Vika, da die feierlichen Namen Ludovikus und 
Ludovika, auf die sie getauft waren, augen 
scheinlich nicht für sie passten. Sie waren fast 
jedermann bekannt und doch ganz ohne Freunde, 
nicht weil sie unbeliebt gewesen wären, vielmehr 
weil die Natur sie so neben einander gestellt hatte, 
kam es ihnen nie in den Sinn einen anderen 
Umgang zu suchen. Aber obwohl sie sich sehr lieb 
hatten, ja nicht ohne einander bestehen konnten, 
fühlten sie sich doch nicht befriedigt und ausge 
füllt in ihrer Liebe, im Gegentheil als die Kunde 
vom Weltuntergänge kam, fiel es ihnen plötzlich 
ein, in was für einer fürchterlichen Einsamkeit 
sie bisher gelebt hatten, nämlich nur mit einander, 
die sich doch innerlich so ähnlich waren wie 
äusserlich. Die Nachricht, dass es bald für immer 
vorbei sein würde, schreckte sie wie mit Posaunen- 
stössen aus ihrem Halbschlummer, und sie wussten 
in ihrer Angst und Ungeduld gar nicht was sie 
thun sollten, um das Leben in die Hände zu be 
kommen. Sie waren bereit alles zu thun was sie 
nur fühlen machte, dass sie lebten. Als die 
Weltkinder begriffen hatten, um was es sich 
handelte, schien ihnen das ein Hauptspass zu 
sein; sie empfingen die Zwillinge voll Zärtlich 
keit, die Frauen bemächtigten sich des Tröpf 
chens und die Männer der Schneeflocke, denn 
zunächst, sagten sie, müssten sie die Liebe kennen 
lernen, dann würde das Leben sich von selber 
aufthun. Es zeigte sich aber, dass dem Vikus 
die Liebe nicht beizubringen war, weil er es 
durchaus nicht ernst damit nehmen konnte, was 
denn doch das betreffende Mädchen, wenigstens 
auf Augenblicke, verlangte. Während der zärt 
lichsten Wechselreden und Liebkosungen dachte 
er an hundert andere Dinge, namentlich aber 
mit welchen Worten er seiner Schwester das ge 
habte Abenteuer wiedererzählen würde, wovon 
eine grosse Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit 
die Folge war, die die Geliebte beleidigte. Schliess 
lich gab er es ganz auf und hielt sich zu den 
jungen Männern, die er, namentlich wenn sie 
gross, stark und etwas roh waren, nicht wenig 
bewunderte, würfelte und zechte mit ihnen, ohne 
übrigens ein anderes Interesse dabei zu haben als 
das des munteren Aeffchens, das die Hantirungen 
der Menschen nachmacht. Unterdessen wehte 
Vika leicht und geräuschlos aus einem Arm in 
den andern, indem sie jedesmal dachte, der Kuss 
des neuen Geliebten würde ihr die Lebenswonne 
bringen, nach der sie sich sehnte. Da ihre Seele 
eigentlich gar nicht dabei war, wenn sie sich küssen 
liess — denn sie horchte und wartete immer auf 
das Wundervolle, was sich nun ereignen würde 
— fühlte sie sich nicht gerade entwürdigt durch 
den häufigen Wechsel, nur dass sie, da ihr Herz 
trotz allem von dem heimlichen Schauder, dem 
Frühlingsbeben und Blüthenschwellen nichts ver 
spürte, immer trauriger wurde und am liebsten 
ihren Bruder aufsuchte, um unter dem harmlosen 
Geplauder, das von seinen Lippen plätscherte, vor 
sich hin zu träumen. 
Während dieser Zeit arbeitete der Bildgiesser, 
Herr Brausewein, fleissig an dem goldnen Kalbe, 
das er in all seiner gottlosen Pracht und Schönheit 
darzustellen versprochen hatte. Dieser Mann ge 
noss allgemeines Vertrauen, welches auch seine 
feste, knorrige Gestalt, sein breites Gesicht mit 
der stattlichen Nase und den kleinen blinkenden 
Augen herausforderte; dazu war er als uneigen 
nützig bekannt, denn er hatte sich stets mit ge 
ringem Lohne für die zahlreichen Brunnenfiguren 
und Kirchenornamente, die er der Stadt geliefert 
hatte, begnügt und das goldene Kalb vollends 
ganz ohne Entgelt zu bilden unternommen. Nach 
dem das Vieh fertig war, wurde nach kurzen 
Berathungen beschlossen, es in dem Park aufzu 
stellen, wo die Weltkinder ihre Orgien zu feiern
	        
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