DIE STIMME EINES
UNZEITGEMÄSSEN
haupt nicht gilt, aber die Verhal-
tensweise der Surrealisten aller
Grade ist doch die eines letztlich
eiskalten psychischen Unbeteiligt-
seins: Man analysiert zwar, man
BEMERKUNGEN ZUR KUNST VON ALFRED HRDLICKA
ERNST KOLLER
Zu den zahlreichen Tabus und „hei-
ßen Eisen" unseres an Konventiona-
lismus so reichen Zeitalters gesellt
sich das ungeschriebene Gesetz, den
Mensd-ten ja nicht kompromißlos und
ungeschminkt darzustellen; das
Niedrige, der Schweißgerueh, das Ba-
nale,Ungute,Durchschnitts-Schmut-
zige der „Leutc-"f gilt heute nicht
als geeignetes thematisehes Sub-
strat für die bildenden Künste: Ent-
weder abstrahiert man oder ist
gänzlich „informell", man setzt um,
bis alles zer-setzt ist, aber man
wagt es nicht mehr, den Dingen, ge-
schweige denn dem Menschen ins
Gesicht zu schauen. „Naturalismus?
ist auf allen Linien verpönt, auch
auf der seelischen. -
Eine andere Möglichkeit der Nega-
tion des „natürlichen Menschenbil-
des" ist die besonders in Wien und
auch in Belgien gepflegte 'l'ransp0-
nierung ins Surreale. llier ist der
Ausgangspunkt zwar der Gesamt-
komplex des 'l'riebhaften, man be-
kennt sich also gerade zu dem, was
in den mehr oder minder abstrakt-
informellen Stilrichtungen über-
legt bloß und demonstriert, ja man
weidet sich sogar mit - wenn auch
objektivierter und eingefrorener -
Freude an den offenbarten Mon-
slrositaten, aber letztlich schiebt
man doch den ganzen Komplex von
sich, schafft Distanzen, ja man fühlt
sich sogar über das, was man expli-
ziert, erhaben. Die lodernde Hyste-
rie des frühen Kokoschka, die Sin-
nenqualen Schieles, die sozialkriti-
schen Zynismen von Dix und Grosz
- wären sie heute denkbar und
möglich? Oder hätten etwa Künst-
ler wie Zille oder die Kollwitz Platz
innerhalb unserer geistigen Gren-
zen?
Das Entscheidende hinter diesen
Beobachtungen dürfte wohl sein,
daß auch die Künstler unserer Zeit
sich vor den Dingen, „wie sie sind",
einfach fürchten und herumdrüeken
Das ist wohl der Grund für den
wahrhaft schrecklichen Konformis-
mus unserer Tage, der auch im
Rahmen der bildenden Künste keine
großen Persönlichkeiten mehr dul-
det und jegliche Thematik so stark
ins Unverbindlich-Spekulative, ln-
tellektuell-Esoterische rückt, bis
zwangsläufig der Absturz in die völ-
lige Form- und Gestaltlosigkeit er-
folgt (Arnulf Rainer, Mikl etc.).
Während sich in diesem Sinn jahr
für Jahr Fluten „linientreuer" Schaf-
fensprodukte aus den Ateliers und
Galerien über die abgestumpfte
Menschheit ergießen und wohl noch
bis in eine noch ferne Zukunft er-
gießen werden, finden wir es an der
Zeit, auf einen jener ganz wenigen
Künstler hinzuweisen, die sieh we-
der um Modeströmungen scheren,
noch dem „Leben" als solchem aus-
weichen, sondern in ihren Medien
unbekümmert das gestalten, was sie
sehen und empfinden. Es handelt
sich um den 1928 in Wien gebore-
nen Maler und Bildhauer Alfred
llrdlicka, der zunächst den Beruf
eines Dentisten ergreifen wollte,
1945 aber seine Pläne über den
llaufen warf, an die Akademie der
laildenden Künste in Wien übersie-
delte (1946) und dort im Jahre 1953
bei Gütersloh und Dobrowsky das
Diplom für Malerei erwarb und
1957 bei Wotrubti seine Studien als
Bildhauer erfolgreich absehloß. Hrd-
lieka gehört nicht zu jenen, die in
den mehr oder mindcr offiziellen
läetrieb eingeschaltet sind, von
DIE STIMME EINES
UNZEITGEMÄSSEN
haupt nicht gilt, aber die Verhal-
tensweise der Surrealisten aller
Gradi- ist doch die cincs letztlich
eiskalten psychischen Unbclciligt-
scins: Man analysiert zwar, man
BEMERKUNGEN ZUR KUNST VON ALFRED HRDLICKA