ist neben der bekannten zierlichen
Bronzegruppe gleichen Themas
auf der Prager Burg (von den
Brüdern Klausenburg) und neben
der wie im Turnierritt angeord-
neten am Georgsturm des Basler
Münsters die dritte Variante dieses
Themas der Plastik der Parlerzeit.
Der Georg von Domjulien hat
seinen nächsten Verwandten übri-
gens in der Figur eines geistlichen
Kurfürsten vom Nürnberger
„Schönen Brunnen" und Ähn-
lichkeit mit Skulpturen der späten
Parlerzeit in Basel. Über die alte
Bischofsstadt am Rheinknie, in der
sich manche künstlerischen Wege
kreuzten, mag diese südl0thrin-
gische Parlerstrümung ihren Ein-
zug nach Westen gehalten haben.
Wir glauben, sie noch in einem
großen Steinretabel in Neufchateau
(Dep. Vosges) fassen zu können,
das die Darstellung der Geburt
Christi und die Anbetung der
Könige mit der Verkündigung an
die Hirten in einem breiten erzäh-
lerischen Reliefstil vereinigt. Der
kuttenumhüllte Josef mit dem
BreilüHel, der mittlere der Könige
und ein Pferdeknecht erinnern im
dumpfen Ausdruck an östliche
Parlertypen. Vielleicht war hier
ein derberer Meister der letzten
Parlernachfolge um 1400 tätig.
XVill man diesem Vorschlag folgen,
so hätten wir in dem Retabel von
Neufchäteau nicht nur eine letzte
Spur der Parlerstriämung in Loth-
ringen, sondern auch die west-
lichste.
Der weiche Stil in Lothringen ist
in einer kürzlich abgeschlossenen
Saarbrücker Dissertationß) erst-
mals näher untersucht worden.
Besondere Beachtung verdient,
daß drei Wellen dieser europä-
ischen Kunstströmung in Loth-
ringen zusammentreffen: eine pari-
serische, die burgundisehe und die
deutsche. Die beiden westlichen
dürften im Grunde nur Spielarten
einer von den Niederlanden aus-
gehenden Gestaltungsweise sein.
Am deutlichsten tritt in Lothrin-
gen die burgundische Richtung
kurz nach 1400 in Erscheinung.
Das Hauptwerk ist die Skulpturen-
gruppe der Grablegung Christi in
einer dafür errichteten Kapelle an
St-Martin in Pont-a-Muusson
(Abb. 5)7). Die 13 lebensgroßen
Kalksteinstatuen und die 8 klein-
ligurigen Engel im Grabgewölbe
bilden die aufwendigste Darstel-
lung dieses Themas in Europa.
Man hat lange nicht erkannt, daß
der (Jcwandstil der großen Figu-
ren eng mit Tendenzen der Slutcr-
Werkstatt in Dijon (Kapellen-
portal Champmol) zusammen-
hängt. Dies erlaubt eine Datierung
in das frühe 15. Jahrhundertß).
Jedenfalls darf sie als die früheste
erhaltene ganzligurige Grable-
legungsgruppc des burgundischen
Typus in Europa gelten. Der
Meister dieser Gruppe wird die
Werke in Dijon gekannt haben.
Doch ist er selbst Lothringer oder
zumindest in Lothringen längere
Zeit tätig gewesen. Dem Kreis
dieser Werkstatt lassen sich noch
zwei Magdalenent-iguren aus Ance-
mont (im Louvre) und Nancy
(Curdelierskirche) zuweisen. Auch
besteht in der Physiognomie eine
Beziehungzur schonen Sitzmadon-
na aus Vezelise im Museum Nancy
(Abb. (z). Ein lieblicherer Ton wird
in der zierlichen Stehmadonna des
Nonnenklosters Scy-Chazelles bei
Metz angeschlagen. in dieser an-
mutigen Gestalt lebt etwas vom
Typus der bekannten „Schönen
Madonnen". Noch näher steht
dieser in Deutschland und Öster-
reich zur besondcren Blüte ge-
brachten Gruppe eine jüngst auf-
gefundene, noch nicht veröffent-
lichte Holzmadonna (Abb. 7, 8) 9).
Sie darf besondere Aufmerksam-
keit beanspruchen, da sie den Um-
kreis des Typus der Schönen Ma-
donnen eindeutig nach VUesten er-
weirert. In der Antlitzprägung ist
sie mit einer etwas weniger feinen
hölzernen Sitzmadonna aus Win-
crange (Museum Luxemburg) ver-
gleichbar, was für den gemein-
samen Ursprung aus dem lothrin-
gisch-ltixemburgischen Raum
spricht, wozu auch der herbere
Typus paßt.
An den wenigen hier genannten
Beispielen erweist sich eine bisher
nicht deutlich gCWOfLlCTlC Quali-
tätshöhe der lothringischen Skulp-
tur auch in der Epoche des Wei-
chen Stiles. Trotz mannigfacher
Anregungen von außen vertritt
sie im Konzert der beginnenden
Spätgotik eine eigene Stimme und
spielt noch immer eine wichtige
Vermittlerrolle in Zentraleuropa.
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