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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 56 und 57)

ist neben der bekannten zierlichen 
Bronzegruppe gleichen Themas 
auf der Prager Burg (von den 
Brüdern Klausenburg) und neben 
der wie im Turnierritt angeord- 
neten am Georgsturm des Basler 
Münsters die dritte Variante dieses 
Themas der Plastik der Parlerzeit. 
Der Georg von Domjulien hat 
seinen nächsten Verwandten übri- 
gens in der Figur eines geistlichen 
Kurfürsten vom Nürnberger 
„Schönen Brunnen" und Ähn- 
lichkeit mit Skulpturen der späten 
Parlerzeit in Basel. Über die alte 
Bischofsstadt am Rheinknie, in der 
sich manche künstlerischen Wege 
kreuzten, mag diese südl0thrin- 
gische Parlerstrümung ihren Ein- 
zug nach Westen gehalten haben. 
Wir glauben, sie noch in einem 
großen Steinretabel in Neufchateau 
(Dep. Vosges) fassen zu können, 
das die Darstellung der Geburt 
Christi und die Anbetung der 
Könige mit der Verkündigung an 
die Hirten in einem breiten erzäh- 
lerischen Reliefstil vereinigt. Der 
kuttenumhüllte Josef mit dem 
BreilüHel, der mittlere der Könige 
und ein Pferdeknecht erinnern im 
dumpfen Ausdruck an östliche 
Parlertypen. Vielleicht war hier 
ein derberer Meister der letzten 
Parlernachfolge um 1400 tätig. 
XVill man diesem Vorschlag folgen, 
so hätten wir in dem Retabel von 
Neufchäteau nicht nur eine letzte 
Spur der Parlerstriämung in Loth- 
ringen, sondern auch die west- 
lichste. 
Der weiche Stil in Lothringen ist 
in einer kürzlich abgeschlossenen 
Saarbrücker Dissertationß) erst- 
mals näher untersucht worden. 
Besondere Beachtung verdient, 
daß drei Wellen dieser europä- 
ischen Kunstströmung in Loth- 
ringen zusammentreffen: eine pari- 
serische, die burgundisehe und die 
deutsche. Die beiden westlichen 
dürften im Grunde nur Spielarten 
einer von den Niederlanden aus- 
gehenden Gestaltungsweise sein. 
Am deutlichsten tritt in Lothrin- 
gen die burgundische Richtung 
kurz nach 1400 in Erscheinung. 
Das Hauptwerk ist die Skulpturen- 
gruppe der Grablegung Christi in 
einer dafür errichteten Kapelle an 
St-Martin in Pont-a-Muusson 
(Abb. 5)7). Die 13 lebensgroßen 
Kalksteinstatuen und die 8 klein- 
ligurigen Engel im Grabgewölbe 
bilden die aufwendigste Darstel- 
lung dieses Themas in Europa. 
Man hat lange nicht erkannt, daß 
der (Jcwandstil der großen Figu- 
ren eng mit Tendenzen der Slutcr- 
Werkstatt in Dijon (Kapellen- 
portal Champmol) zusammen- 
hängt. Dies erlaubt eine Datierung 
in das frühe 15. Jahrhundertß). 
Jedenfalls darf sie als die früheste 
erhaltene ganzligurige Grable- 
legungsgruppc des burgundischen 
Typus in Europa gelten. Der 
Meister dieser Gruppe wird die 
Werke in Dijon gekannt haben. 
Doch ist er selbst Lothringer oder 
zumindest in Lothringen längere 
Zeit tätig gewesen. Dem Kreis 
dieser Werkstatt lassen sich noch 
zwei Magdalenent-iguren aus Ance- 
mont (im Louvre) und Nancy 
(Curdelierskirche) zuweisen. Auch 
besteht in der Physiognomie eine 
Beziehungzur schonen Sitzmadon- 
na aus Vezelise im Museum Nancy 
(Abb. (z). Ein lieblicherer Ton wird 
in der zierlichen Stehmadonna des 
Nonnenklosters Scy-Chazelles bei 
Metz angeschlagen. in dieser an- 
mutigen Gestalt lebt etwas vom 
Typus der bekannten „Schönen 
Madonnen". Noch näher steht 
dieser in Deutschland und Öster- 
reich zur besondcren Blüte ge- 
brachten Gruppe eine jüngst auf- 
gefundene, noch nicht veröffent- 
lichte Holzmadonna (Abb. 7, 8) 9). 
Sie darf besondere Aufmerksam- 
keit beanspruchen, da sie den Um- 
kreis des Typus der Schönen Ma- 
donnen eindeutig nach VUesten er- 
weirert. In der Antlitzprägung ist 
sie mit einer etwas weniger feinen 
hölzernen Sitzmadonna aus Win- 
crange (Museum Luxemburg) ver- 
gleichbar, was für den gemein- 
samen Ursprung aus dem lothrin- 
gisch-ltixemburgischen Raum 
spricht, wozu auch der herbere 
Typus paßt. 
An den wenigen hier genannten 
Beispielen erweist sich eine bisher 
nicht deutlich gCWOfLlCTlC Quali- 
tätshöhe der lothringischen Skulp- 
tur auch in der Epoche des Wei- 
chen Stiles. Trotz mannigfacher 
Anregungen von außen vertritt 
sie im Konzert der beginnenden 
Spätgotik eine eigene Stimme und 
spielt noch immer eine wichtige 
Vermittlerrolle in Zentraleuropa. 
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