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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 56 und 57)

l) W. Pimlzr, Die deutsche Plastik 
vom ausgehenden Mirtclalrcr 
bis zum Ende der Rcnaissumv. 
Teil 1, Handb. d. Kunst- 
wiss. X. Wildpark-lävlsdnln 
1924. Vgl. n. Drnnnirr. 
Die miuclalrerlichen Pietä- 
Gruppcn im Kaiser Friedrich 
Museum. ln: Berliner Museen 
XLII 1921, W. Prusurge, Das 
dcutschi: Vcspcrbild im Mine]- 
alter. Köln 1924. 
1)Die wichrigsce Litcrazur zur 
Frage der „schöncn" Vesper- 
hildcr ist angegtben bei: 
1.. .4. Springer, Die bayerisch- 
österreichische Steingußplastik 
der Wende vom 14. zum 
15. 111.. Diss. Leipzig 193a. 
Kznalog- und Anmcrkungs- 
teil. r nzvnniz, Prolcgomena 
zu einer Gßchichlc der deut- 
schen Spälgolischen Skulptur 
im I5. ]h„ Heidelberg 1956, 
2711. n. Frey, Ein unbe- 
kanntes Vcspcrbild de: wtichcu 
Stils in Vorarlberg. ln: Öslcrr. 
Zschr, i". Denkmnlpil. lll 
1949. 56-68. 
1) Gegen eine Gruppierung nach 
Einzclmotivcn hat sich zulcm 
n. Frcy (a. a. o. so) gewandt: 
Die drei Gmndrypcn. die 
ausgchcnd von der "Gesamt- 
komposition als Ausdruck des 
emotionalen Erlebnisses, des 
seelischen Verhältnisses der 
Goucsmuner zum Leichnam 
Ch sti" aufgestellt werden. 
sind ein fruchrbmr Ansnrz, 
engere Gruppcnzusammcn- 
hing: zu crkcnncn. innerhalb 
der drei Gnmdfypcn muß 
aber noch stärker difcmnzicrr 
werden. Auch kommen Mi- 
schungen der drei Typen 
imlcrcinander vor. 
91.. A. Springer. a. a. 0. 153m 
u. 19a (kaL-Nr. 12). Vgl. 
dcn Lircrnturbcricht zu Sprin- 
gar von 1;. Wiegnnd und A. Smis, 
in: Zschr. f. Kg. NF VIl 1933. 
3557358. 
s) 1.. A. Springer. n. .1. o. 
134m u, 193 (Kai. Nr. 1). 7 
K. (Iarzaroiii von Tlmrnlnrlell. 
Mittcralrcrlichc Plastik in Stei- 
Crniark, Graz 1941. bcs. 39 u. 
Abb. 43. - Steiermiirleisrhex 
Lmldexmiueulnjuanrltllm in Gmz. 
Kunst des Mirrelalrers. Graz 
1955. 34. 
b) EJITue, Schlesische Plastik. 
Leipzig 1'113, 45 u. Tf. 23. 
H. Hmune und E. Wim. 
Schlesische Malerei und Plastik 
dcs Mittelalters, Ausst. Km. 
Breslau, Leipzig 192a. - 
R. Hammm, Die Elisabeth- 
kirchc zu Marburg und ihre 
künstlerische Nachfolge, Mar- 
burg 1929 11, 336. 
m1,. A. Springer. n. a. o. 
15m. u. 197 (Kat. Nr. s). - 
G. 1'. il. Osten. Südusldculschc 
Schmerzvnsmänucr und "böh- 
REINHARD LIESS Verperlzilder um 1400 
Die deutschen Vesperbilder um 
1400 werden seit Wilhelm Pin- 
derl) als typologische Ganzheit 
gesehen und von den älteren 
Darstellungen des 14. jahrhun- 
derts unterschieden. Mit tiefer 
Einfühlung hat Pinder sie charak- 
terisiert. 
Bei aller Familienverxvandtschaft 
der sogenannten „schönen" 
Vesperbilder?) bietet sich uns 
zugleich ein Bild vielfältiger Varia- 
tionen und unerschöpflicher 
Nuancierungen in Ausdruck, Ge- 
wandung und Gestik dar. jedes 
Werk will eine Kostbarkeit sein 
und lebt für sich, in einem eigenen 
intimen Bereich leiser Emotio- 
nen. 
Versuche, Gruppen- und KXlerk- 
stattzusammenhänge in der Fülle 
des uns erhaltenen Materials her- 
auszufinden, sollten nicht von 
genauen Übereinstimmungen be- 
stimmter motivischer Anordnun- 
gen ausgehen; die häufige Wie- 
derholung prägnanter Falten- 
schemata und Handgruppierun- 
gen mag dazu verleiten 3). Nur zu 
leicht konnten damit Werke von- 
einander getrennt werden, die 
trotz unterschiedlicher Einzel- 
motive eng zusammengehören -- 
und umgekehrt. Oft sind es 
minder qualitatvolle Vesperbilder, 
die beliebte Motive exakt über- 
nehmen, provinzielle Kopien bes- 
serer XVerke. 
Der vorliegende Beitrag versucht, 
einen engeren Gruppenzusam- 
menhang der Vesperbilder in 
[Magdeburg (Dom) 4), Graz (aus 
Adrnont)5), Brexlau (Mathias- 
kirche) ü), jena (Museum) 7), 
Krakau (Barbarakircheß) und 
Äalgburg (Nonnbergkirche) 9) 
glaubhaft zu machen. Freude am 
Variieren und großer Erfindungs- 
reichtum im einzelnen charak- 
terisieren diese sechs Vesperbilder 
ebenso wie eine gemeinsame ty- 
penhafte Grundhaltung, die den 
Spielraum für die motivischen 
Abwandlungen festlegt. Eine 
genaue stilistische Untersuchung 
und Argumentation wird hier 
in der Kürze nicht angestrebt. 
Das Yjpisrbe der Gruppe soll 
herausgearbeitet werden, in dessen 
Bereich sich eine gemeinsame 
Auffassung von Ausdruck und 
Gestalt und eine die stilistische 
Einzelformung übergreifende 
permanente Stilhaltung flndenlü). 
Die Aussonderung einer Gruppe 
muß freilich vor dem Hinter- 
grund eines möglichst umfassen- 
den Materials geschehen, das hier 
nicht dargeboten werden kann. 
Einige vergleichsweise zitierte 
Beispiele „schöner" Vesperbilder, 
die nicht zur Gruppe gehören, 
sollen stellvertretend aushelfen. 
Ein Prototyp der „schönen" Ves- 
perbilder muß in der Pietät aus 
Baden bei Wien erkannt werden 11). 
Stilistisch noch dem 14. jahr- 
hundert verpflichtet, hat sie aber 
bereits die typischen Merkmale 
der Vesperbilder in der Stil- 
phase um 1400. Christus ragt 
schräg aus der Gruppe heraus, 
sein Haupt sinkt zurück. Maria 
verschmilzt in der Haltung ihres 
Hauptes und Oberkörpers ein 
Abneigen und Zuwenden in eine 
einzige kurvende Bewegung. Eine 
nuancenreiche, lautlos-innerliche 
Beredsamkeit von Distanz und 
Nähe; eine stille intime Sphäre, 
in die der Betrachter allein durch 
Anschauung und Einfühlung Ein- 
laß Endet. Die Gewandung bil- 
det in der Führung des Kopf- 
tuchs Matiens über Haupt und 
Brust, in der Art, wie 
Röhren- und Schleppfalten vom 
linken 12) Knie der Maria 
strahlenförmig gegen den B0- 
den stehen, die für viele Werke 
der Folgezeit verbindlichen 
Grundmotive aus. Die Gesamt- 
komposition hat zugleich kon- 
trastierende und korrespon- 
dierende Momente in Körper 
und Gewand. Das Divergieren 
und Ausragen der Körper und 
Faltenläufe aus dem Gruppen- 
zentrum geschieht mit einem fei- 
nen Gespür für Gleichgewicht 
und Zusammenhalt. 
Der Badener Typ wird in man- 
nigfacher Weise variiert und wei- 
terentwickelt, ohne daß er auf- 
gegeben wirdll). Das Verhältnis 
jedes der oben genannten sechs 
Vesperbilder zum Badener und 
ein Prinzip, speziell die Falten- 
führungen stetig neu abzuwandeln, 
bezeichnen ihre Zusammengehö- 
rigkeit und heben sie klar von 
den anderen Vesperbildern unseres 
Zeitabschnitts ab. 
Eines der wundervollsten Vesper- 
bilder ist das im Magdeburger 
Dom. Die Haltung des Ober- 
körpers Mariens, die leicht zu 
ergänzende Gruppierung der 
Hände und die Motive der fächer- 
förmig ausstrahlenden Falten- 
läufe am linken, des Mantel- 
überschlags am rechten Knie und 
der Schüsselfalte dazwischen ver- 
deutlichen die Verwandtschaft 
mit Baden. Beiden Werken ist 
ein streng ordnender Aufbau 
gemeinsam. Die an der Badener 
Pieta Mr die Gruppe ausgelegte 
Schleppfalte wird jedoch in 
Magdeburg in einer regelmäßi- 
gen, den Boden kaum berühren- 
den Kurvung in die plastische 
Fülle des Gewandvolumens zu- 
rückgeführt. Das lyrisch zarte 
Wesen der Badener Maria wan- 
delt sich 4 gemessen an den 
übrigen „schönen" Vesperbil- 
dern 7 ins Erhabene, die span- 
nungsreiche, etwas spröde Schmal- 
glicdrigkeit in eine weichere Fülle 
und plastische Dichte und Wucht. 
Die scharfgeführten, gleichsam 
gegen einen inneren Widerstand 
gebogenen Falten und über diese 
gespannten langlinigen Säume 
werden in Magdeburg volumi- 
nöser und lockerer. Das in den 
Übergängen weichere Oberllä- 
chenrelief ist differenzierter und 
nuancierter. Die gerüsthaft struk- 
turierte Kontrapostik, die sich 
kurvig auseinanderdehuende und 
kreuzende Achsendiagonalität der 
Badener Pieta wird gemildert; 
die Silhouette schließt, rundet 
und verbreitert sich. Nicht starr 
mehr ragt der Christuskörper 
aus, in sanfteren Brechungen 
bleibt er an das Massenvolumen 
der Gruppe gebunden. Er wird 
dem Gläubigen leicht zugewendet 
und ansichtig gemacht. Das ganze 
Werk gewinnt an Gewicht und 
Standfestigkeit, es ragt auf. 
Damit sind bereits mehrere 
Charakteristika genannt, die unse- 
rer gangen Gruppe zu eigen 
sind. 
Die Pieta aus Admont (im joan- 
neum, Graz) bringt gegenüber 
der in Magdeburg ganz neue 
motivische Varianten. Sie über- 
nimmt genauer das Badener 
Händemotiv; die Magdeburger 
Pieta variiert es, die Linke Christi 
ruht auf dem Unterarm Mariens. 
Zwei parallele Schleppfalten fal- 
len am Admonter Werk senk- 
recht auf die Sockelplatte und 
stellen sich in zwei sich hinter- 
schneidenden, S-förntig ge- 
schwungenen Bäuschen auf. Der 
gewellte Quersaum eines Mantel- 
überschlags überspielt die untere 
Gewandpartie. Dennoch sind 
beide Vesperbilder nicht von- 
einander zu trennen. Auch die 
Magdeburger Maria hat am rech- 
ten Knie jene schlanken Tüten- 
falten mit den weich ondulieren- 
den Säumen, die die Admonter 
Pietä nur weiter ausspielt. Ent- 
scheidend ist, daß sich die Saum- 
falten nicht zu solchen kaskaden- 
artigen Komplexen verdichten, 
dic u. a. für das Vesperbild in 
der Breslauer Elisabethkirche 
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