wiederkehrende Rolle bei der
Mehrzahl der Schönen Madon-
nen. Ganz ungewöhnlich ist die
Lösung in Großgmain, wo eine
auffällige Diagonalfalte am Spiel-
beinknie vorbei von rechts nach
unten links verläuft. Das hat
seine Parallelen im 14. Jahrhun-
dert, vor allem bei der Wiener
Dienstbotenmadonna.
Wie ist nun die Stellung der
Madonna von Großgmain inner-
halb des Kunstkreises der Schönen
Madonnen zu beurteilen? Auf-
bau und Körpervorstellung wir-
ken kraftvoll und organisch. Das
Werk läßt auch in seiner ent-
stellenden Oberflächenbemalung
eine ungewöhnliche Qualität ver-
muten. Nichts, was wir aus dem
Bereich der Schönen Madonnen
kennen, berechtigt uns dazu, eine
solche Figur an das Ende des
Weichen Stiles in Österreich zu
setzen. Wohl aber führen manche
Fäden von der Großgmainer Ma-
donna zur Pilsener Madonna und
zur Madonna Colli sowie deren
Verwandten, wobei die schlaffere
Haltung, die flächigere Ausbrei-
tung der Motive, die größere
Nachgiebigkeit in jeder Bezie-
hung - so z. B. auch im abge-
rundeten Verlauf der oberen
Schüsselfalte 7 besonders für
die Gruppe Louvre-Colli einen
zeitlichen Abstand zu verraten
scheinen. Es ist die Großgmaine-
rin, die vorausgehen muß. So-
wohl die kräftige Dreidimensiona-
lität der Figur als auch die räum-
lichen Beziehungen innerhalb der-
selben (z. B. die vergleichsweise
tiefere Raumbildung durch das
Kopftuch) sind charakteristische
Eigenheiten derjenigen Schöp-
fungen, die an den Beginn des
Weichen Stiles gehören. Es sind
Madonnen durchaus unterschied-
licher Typenprägung, in denen
sich diese stilistischen Eigen-
schaften dennoch gemeinsam fin-
den: die Thorner Madonna und
die Madonna von Altenmarkt.
Diese ist spätestens 1393 ent-
standenlv), jene zwar nicht histo-
risch fest datiert, aber doch aus
stilistischen Gründen urn 1390
einzuordnenll). Im Bereich der
Bauhüttenplastik wären dort, wo
die Nahtstelle zu den Schönen
Madonnen besteht, die Figuren der
Wehinger Kapelle in Kloster-
neuburg zu nennen, deren Be-
deutung kaum hoch genug ver-
anschlagt werden kann. Drei der
ehemals lO Figuren wurden 1397
bezahlt; nur zwei Figuren haben
sich erhalten. im Charakter des
Zeitstils (nicht im Typ) stehen
sie der Altenmarkter Madonna
14
besonders nahe. Wollte man auf
die Vesperbilder ausgreifen, so
wäre wohl vor allem die Pieta
aus Baden bei Wien zu nennen.
Die Anfänge des Stils der Schö-
nen Madonnen können wir noch
nicht aufs Jahr, wohl noch nicht
einmal aufs Jahrfünft hin fest-
legen. Auch von den Quellen
für diesen Stil haben wir erst
einige erfaßt; so sind uns vor
allem die Voraussetzungen für die
Thorner Madonna trotz aller bis-
herigen Bemühungen m. E. bis-
her noch unbekannt. Auf einem
anderen XVege sind wir schon
weiter vorangekommen. Ver-
bindungslinien scheinen von der
Gruppe um die Wiener Eligius-
madonna (und ihr faltengleiches
Gegenstück, die Madonna vom
Altstadtrathaus in Prag) über die
Madonna von Laa an der Thaya
zur Altenmarkterin, und damit
in den Bereich der Madonnen von
Hallstatt und Krumau zu führen.
Die Zusammenstellung des Mate-
rials bei Albert Kutall?) zeigt,
wenn auch in teilweise anderer
kunstgeographischer Sicht, doch
ganz ähnliche Gedankengänge.
Die Wehinger Figuren in Klo-
sterneuburg geben uns wenig-
stens in einem Punkt die Möglich-
keit, eine Einflußnahme der Bau-
hüttenplastik auf die Stilbildung
der Schönen Madonnen zu er-
kennen; mehr noch als für die
Wiener Plastik scheint für zahl-
reiche bisher (und auch künftig?)
steirisch genannte Schöpfungen
eine ausschlaggebende Quelle in
diesen Klosterneuburger Figuren
zu stecken. Weit schwieriger
scheint es, Typen der Schönen
Madonnen von Madonnenschöp-
fungen im charakteristischen Stil
des 14. Jahrhunderts abzuleiten.
Doch gerade hier ist für Groß-
gmain am ehesten zu suchen.
Obwohl sich direkte Vorbilder
(bisher) nicht belegen lassen,
scheint sich der Typ, den Groß-
gmain vertritt, doch im 14. Jahr-
hundert anschließen zu lassen.
Das Werk, das mir diese Auf-
fassung zu belegen scheint, ist
allerdings nur in barocker Um-
arbeitung auf uns gekommen.
Es handelt sich um die Madonna
von Mauer bei Melk. Die Köpfe
sind überhaupt barock oder je-
denfalls überarbeitet und verdreht;
man kann vermuten, daß das
Kind ursprünglich mehr ein-
wärts blickte, von der Madonna
ist es mit Sicherheit anzunehmen.
Der Faltenverlauf aber ist -
wenn auch hier eine gewisse Uber-
arbeitung nicht unmöglich sein
mag - im großen und ganzen
wohl verläßlich. Die von der
rechten Schulter herabführenden
Diagonalfalten, die sich zu kurzen
Schüsseln vor den Leib senken,
die von der linken Hüfte aus-
strahlende, vom tiefsten Punkt
der unteren Schüssel aus aber
begleitete Diagonale und die
Durchgliederung der Faltenpar-
tien unterhalb des Horizontal-
saumes zeigen manche Züge, die
_ wenn sie sich in weiteren
österreichischen Werken ähnlich
fanden - wohl einen Absprung
für die Großgmainerin bieten
konnten. Daß aber die Madonna
von Mauer noch dem 14. Jahr-
hundert angehört 7 und zwar
bei ihrem Faltenaufbau und ihrer
Volumenentwicklung trotz des
bekleideten Kindes der zweiten
Hälfte dieses Jahrhunderts --,
das dürfte Wohl keine Zweifel
erwecken. Eine Bestätigung für
die Existenz eines ähnlichen Ma-
donnentypus im 14. Jahrhundert
könnte die Madonna aus Frauen-
tal'bei Deutsch-Landsberg bie-
ten 13). Auch ohne vielleicht älter
zu sein als die Großgmaincr
Madonna, dürfte sie doch einen
älteren Typ spiegeln.
Die Schlüsse, die ich aus diesen
Überlegungen für die Madonna
von Großgmain ziehen möchte,
sind die folgenden: Die Groß-
gmainer Madonna bildet einen
Eckstein für die Entwicklung
vom 14. Jahrhundert in den
Weichen Stil. Als vergleichsweise
frühes (etwa um 1390f95 ent-
standenes) Gußsteinwerk gehört
sie zwar stilistisch schon ganz dem
Kunstkreis der Schönen Madon-
nen an, enthält aber gleichwohl
noch Züge des 14. Jahrhunderts -
sowohl in der ihr eigenen Monu-
mentalität, als auch in Details -,
die in der weiteren Entwicklung
der Schönen Madonnen abge-
stoßen werden. Da eindeutige
Vorbilder nicht genannt werden
können, ist das Verhältnis der
Entstehung dieser Figur zur Ent-
stehung anderer Prototypen der
Schönen Madonnen nur schwer
faßbar. Der neue Stil „um 1400"
scheint in mehreren Werkstätten
auf der Grundlage unterschied-
licher älterer und neu erfundener
Typen, jedoch in enger Wechsel-
wirkung entstanden zu sein. Auf
Salzburg als Entstehungsort der
Großgmainerin verweist außer
dem Standort der Madonna ihre
Beziehung zu dem für Salzburg
zu sichernden Typ Louvre-Colli
und zum Pilsener Typ, der durch
die Nonnberger Madonna eben-
falls noch heute in Salzburg ver-
treten ist.
1) ÖKT 11, 1916, 1187151. 7
Dchio-Hnndbuch Salzburg,
41954. 29. 7 Reclams Kunst-
Eihrcr Öslcrn: h. Bd. 2, 1961,
186187.
1) ÖKT n, 129m und Fig. 119.
7 Wilhelm Pindcr: Die
Deutsche Plastik vum aus-
gehenden Minelalrer bis zum
Ende der Renaissance. -
Handbuch der Kuusrwisscn-
Schaft (Bd. 2) 1929, S. 288{89.
7 Louis Adalbtit Springer:
Die bayrisch - östtrrciehische
Stcingußplastik der Wende VOm
14. zum is. jniiriinnderr.
Würzburg m6. Bes.S.1117
114 und Katalog (I) 10.
3) kh benutze den Ausdruck
"Gußslein". nirhl wie
Springer - den khngvollercn
Ausdruck „siringnism da letz-
rcrer mißveistanden werden
könnte. Es lmiidelr sich um
künstlich 7 durch Guß
hergestellten Rnhsxeiii. nicht
um Guß der Figur aus Roh-
masse in eine vnrgearbeirule
Form. Springer unterscheide:
verschiedene (iußsteirl-Grup-
pm. hier "weißen Sleinguß".
i) „Rar-chrs" nnd „links" gelten
irn folgenden als vom B1:-
Schauer zus gesehen; die Be-
Zeichnung der Kürperleilc gclu
dagegen von der Figur aus.
S) Vgl. ÖZKuD 14, 1960, s. m9,
Abb. 94.
") Ebda. Abb. 95.
v) Wie sehr eine mißglückre
farbige Fasung den Eindruck
einer Figur cntslellcn kann.
inir die Freilcgung der origi-
malen Fmung bei der Madonna
aus Eggmiihl (Niederbayern)
gezeigt. Das bis dahin minder-
wertig erscheinende Werk er-
wies sich als Srhöpfilug von
vorzüglichem Rang.
3) Es ist zu bemerken, diiß Finder
das Original niChK kinnlc;
ihm Slitld nur die für diesen
Zweck unzulängliche Abbil-
dung in der ÖKT zur Ver-
üigimg.
v) Springer m.
I") Dieter Großmniln: Die Srhbne
Madonna von Krumau und
Österreich. lu: ÖZKuD 14,
1960, 1037114, bei. 111112.
U) Auf ein: Beweisführung für
diese 7 allerdingv von den
meisten Forschern vcrlrelcne
7 Dalicrung muß im vor-
liegenden Zuszmmrnhang ver-
zichtet WCIdCll.
11) Albert Kutnl: O Mistru Krum-
invrire Marlony. ln: uini-ni s,
m57, 294.3.
u) Graz, Ionnueum. Lindenlmlz,
Hohe 91cm. 7 Abb. 25 hci
Karl Garzarolli v. "Thuru-
Llfkh: MlKKClJlKWIClIC Pld k
in Steiermark. Graz 1941.