AUSSTELLUNGSBERICHTE
Wien: Geheimes Festival der Graphik.
Ein Triptychon mit Anhang
ln den ersten drei Monaten dieses
Jahres kamen in die Bundeshciuptstodt
eine Reihe von erlesenen Graphik-
ausstellungen. so daß sich. ohne Absicht
und Planung und in aller Zwanglosig-
keit. eine Reihe von graphischen Fest-
wochen ergab.
Den Reigen eröffnete im Jänner die
Albertina mit einer köstlichen Aus-
stellung von unbekannten Arbeiten
Lyonel Feiningers aus dem Besitz des
Museum of Modern Art. New York.
Im Mittelpunkt stand nicht der Bauhaus-
Feininger mit seinen HGDÜFCIKUVEUH.
sehr intellektualistischen Kathedral- und
Schlffskonstruktlanen. die ja bekanntlich
rein aus geometrischen, immer wieder
wie Prajektionskegeln wirkenden
Grundelementen zusammengestellt sind.
sondern der Träumer. der Irrationalist.
der Romantiker. kurz: der Hgeheime"
Feininger. der Lokomotiven, alte Städte
und skurrile Menschen liebt und es
versteht. innere und äußere Bilder
vollendet zur Deckung zu bringen.
Vieles wirkt -- besonders in der Früh-
zeit e bilderbogenhaft (kein Wunder.
Feininger begann ja als ..Cartoonist")
im guten Sinne des Wortes. unver-
kennbar sind die Einflüsse von Jugend-
stil und japanischem Farbhalzschnitt.
Kubin und Klee sind in manchen
Belangen Wesensverwandte dieses
Deutschamerikaners (der noch 1906 als
.,famous German Artist" bezeichnet
wird und es 1937. nach seiner end-
gültigen Rückkehr in die Heimatstadt
New York. gar nicht leicht hatte. seine
Glaubwürdigkeit als Amerikaner unter
Beweis zu stellen). der im tiefsten
Grunde seines Herzens ein zartfühlen-
der Lyriker war. In den spätesten
Arbeiten (etwa ab 1950) wird Geister-
hoftes. Gespenstisches mit ganz locker
und weich gewordenen. fließenden
Formen beschworen: der Künstler. der
einst mithelfen wollte. am Bauhaus.
an der ..Kathedrale des Sozialismus"
zu bauen. hat seiner Vergangenheit
endgültig abgeschworen (Abb. 5). -
Auch der nächste Beitrag des ..Geheim-
festivals" wurde von der Albertina
geliefert. Marlborough Fine Art. Lon-
don. hatte eine Wanderausstellung mit
drei lithographischen Zyklen von Oskar
Kokoschka aus den Jahren 1961 4963
zusammengestellt und es war gut und
richtig. daß diese Wanderschau von
Wien aus ihren Weg in die Welt antrat
(Stuttgart. Bremen. München. USA).
Kokoschka hat nunmehr die absolute
Höhe seines Könnens. aber auch seiner
Weisheit und Menschlichkeiterklommen,
was ..Abgeklärtheit" bedeutet. wird
einem erst bei dieser Ausstellung klar.
So kommt es. dat] ihm das Thema des
ersten Zyklus, Illustrationen zu ..King
Lear" weniger am Herzen gelegen
sein mochte. hat er. der Ruhelosß.
Suchende. der innere und äußere
Abenteurer. einem Odysseus gleich (dem
er seinen nächsten Zyklus widmen will).
nach langen Irrfahrten zu sich selbst
heimgefunden. So scheint es uns. als
sei beim ..König Lear" das Komödian-
tische dem Trogischen. das Spiel dem
tödlichen Ernst vorgezogen worden.
In Apulien (der zweite Zyklus ist ein
Reisebericht in diese ..Vorhalle Grie-
chenlands") und in Hellas selbst war
O. K. innerlich ganz daheim und ließ
eine hinreißende Folge schönster. be-
seeltester. mit göttlicher Leichtigkeit
hingezeichneter Veduten erstehen. wan-
delte mit dem Zauberstift seiner Zei-
chenkunst aber auch lebende Menschen
und längst Verstorbene zu Wesen
höherer Art um. Das Baracke in ihm.
der Sinn für das Vedutenhaft-Panora-
mische. für Pathos und große Geste
bringt ihn zu prächtigen Ansichten
apulischer Dörfer. Ölhaine und Tier-
herden. aber auch der Akropolis von
Delphi und Mistra. doch er verwandelt
auch einen süditalienischen Schweine-
hirten in einen echten Eumäus. rückt
unheimliches Meeresgetier in jenes
milde Licht. mit dem einst Hokusai
seine Fischerdarstellungen erleuchtet
hatte. und versteht es e o Wunder! e
den Statuen altgriechischer Kouroi.
einem Daidalos gleich. echtes. beweg-
liches Leben einzuhauchen. Und auch
den schönen taten Frauen und Mädchen.
die auf den Kerameikos-Stelen des
4. Jahrhunderts v. Chr. verewigt wur-
den. muß er. auch darin Odysseus nicht
unähnlich. ein Opfer dargebracht ha-
ben. denn auch sie erwachsen zu
neuem. sinnlichem. blühendem Leben
und hören auf. Stein und Gedächtnis
zu sein . . .
Kakoschka ist völlig frei von Krampf
und Masche. seine Schöpfungen geraten
ihm mit größter Selbstverständlichkeit.
und die Gesinnung. die hinter ihnen
steht. ist ebenso echt wie die. aus der
heraus einst die ..Bachkantate". der
"Gefesselte Kolumbus" und ..Das Kon-
zert" geschaffen worden waren. Das
Dyonisische hat sich zum Apollinischen
geläutert. und vor allem ist wieder
einmal der Beweis gelungen. daß diese
Welt. wie sie sich dem liebenden Auge
darbietet. schön, erlebens- und ge-
staltenswert ist. Diese Ausstellungen
sollten all jenen. die vor der dringlichen
Wirklichkeit den Mut verlieren und
sich in die Abstraktion flüchten. Hoff-
nung und Zuversicht wiedergeben: so
lange es noch eine Erde gibt. wird ihr
Bild darstellungs- und deutungswert
sein (Abb. 6). -
Das Mittelstück unseres Triptychons ist
die Schau ..Slowenische zeitgenössische
Graphik". die das Kulturamt der Stadt
Wien ins Künstlerhaus gebracht hatte.
Die Slowenen sind Experimentatoren.
die die technischen und formalen
Möglichkeiten der graphischen Medien
bis ins Letzte ausschöpfen und tief in
die Bereiche der Abstraktion und des
irrealen verstoßen. Aber sie tun das
mit spontaner Frische und Unmitte
barkeit. niemals bleibt das Experimei
bei ihnen Selbstzweck oder Zirku
Paradenunimer. ihre Kunst ist ..Volk
kunst" im gehobensten Sinne di
Wortes. Nur ein paar Namen könne
wir herausgreifen: Wir nennen dc
..romantischen Realisten" Bozidar Jakc
(siehe Abb. 7). den Märchenerzähli
Jaki-Joza Horvat. den lyrischen Fo
menspieler Marjan Pogocnik mit seine
bezaubernden ..Gauffragen" (Blini
drucken). den Feininger-Nachfahre
Karel Zelenko. dessen spitzer Radie
stichel die technische Welt ins Spieli
rische umsetzt. und von den Abstrakte
Bogdan Borcic. der ins Zeichen- ur
Symbolhafte vordringt.
Von ihnen allen e auch von de
Nichtgenannten e hätte die öste
reichische Graphik vic-l zu lernen ur
brauchte sich nicht zu schämen, hii
in die Schule zu gehen.
Am Schlusse noch ein Vereinzelte
Unbekannter. der das ..Tüpferl ai
dem l" abgeben muß: Heinrich Heue
ein schwerblutiger Pommer. der i
Wien hängengeblieben ist. Er dürf
der gewissenhafteste. ernsteste und
jeder Hinsicht sauberste Rodierer seii
der in letzter Zeit bei uns aufkreuzt
Aber zu Sauberkeit und Ernst gese
sich nach eine große. mit sparsame
Mitteln arbeitende lyrische Begabuni
die seine Blätter zu kleinen Kostba
keiten macht (und das. obwohl sie b
der Ausstellung in der Galerie Peithne
Lichtenfels um S 100." bis S 200.7 al
gegeben wurden; sie verkauften sic
wie frische Semmeln!) (Abb. 8).
Über Heuer wird .,Alte und moderr
Kunst" noch gesondert und ausführlic
berichten.
Ernst Kölli
REFLEXE
Chronik des Ausslellungsluberls in Öslerreich
Milie Jünner bis Milic März 1964. Nur jene
Ausstellungen kannien berücksichligl werden,
deren Veruiiilalier der Rednklion oder ihren
Milgliedern Verständigungen xukommen
ließen. Aus Grundan des Raummangels
mußle diesmal auf Kurzkriliken ver-xichlei
werden. Vollslündigkeil wurde weder er-
veiclil. nach angeslrebl: Da: Niehlaufseheinen
in dieser Chronik bedeute! also kein in-
direktes Werlurleil.
16. Jünner: ..unler dreißig". Ausslellurlgs-
raum des Kulluramles der Sladl Wien,
VII, Friedrich Schmidl-Plalz S.
Z1. Jiinner: Szhichlenbilder Liselcli Bescher-
ner. Schcuräume der Osierr. Siacilsdruckerei.
l. WOillSliE 27a.
Wesley Duke Lee (saa Paula). Chr. M.
Nebehcy. l. Anriagasse 10.
demie der bildenden Künsie zum Thema
"Beulen und Gedanken" (ÖSlerr. Museum
für angewundle Kunsl).
Z3. Jünner: Unqarische Künsller der Gigan-
warl. Neue Galerie der siadl Linz, Wolfgang
Gurlill-Museurri.
Rudoll Schwarz (f) Gedüchlriis-Ausslellung.
Akademie der bildenden Künste (sieheAbb. 9).
Z7. Jünnlr: LYOneI Feininger. Aquarelle.
Graphik. Zeichnungen des Museum olModern
Art, New York. Alberlina (siehe Sonder-
berichl mil Abb).
Z9. lürlner: Lally Reinhardl. Olbilder und
Gouachen. lnlernalionuler Künsllerclub im
Öslerreich-Haus, I. Jüseßplall s.
31. länner: Prof. Jozef Mroszczak sprach
über .,Plakalkunsl in Polen" (Akademie für
angewandie Kunsl).
Jozel Mronczak - Plakule. Juzel Wilkon 7
Buchgraphik und Aquarelle. Galerie in der
Blberslraße.
1, Februar: Peler Haiier-yerwig Liliawigky-
Jürgen Leskowa e Aquarelle. Galerie Zum
aalen Apfel, III. Lundslraßer Hcupislruße 74.
a. Februar: "Bilder. die inan nichl immer
aielii". Olbilder aus der Sekundarsammlung.
Hlslorisches Museum der sladl wien.
Ernii w. Heisx e Archlleklur. Lundschafl und
Bebauung. Galerie 1. Vlll, Zeltgasse 7.
Kur! Werner "Assolialiorie Schau-
räume der Öslerr. Slaalsdi-uekei-ei.
Heyboer-Laiaster (Amslerdclm). Johannes
selireiier (Franklurl). Radierungen, Gau-
achen. Kollagen. Galerie si. sleplian, l.
Grünangergasse 1lll.
4. Februar: Ralierl Liebknechl (PGFIS).
Galerie Junge Generulion, l, Börseplalz 7.
s. Februar: carl Krall. Maler und Reslaura-
lar. Schaurüume der ÖSlerr. Slaalsdruckerel.
Handlelchnullgen und Druckgraphiken aus
Frankreich. Neue Galerie am Landesmuseum
Joarmeum. Graz. Sackslraße16.
6. Februar: Lllil sarnrner. Gemälde. Ecksaal
des Landeeniueeurng iaanneurn. _Gra;.
a. Februar: Ball der Schonen Künsle. Sai
burg. Saiiiall Kießheim,
11. Februar: Magda Hauer. Galerie l
Griechenbeisl. I. Fleischrnqrkl 11.
12. Februar: HI, Messe mll_derl Künsllei
Wien; in der Burgkapelle. Wien 1. _
(Schluß Seile 5
BILDTEXTE se 11
s Lyonel Fclrlmger. Aur der siadirnaur
Tuschczeichnung, Z40x312cm. gig.
aal. 1911 (aus der Aussleliung in a
Aliieriiria, wien)
s Oskar Kokoschka, Aeglna 1. Aus de
Zyklus .,Hellas Eine Griechenlan
reise" (aus der Ausslellung in d
Alberllna, Wien) r
7 Bozidur Jcikuc. Triplychon noan
rnacubre": Alle Weide. 1963. Gravur
HAI"! Iillß Aiieelnlliinn im KiihEiiPFhOi