Daß er sie in Amorbach nicht von heute auf
morgen erlernt, sondern schon längst prakti-
ziert haben mußte, liegt auf der Hand. Sicher
bot auch Münsterschwarzach die Gelegenheit
dazu. Doch dieses Werk fiel der „Aufklärung"
zum Opfer und genauere Nachrichten darüber
gingen verloren. Vor Wilhering aber klafft
eine Kenntnislücke im Zusammenwirken un-
serer Meister, die bis 1736[37 reicht, als die
Gebrüder Franz Xaver und Johann Michael
Feichtmayr zusammen mit Ueblher die Stifts-
kirche Dießen stuckierten.
Einen bedeutenden Beitrag zu ihrer teilweisen
Schließung lieferte schon Rudolf Guby
Ihm verdankt die Forschung die aus der Ent-
deckung der Wilheringer Vertragsabschriften
resultierende Feststellung, daß als Schöpfer
des Kemptener Thronsaales (Spiegelsaal) nur
der im 2. Vertrag als Hofstuckator der Fürst-
abtei Kempten benannte Johann Georg Uebl-
her in Betracht kommen kann. Gubys falsche
Datierung dieses Werkes ist durch Hugo
Schnells Untersuchungen (VII) bereits überholt,
wonach die Entstehung des Kemptener Thron-
saales nur in den Jahren 1741[42 erfolgt sein
kann.
Stilgeschichtlich präsentiert dieses Dekorwerk
sich schlechthin als Phänomen: wie über
Nacht scheinbar Enden wir hier in einem
genialen Prozeß jenen Rocaillestil entfaltet,
mit dem die Dekorkunst des 18. Jahrhunderts
durch wessobrunnisch-augsburgische Meister
ihren absoluten und von keinem anderen
Kunstzentrum erreichten Höhepunkt erklimmt.
Daß nur mit dieser epochalen Leistung die
mit einem Schlag einsetzende Überhäufung
des Künstlerpaares Ueblher-Feichtmayr mit
ehrenvollen Aufträgen erklärbar ist, unterliegt
keinem Zweifel. Damit stellt sich aber auch
die Frage: Warum sollte Feichtmayr nicht
auch an diesem Werk schon maßgebend be-
teiligt gewesen sein?
Allein die Tatsache, daß nach der Trennung
Feichtmayr und nicht Ueblher die meisten
und bedeutendsten Aufträge zufielen: 1747ff.
Zwiefalten, 1750-52 Käppele Würzburg, 1751
St. Fridolin Säckingen, 1752-54 Anastasia-
kapelle Benediktbeuern, 1751 H. Schloß Bruch-
sal usw., während Ueblher in dieser Zeit nur
die Langhausaltäre Wilherings 1748-51 und
die Kuppelraumzier von Ettal1748-52 auf-
zuweisen hat, berechtigt zu der Annahme,
daß Feichtmayr schon längst als potenzierter
Mitarbeiter Ueblhers gegolten haben muß.
Demgegenüber erscheint die auf den um 9 Jahre
älteren Ueblher beschränkte und zweifellos
für den Thronsaal erfolgte Ehrung mit dem
Titel eines fürstkemptischen Hofstuckators
nicht als ausreichender Grund, Feichtmayrs
Beteiligung anzuzweifeln.
1m 1. Vertrag mit Wilhering von 1741 ist
Feichtmayr bereits als Kompagnon Ueblhers
nachgewiesen. Warum sollte er dann beim
gleichzeitig entstandenen Thronsaal Kemptens
nicht ebenfalls Teilhaber gewesen sein?
Und schließlich: Wo sollte Johann Michael
Feichtmayr um oder vor 1740 gearbeitet haben?
Etwa bei seinem Bruder Franz Xaver? ln
der Tat: Unter Franz Xaver Feichtmayrs
Werken dieser Zeit gibt es eines, das dessen
eigenen Stil weit überragt und noch dazu:
welches alle zur Kemptener Thronsaal-Ro-
caille führenden Evolutionsmerkmale enthält:
die 1738 entstandene Stuckzier des Kuppel-
raumes (Bild 9) der XWallfahrtskirche Herr-
gottsruh in Friedberg bei Augsburg (VIII).
Alles spricht dafür: diesen bedeutenden Vor-
läufer der Thronsaal-Rocaille Kemptens konnte
nur Johann Michael Feichtmayr vollbracht
haben. Ob mit oder ohne Ueblher, wird
schwerlich noch zu entscheiden sein. Was
Franz Xaver aus diesem Vorbild für seinen
Stil zu gewinnen wußte, sehen wir am Sakristei-
stuck Dießens, der um 1740 etwa entstanden
sein mochte.
Damit haben wir ausgeleuchtet und zu deuten
versucht, was aus den Gegebenheiten ableitbar
erschiemWie schonJohann Michael Feichtmayrs
führende Stellung in Amorbach vermuten
ließ, hat sich eine Reihe von Indizien gefunden,
die ihn auch im Schatten seines Bruders Franz
Xaver und Ueblhers sehr bald als maßgebenden
Ornamentiker wahrscheinlich machen. Und
es ließen sich Anhaltspunkte finden, die den
Brückenschlag ermöglichen über ein bisher
leeres Feld kunsthistorischen Wissens: die das
Weiterbestehen der Dießener Dreiergemein-
Schaft Feichtmayr-Ueblher auch in Friedberg
als vermutbat und die bisher nur von Wlilhering
ab bekannte Zweiergemeinschaft Johann
Michael Feichtmayrs mit Ueblher nun auchbeim
Thronsaaldekor Kemptens als ziemlich evident
erscheinen lassen.
Und als Zeichen gebliebener Anhänglichkeit
Johann Michael Feichtmayrs an den gealterten
einstigen Kompagnon scheint folgendes noch
zu sprechen:
Die Altäre der Stiftskirche Engelszell a. d.
Donau, die 1759-62 von Ueblher zu liefern
waren, sprechen mit gewissen Anzeichen:
ihrer kapriziöscn Rocaille-Ornamentik, dem
Kapitellstern des Hochaltars und dessen Ge-
simsengeln samt den sie umgebenden Puttcn
und schließlich auch auf Grund einer Chroni-
stenangabe, wonach dort Augsburger Künstler
am Werk gewesen sein sollen - dafür, daß
hier bereits Johann Michael Feichtmayr dem
alten und wohl schon kranken Ueblher wieder
seinen Beistand gewährte
Die gleiche Gesinnung bewog ihn dann auch,
als er seinen besten Mann, den Stuckatorpalier
Thomas Sporer, zur Verfügung stellte, als
es galt, Ueblhers letztes Werk zu vollenden:
die Wallfahrtskirche Maria-Steinbach bei Mem-
mingen, nachdem dort der Tod den einstigen
Gefährten ereilt hatte (X).
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