OTFRIED KASTNER
Klemens Brosch als Kriegszeichner 1914-1916
wen: Brosch, Shzrm der 1er Schülzen. Galizien
Innerhalb der drei bedeutendsten Graphiker Öster-
reichs der Gegenwart steht Klemens Brosch seiner
Geburt nach in der Mitte. Alfred Kubin wurde jedoch
50 Jahre älter als er und Hans Fronius wird bald
doppelt so alt als der junge Linzer, der schon 1926
am Pöstlingberger Friedhof seinem Leben ein Ende
setzte. An den Blättern. die wir hier vorstellen. wird
sein Tod verständlich, zugleich aber wird auch sicht-
bar, wie sich seine Einstellung zum Kriege änderte.
Zusammen mit einem seiner Brüder ging er als Kriegs-
freiwilliger im Oktober 1914 nach Galizien ins Feld
und machte dort die Bewegungskämpfe in der vor-
dersten Front der Linzer 2er Schützen mit, wie
später die Stellungskämpfe in den winterlichen
Karpathen. Die Federskizzen und Blätter. die er dort
gewann, machten ihn anlüßlich einer Ausstellung im
Jahre 1915 in Linz Über Nacht weithin berühmt. Der
Eindruck dieser Blätter sollte die Besucher ihr ganzes
Leben nicht mehr loslassen. Sein ungeschminkter und
nach völlig ungewohnter Bericht (Barbusees ..Feuer"
war noch nicht in deutscher Sprache erschienen)
war dazu angetan, den allzu idealisierten Kriegs-
vorstellungen einer langen Friedenszeit schonungslos
eine neue harte Unerbittlichkeit entgegenzustellen.
Als Brosch zwanzigjährig aus wahlgeordneten bür-
gerlichen Verhältnissen mit seiner Marschkompanie
in den Krieg hinein fuhr. sollte sich dem Überwachen
eine völlig ungeahnte Welt eröffnen, der er sich ahne
die leiseste Schonung seiner Person voll hingab. Sein
Fleiß. seine rasche Auffassung, sein Gedächtnis läßt
sein Fronterlebnis einem Filme gleich ablaufen.
Passierten auch manche seiner Arbeiten nicht die
Zensur, so fand man seine Feldpostkarten-Skizzen
doch so treffend, daß sie bald im Druck erschienen.
Der Direktor des O.ö. Landesmuseums. der die
115 Nummern, die Brosch dem jungen „Mürz" zur
Verfügung gestellt hatte. von allen Kritikern am
begeistertslen begrüßt hatte, erwarb eine Anzahl
dieser Mappen. so daß eben dieser Abschnitt im
Schaffen desjungen Künstlers vorzüglich belegt ist.
Einander begegnende Truppentransportzüge, frische
Gräber neben den Geleisen, erste Feindberührungen
mit Skizzen aus der Schwarmlinie - am Bauche
liegend hingekritzelt - mit während des Sturm-
angriffes tödlich Getroffenen im Zusammenstürzen
und drohenden Schrapnellwölkchen vor der Linie.
das waren Aufzeichnungen durch ein leidendes
Medium. das kaum wußte. was vorging. fieberhaft
hingeschriebene Impressionen. aufgenommen ohne
auch nur eine Idee an eigene Schonung. Dies gilt
auch noch für die 9 Szenen einer Erschießung von
Spionen. die sich rasch, am Rande des großen Ge-
schehens kaum bemerkt, vollzieht. Weitere Szenen wie
Beschuß eines Fliegers, ein Ort nach einer Straßen-
schlacht. Explosion einer Granate in einem Schupfen,
Wache am Geschütz. in die Heimat schreibende
Soldaten. Sturm auf ein Gehöft. Eroberung einer
Brücke. nächtliche ldentiüzierung der Gefallenen
sind einmalige Dokumente. aufgezeichnet von einer
unermüdlichen Hand, sachlich, wahr. ungeschminkt
und parteilos. Die.,Nächtliche Straße in Polen" fängt
alles an Atmosphäre ein. was das Thema in sich trägt.
doch der blutjunge sensible Mensch berichtet auch
jetzt noch schweigend. Erst beim ..Patrouillenerlebnis"
und bei dem Blatt „Gefallene im Stacheldraht" wird
eine Wendung von der Impression zur Aussage deut-
lich, sie scheinen zu sagen: So verbluten unsere
Regimenter im Sande Galiziens. und die Zartheit der
Birken und des hellen Morgenlichtes scheint nun
bewußt kontrastiert zu dem Dunkel des Blutes und
der aufgewühlten Erde. Immer wieder bringt er
Erschieflungsszenen hinter der Front, sie scheinen ihn
geradezu anzuziehen: in der Festung. auf offenem
Feld, vor der Mauer. die Feder sträubt sich. die Seele
empört sich w, Brosch zeichnet. wer kann erahnen.
was er gelitten hat und welcher Schmerz zuriickblieb.
legte er die Feder nach Vollendung dieser Blätter
weg. Brosch reicht in dem Blatt ,.Siesta der Henker".
das erst1916entstand i ohne ihn zu kennen 7 Fackel-
Kraus die Hand. Seine Blätter werden nun Anklagen:
Unverzagt zeichnet er weiter: verhungerte Flücht-
linge im Straßengraben. vom Kot des vorbeifahrenden
Autos überspritzt. das offene Massengrab. in dem sich
das Regenwasser zwischen den Leichen sammelt,
..Vater unser" bezeichnet ähnlich ironisch wie die
Feldpostkarte .,Weihnachtsfriede". die eine Granate
zwischen Soldaten zerberstend zeigt. Im ,.Letzten
Augenblick". da er die Gewehre auf den Beschauer
gerichtet zeigt. geht er selbst über Goya hinaus.
Otto Dix hat Schützengrabenbilder gemalt, Brosch
hat in dem Blatt „Illustration zum Text eines deutschen
Heeresberichtes" begonnen. frei aus der Phantasie
Kriegsgeschehen zu gestalten. Auch ein Winterbild
aus den Karpathen wird später zu einem „Einsiedler"
umgebaut. (Der zerspellte Baum weist deutlich auf
die Herkunft des Vorwurfes.) Die übersteigerle Vision
des Granateneinschlags in die unschuldigen Zivilisten
hat Brosch wohl unter Morphiumeinwirkung gearbei-
tet. Während Georg Trakl am Kriege zerbricht.
wird nun Brosch von Olmiitz nach Trient und von
dort nach Innsbruck geschleppt. bis er endlich vor
einer Kommission zusammenbricht. man dem "Simu-
Ianten" glaubt und ihn entläßt. Doch auch er hat den
Tadesschuß erhalten.
Für diese Zeit spricht der ..Blick durch die Glas-
türe". in der er sich selbst spiegelt. Sein linkes Auge
wird von einer Fleischfliege verdeckt. Diese Zeich-
nung hat etwas von der Peinlichkeit der Durch-
zeichnung. wie sie die ..Neue Sachlichkeit" verwendet
hat. doch sie wird in ahnender Weise hier surrealislisch
eingesetzt. Die Kunst des jungen Linzers wird mehr-
bödig. Nicht nur die Überspitzung des Technischen
peinigt. mehr die Unheimlichkeit der Spaltung, die
nun sichtbar wird. Verläßt er nun den sozialen
Realismus? Noch im November 1915 zeichnet er für
den gefallenen Radierer Franz Hafer ein Gedenkblatt.
daneben jene 48 Blätter eines Schuhpaares 4 in
einer Mappe unter dem Titel ..Der InvaIiden-Dank"
vereinigt -. ihr gibt er den älteren "Nörrischen
Schuster", der auf einem Berg von Schuhen thront,
bei. Er schuf täglich zwischen zwei und sieben bis
acht Blätter zehn Tage lang. Reinster Naturalismus
wie es scheint. doch ist diese neue Aussage zum Krieg
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