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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 75)

Auf der Akademie hauptsächlich mit Modellierarbeiten in Gips und Ton beschäftigt. lernte er zwar die wesent- 
lichen Grundelemente. er lernte die Beherrschung der handwerklichen Fertigkeit. sich in Stein und anderen 
Materialien auszudrücken. doch blieben ihm im Grunde diese Werkstoffe fremd. Trotz dieses dem Künstler art- 
fremden Materials kommen bei einigen jener frühen Gipsplastiken schon jene Elemente zum Ausdruck. die 
Kagras Schaffen dann später so prägnant kennzeichnen. Hier ist etwa ein Selbstporträt zu nennen. das schon 
deutlich gewaltsame Aushöhlungen. beulenartige Rundungen und bizarre Ecken aufweist. Jenen Formkanon. 
den der Plastiker beibehält. Bei einer größeren. stehenden Gestalt klingen schon die raumeinschließenden Um- 
greifungen an. die wir später zu solcher Wesentlichkeit erhoben finden. 
Kagra glaubt, daß der Stein. besonders der Marmor und noch mehr der Ton - alles alte Materialien in der 
darstellenden Kunst - für unsere Zeit zu weich. zu glatt. zu sanft ist. Rissiges Eisen und harter Stahl scheinen 
ihm die unserer Zeit entsprechenden Substanzen zu sein. Etwa 1955 macht sich Kagra daran. dieses Eisen zu 
bearbeiten. aber nicht wie in der Stahlstichschule mit dem Meißel. sondern mit dem Schweiflbrenner. Es entsteht 
eine Figur. die noch ganz von der Arbeitsweise des Modellierens geprägt ist. Durch unzählige flüssig gemachte 
Eisentrapfen summiert sich eine menschliche Gestalt. Ein Jahr darauf verwendet der Künstler jedoch schon 
kleinere und größere Eisenteile. die zusammengeschweißt werden. Ihre krätzigen Kanten verstärken die gewalt- 
tätige Aussage des Materials. Kagra bevorzugt den Torso ab seines reinen Emparstrebens und seiner asketischen 
Form. 1958 geht der Künstler dazu über, das Material zu zerschneiden und die Schnittflächen in seine Komposition 
einzubeziehen. Der Stahl. den Kagra durch die Flamme des Schweißbrenners formt. wird bei dieser Arbeitsweise 
so sehr in seiner Konsistenz aufgerissen. daß dem Betrachter schon diese Schnittflächen ein schmerzliches Er- 
lebnis bereiten. 
Sicher ist etwas Diabolisches in der Zerstörung und Verbrennung eines so harten Materials wie es Eisen und 
Stahl ist. sicher ist es eine Därnonie. die den Künstler zu solch einer Aussage treibt, doch sicher ist es keine ver- 
einzelte. sozusagen private Därnonie, sondern eine zutiefst nicht nur unserer Zeit. sondern überhaupt in der 
Welt und im Menschen verankerte Wesenheit. Wir sehen sie schon bei den Gestalten Dostojewskijs. bei den 
Bildern eines Hieronymus Bosch. bei den romanischen Fratzen auf Gesimsen und Kapitellen der Kirchen. Es 
scheint eine Dämonie vom Anfang der Welt zu sein (Joh. 1. S). in jedem von uns glimmt die Versuchung zur 
Zerstörung. in jedem von uns ist auch die Finsternis des Nichts. Und zeigte uns die klassische Zeit der Griechen 
in der bildenden Kunst die Geordnetheit. so in den Tragödien um so mehr das dämonische Wirken. 
Kagra. von der Verpflichtung des Künstlers zur unbedingten Ehrlichkeit getragen. kann diese dämonischen 
Kräfte nicht verschweigen. Von den spürbar zusammengefügten Gebilden der frühen Schaffensperiode ist 
Kagra zu einem Wesentlichen und Ganzen gekommen. Seine Stahlgebilde werden massiger und gewinnen 
Eigenleben. Die zerrissene. oft sich nur mehr als dünne Stege behauptende. kleinere oder größere Durchbrüche 
umschließende Materie wird dann verschiedentlich durch knotenhafte Auswüchse verbunden. wobei auch durch 
diese Verdickungen. als Folgeerscheinung der erstarrten Oberfläche des fließenden Metalls, eine schockartige 
Wirkung erzielt wird. Die Durchbrechungen werden als wesentliches Kompositionselement in den Aufbau der 
ganzen Plastik miteinbezogen und bekommen somit eine Seinserhöhung: der Zwischenraum. das Nichts. wird 
zur sinnerweiternden Konkretion. (Man könnte somit von einer Überwindung des Nichts sprechen.) Die Um- 
Spannung dieser Zwischen-Räume ist in eindeutiger Weise gelungen. Dem Betrachter wird besonders bei den 
großen Flächen augenscheinlich, dal} hier bis jetzt unerschlossene Kraftfelder gewonnen werden. 
Kagras Arbeiten werden zu Unrecht oft mit jenen Hoflehners in Beziehung gebracht. Verwendet jener in der 
Hauptsache Fertigmaterialien. die er für seinen Bedarf zurichtet und zu den Bauelementen seiner Figuren fügt. 
so läßt Kagra die ganze Materie durch Glut und Brand gehen. Jedes Stück ist im Feuerstrahl des Gebläses zu 
einer neuen Form gewandelt. Auch thematisch scheint mir Hoftehner einen anderen Weg zu gehen: männliche 
Kraft. abgeschirmt. ummouert und doch siegreich über alles vorstoßend. Aggressivität hinauswirkend. Bei Kagra: 
Bestürzende Aggressivität von außen einwirkend.WeiblichesWachstum und überwindendes Regulativ. das über 
alles weiterlebt. 
Viele Figuren lassen in ihrem Aufbau noch die menschlichen Proportionen ahnen. (Nie kann sie der Künstler 
ganz verleugnen. zu sehr sind sie in den Rhythmus seiner Hand eingegangen.) Es ist die menschliche Existenz 
von dem Feuer der Vernichtung zerfressen. von der Sinnlosigkeit eines Sisyphusdaseins ausgelaugt. Besonders 
eindrucksvoll sind in dieser Beziehung jene kleinen Durchbrüche. die uns wie leere Augenhöhlen verfolgen. 
Das ist bei manchen Figuren, deren Oberflächen an jenen Stellen leicht überschliffen wurden. so daß sie einen 
kalten. kahlen. skelettartigen Eindruck machen. besonders faszinierend. Bei anderen wieder. wo die Geschlossen- 
heit des Körpers bewahrt wird. zieht sich die Substanz in verkrustete Innenräume zurück. Wir begegnen Ver- 
letzungen. Rissen, Schrunden. die der Künstler bewußt im Material beläßt. Symbol unserer Verletzbarkeit. 
unserer Zerreißbarkeit. Kraterartige Mulden. Geschoßeinschlägen gleich. bezeugen die tief in unsere Substanz 
eindringenden Schäden. die uns aufreißen und ewige Narben hinterlassen. Aber noch sind die ganzen Gebilde. 
wenn auch manchmal zur insektenhaften Bizarrerie verwandelt. ein Aufgerichtetsein. Oft finden wir eine tek- 
tonische Ordnungskomponente. bei anderen Figuren ist es aber auch ein ins Vegetative überfließendes Empor- 
wachsen. das in einer sich dem Lichte zu öffnenden schwachen Gabelung. einer erblühenden Pflanze ver- 
gleichbar. endet. 
ln der Aufgerichtetheit und in jenen manchmal nur zaghaft angedeuteten. manchmal aber auch kraftvoll empor- 
wachsenden. in die Höhe strebenden Zacken finden wir überraschend die schon erwähnte Überwindung der 
Resignation und Verzweiflung: ein nach oben strebendes Enden. Es zeigt sich hier ein vitaler Urwille. eine un- 
besiegbare Kraft. die in jedem. auch dem Skeptischesten wirkt. Im Grunde ist es damiteine Überwindung aller 
"Endspiele". Das Spiel ist grausam und dämonisch, ohne alle Zweifel. doch nie aussichtslos. 
Eines ist sicher: die Angst vor einer Leere und Sinnlosigkeit kann uns nicht genommen werden. Die Bedrohung 
durch eine Vernichtung. sei sie nun global oder individuell auf unsere Existenz bezogen, bleibt offen. Diese 
kantigen. harten Stahlgebilde haben die Verschleierung. das Gewebe von Geschwätzigkeit und Betriebsamkeit 
um uns zerrissen. 
Möge der Künstler mit den Fialen der Hoffnung recht behalten! 
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6 Franz Kugra. Durchbrochene Form ll 
Sfuhl, H. 73 cm 
1963.
	        
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