lm Vordergrund der kunstgewerblichen For-
schungen steht derzeit ohne Zweifel in allen
Ländern die Geschichte der französischen
Möbelkunst des 18. Jahrhunderts. Die Werke
der damaligen Pariser Ebenisten gelten heute
nicht bloß als nationale Kunstleistungen, sie
sind vielmehr zum Gemeingut der universellen
Kunstgeschichte geworden. Sie waren im
18. Jahrhundert stilbildend und blieben auch
später durch lange Zeit für die ganze euro-
päische Entwicklung richtungweisend. Fran-
zösisches Mobiliar ist heute nicht nur in den
Museen und Kollektionen Frankreichs, son-
dern in allen großen Sammlungen Europas und
Amerikas zu linden.
Die französischen Möbel in Ungarn 7 soweit
sie sich im Besitze des Museums für Kunst-
gewerbe in Budapest und in Privatsammlungen
befinden - beginnen erst ietzt bekannt zu
werden, obwohl allein die Sammlung des
Museums fast hundert Stücke umfaßt I.
Die Verehrung der französischen Kultur und
Kunst blickt in Ungarn auf eine alte Tradition
zurück. Das Sammeln französischen Kunst-
gewerbes, angefangen von den aus Paris
stammenden Einrichtungen für die Schlösser
des Hochadels bis zu den planmäßigen
Erwerbungen der Museen, läßt sich bereits
durch annähernd zwei Jahrhunderte zurück-
verfolgen.
Der Reichtum und die Vielfältigkeit der Möbel-
sammlung des Museums für Kunstgewerbe ist
verschiedenen Ursprungs. Die begeisterten
Museologen der Vergangenheit haben seit dem
Bestehen des Museums, also seit der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts, aus vielen
Regionen Europas kunstgewerbliche Gegen-
stände angekauft. Die Sammlung wurde aber
auch durch Stiftungen hervorragender Kunst-
sammler bereichert. Die Möbel, die nach dem
zweiten Weltkrieg aus mehreren ungarischen
Schlössern in das Museum kamen, wurden
seitdem noch durch weitere Ankäufe ergänzt.
Der bedeutendste Teil der Budapester Samm-
lung von Möbeln beginnt mit Beispielen des
Louis-XlV-Stils und endet im wesentlichen
mit dem Empire; umfaßt also jene wichtigste
Periode, während der die französische Möbel-
kunst in Europa führend war.
Die Epoche Ludwigs XIV. ist wohl am besten
durch ein Bureau plat vertreten, das angeblich
aus der Werkstatt von A. C. Boulle stammtl
(Abb. 1). Bei der Marketerie des Tisches
handelt es sich um eine aus Ebenholz, Schild-
patt und teilweise graviertem Messing ge-
arbeitete „contre partie". Dazu kommen reich
ziselierte goldbronzene Beschläge. Die Tisch-
platte ist rechteckig und mit Leder bespannt;
in der Mitte der vorderen Zarge beHndet sich
ein tiefer liegendes, und seitlich davon ie ein
kleineres Schubfach. Die beiden letzteren
werden von dem oberen Schwung der drei-
eckig geschnittenen, geschweiften Beine um-
schlossen. Beine und Schubfächer sind mit
einer Ranken-Marketerie in goldbronzenem
Rahmen verziert. Die beiden Seitenfächer
sind vom Mittelstück durch schwere, geglie-
derte und gewölbte Beschläge getrennt. Den
(iriff des mittleren Schubfaches bildet eine
große Bacchusmaske, während sich an den
Vorderstücken der seitlichen Laden kleinere
Frauenmasken befinden. Die goldbronzenen
Schuhe der Beine enden in nach außen ge-
bogenen Voluten, und über dem Knieteil
sind Faunmasken angebracht. Auch die Seiten-
teile zeigen Rankeneinlagen. Die hintere
Zarge ist wie die vordere gegliedert, nur sind
die Fächer blind.
Dieses Möbelstück ist, wie gesagt, wahrschein-
lich eine späte Arbeit aus der Werkstatt von
Andre Charles Boulle aus den Jahren um
1700. Es handelt sich dabei um einen ziemlich
allgemeinen Typ der Bureau-plat-Möbel von
Boulle. Schon Havard hat auf diesen Grundtyp
hingewiesen 3. Das ihm am nächsten verwandte
Vergleichsbeispiel befindet sich in der Wallace
Collection4. Zur selben Gruppe gehört aber
auch der „Colbert-Schreibtisch"5, gleichfalls
in „contre partie" ausgeführt, der Boulle zu-
ANMERKUNGEN 17 5
1 1-1. Szabolcsi, Funde butorok (Französische Möbel), Budapest
1963.
1 lnv.-Nr. 54.3073, H. a1 (m, n. m4 m, T. so m,
1 1-1. I-lavard, Dinionnain: a: l'Amcublcmcnt. Paris 1391. 1.
s. 468, Abb. 322.
4 F. j. B. Watson, Wallace COHUCHOII Camlogues, London 1956.
s. 22b, Abb. 9a.
s cm. No. s, um v.