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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 82)

Wolfgang Fischer, London 
Egon Schiele in England und Amerika 
Das Ende der zweimonatigen Klimt-Schiele-Ausstellung. 
die Februar-März 1965 im Guggenheim-Museum 
(New York) gezeigt wurde, setzt den Schlußpunkt 
nach mehreren Konfrontationen der amerikanischen 
und englischen Kunstwelt mit dem Werk der öster- 
reichischen Expressionisten. 
Die Geschichte der zunächst enttäuschend zögernden 
Reaktion der englischen und amerikanischen Sammler 
beginnt genau mit der Ankunft jener österreichischen 
Emigranten (1938139), die entweder Werke 'des 
Malers oder wenigstens die Kenntnis seiner Werke 
aus ihrer alten Heimat mitbrachten. ,.Expressionisti- 
scher Stil" wurde aber vor allem in London mit 
„teutonischem und brutalem Stil" gleichgesetzt. Den 
Repräsentanten dieses Stils. Kokoschka mit einge- 
schlossen, begegnete man zurückhaltend und feindlich. 
Die politische Stimmung der vierziger Jahre mag mit- 
gespielt haben. obwohl gerade diese Künstler bereits 
in Österreich und Deutschland mit dem Stigma der 
"entarteten Kunst" gezeichnet waren. Mit der Distanz 
verschwimmen oft die feineren Unterschiede. und die 
damals noch unbestrittene Herrschaft der französischen 
Kunstprovinz im Geschmacksurteil der englisch 
sprechenden Länder darfnicht unterschätzt werden. 
Trotzdem versuchten Wiener Emigranten Zeich- 
nungen, Aquarelle und Bilder Schieles ihren neuen 
Sammlerfreunden und den hiesigen Museumsleuten 
vorzulegen. Die heute achtzigjährige Kunslhändlerin 
Lea Jaray (London, früher Galerie Wiirthle, Wien) 
versuchte von ihrer kleinen Londoner St. Georges 
Gallery aus immer wieder, Schiele-Blätter in englische 
Sammlungen zu bringen. Bis in die Mitte der fünfziger 
Jahre hatte sie damit wenig Erfolg, und die treuesten 
Kunden waren noch immer emigrierte Österreicher, 
die Schiele schon von Wien her kannten. Mehr Erfolg 
hatte Dr. Otto Kallir in New York, der vorher in 
Wien (Neue Galerie) seit 1923 das Werk Schieles 
betreut und ausgestellt hatte. Er ist auch der Verfasser 
des ersten großen Schiele-Oeuvre-Katalogs. der 1930 
bei Zsolnay in Wien verlegt wurde und in Kürze 
imselben Verlag neu aufgelegtwird. Am13. November 
1939 eröffnete Kallir seine iiGallery St. Etienne" in 
New York. die seither vor allem expressionistische 
Kunst zeigt und immer wieder das Werk Schieles 
herausstellt. Seit 1939 hat die Galerie St. Etienne vier 
Schiele-Ausstellungen veranstaltet (1941. 1948, 1957, 
1965). Ein Markslein in der Sammlungsgeschichte 
Schieles in Amerika wird durch die Erwerbung des 
Porträts ..Paris von Giitersloh, 1918" vom Minneapolis 
Institute ofArt (1954) gesetzt,aber auch der inSammler- 
kreisen magische Name Mellon (Schiele-Aquarelle 
und Zeichnungen in der Sammlung Gertrud Mellon, 
Greenwich, Connecticut) hat seine Wirkung sicher 
nicht verfehlt. Die Arbeit Kallirs wird auch durch 
eine Gruppe ehemaliger Österreicher erleichtert, die 
Schiele-Sammler sind. wie z. B. der Filmregisseur 
Billy Wilder in Hollywood. Dr. Max Alfert. Friederike 
Beer-Monti, Samuel Gallu, Hans Popper und Ala Story. 
Die wesentliche Grundlage einer breiteren Diskussion 
des im angelsächsischen Raum wenig bekannten Phä- 
nomens Egon Schiele wurde aber erst mit den drei 
großen Museumsausstellungen in Kalifornien. Boston 
und New York und der ersten großen Schiele-Aus- 
stellung in London bei Morlborough Fine Art gelegt. 
Thomas M. Messer. ein gebürtiger Prager und jetzt 
Direktor des Guggenheim-Museums in New York, 
veranstaltete1960 eine Schiele-Ausstellung mit vierzehn 
Nummern im Institute of Contemporary Art. Boston 
(Abb. 1). Diese Ausstellung wanderte von Boston nach 
New York (Gallery St. Etienne) und anschließend 
nach Louisville, Pittsburgh und Minneapolis. Im 
Katalogvorwort sagt Messer: "While Austrians speak 
of Klimt-Schiele-Kokoschka in one breath. it is only 
the cast name in the Austrian triad that has been 
acclaimed inlernationally on an equal footing with 
the now famous German expressionists." 
1963 veranstaltete Herschel B. Chipp an der Berkeley- 
Univeisität in Kalifornien eine Ausstellung ,.Wiener 
Expressionismus. 1910-1924", die auch im Pasadena- 
Museum gezeigt wurde (Abb. 2). Neben Klimt und 
Kakoschka wurde auch Schiele mit 69 Werken vorge- 
stellt. , 
lmiOktober 1964 veranstaltete'ich mit Hilfe des 
Wiener Schiele-Kenners und fanatischen Sammlers 
Dr. Rudolf Leopold die erste Londoner Schiele-Aus- 
stellung bei Marlborough Fine Art (Abb. 3). 28 Öl- 
bilder, 20 Aquarelle und Gouachen und über 
65 Zeichnungen wurden dem englischen Publikum 
gezeigt. Die Bilder aus der Sammlung Dr. Leopold 
wurden von London zur Guggenheim-Ausstellung 
geschickt. die im Februar 1965 eröffnet wurde. Die 
Guggenheim-Ausstellung zeigte 50 Bilder und 
48 Zeichnungen und Aquarelle. Darunter befanden 
sich so wichtige Bilder wie das erwähnte Gütersloh- 
Porträt und neben den Werken österreichischer und 
amerikanischer öffentlicher Sammlungen auch viele 
bedeutende Bilder aus österreichischen und ameri- 
konischen Privatsammlungen. wie z. B. das berühmte 
Porträt von Friederike Beer-Monti. Thomas M. 
Messer, der schon 1960 für die Schiele-Ausstellung in 
Boston verantwortlich zeichnete, war wieder der 
Spiritus rector und schrieb auch das Vorwort. 
Wie kann man die Reaktion Londons und New Yorks 
auf die beiden Schiele-Ausstellungen kurz charak- 
terisieren? Die Londoner Ausstellung war ein Kritiker- 
erfolg, und das Kunstpublikum kam in unerwartet 
großer Zahl. Der Katalog der Ausstellung war nach 
14 Tagen ausverkauft. Aber nur wenige Sammler 
und kein einziges englisches Museum konnten sich 
zum Kauf entschließen. ln New York war die Kritik 
lau und nichtssagend 7 POP, OP und kinetische 
Kunst beherrschen im Augenblick den Kunstge- 
schmack. aber amerikanische Sammler haben in den 
letzten 6 Monaten wieder eine Menge Schiele-Blätter 
für ihre Sammlungen erworben. 
Der Londoner Erfolg war so groß, dciß sich selbst 
eine so konservative Bildzeitschrift wie "London 
lllustrated News" zu einem doppelseitigen Bericht 
entschloß. Titel: "Egon Schiele - ein vergessener 
Künstler aus Österreich". Die "Architecural Review" 
verglich die Erotik in Schieles Werk mit der von 
D. H. Lawrence. Den erotischen Aspekt strich auch 
der Kritiker der "Sunday Times" heraus, während 
er Klimt als Landschaftsmaler über Schiele stellte. 
Der Kritiker des "Connoisseurs" verglich Schiele mit 
Modigliani und betonte die verwandte Fin-de-siecle- 
Stimmung, die sich im melodischen Rhythmus der 
Linie niederschlägt. Dennys Sutton hob in der Zeit- 
schrift "Apollo" das Verdienst der Marlborough- 
Galerie hervor, die mit dieser Ausstellung den Auf- 
takt zu neuer und tiefschürfender Beschäftigung mit 
dem „Wien um 1900" in London gab. Er bedauert, 
dal] die österreichische Malerei mit Ausnahme von 
Kokoschka hier noch unbekannt ist und Dichter wie 
Georg Trakl unübersetzt geblieben sind. Aber die 
Vorherrschaft des französischen Geschmacks sei 
bereits zu einem Ende gekommen und der Student 
von 1965 verfolgt jene Bereiche der kontinental- 
europäischen Kunstentwicklung außerhalb Frankreichs 
um so eifriger. lm "Studio lnternational" besprach 
der Germanist Michael Hamburger die literarische 
Situation zur Zeit Schieles und Otto Benesch das 
Leben und Werk des Malers. Der Kritiker des "Man- 
chester Guardian", Eric Newton. fand sogar ein 
Bonmot, um den Schock des Engländers vor der 
Geistigkeit Schieles zu charakterisieren: "Fledermaus 
tortures itself into the mood of Tosca" (Fledermaus 
quält sich ab. um in die Stimmung Toscas zu kommen). 
Edwin Mullins ("Sunday Telegraph") empfindet 
Schieles Werk als elektrischen Schock und empfiehlt 
es Sowjetideologen, die nach Beispielen für westliche 
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