Josef Cibulka
DIE FRÜHE CHRISTLICHE
ARCHITEKTUR IN MÄHREN
Als das Archäologische Institut der
Tschechoslowakischen Akademie der Wis-
senschaften von 1948 an in großem Aus-
maße altslawische Siedlungen auszugraben
begann, kamen dabei wider alles Erwarten
die Reste von ungefähr 20 Steinbauten,
zumeist von Kirchen, zutage, die man nach
zugehörigen Grabfunclen dem 9. Jahr-
hundert, also der Zeit des sogenannten
großmährischen Reiches zuschreiben konnte.
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Kirche Mikuleicc VIII
Die Hauptfundorte sind in Mähren an der
March gelegen: im Norden Star! Älärta
(Altrladl) mit Alodrd und Xagly, wo V. Hrubj
die Ausgrabungen unternahm, und im
Süden der große Burgwall von Älikulrvire,
wo Paulik zahlreiche Kirchenreste ent-
decken konnte. Auch an der Thaya, in
Pnlmnsleo, legte Fr. Kalaurek in einem
Burgwall die Reste einer großmährischen
Kirche frei. In letzter Zeit wurden auf der
Burg in Bratislava ebenfalls Fundamente
einer solchen Kirche gefunden.
Leider ist keiner von diesen Bauten ganz
erhalten geblieben. Da. die Bewohner der
benachbarten Ortschaften im Laufe der
Zeit die Mauern der bereits verfallenen
Kirchen bis auf den Grund ausgruben, um
sich geeignetes Material für ihre eigenen
Zwecke zu beschaffen, ist nur mehr wenig
vom alten Bestand in ritu vorhanden. Die
fehlenden oder durch die Aushebung der
Mauern teilweise erweiterten Fundamente
wurden mit übriggebliebenen Steintrüm-
mern, Mörtelstücken und Humus neu
aufgefüllt; alles das verband sich im Laufe
der Zeit zu einer kompakten Masse und
gibt heute eine Vorstellung der ursprüng-
lich angelegten Grundmauern, ohne ihre
exakten Formen und genauen Ausmaße zu
wahren (Abb. 1). Die so verunstalteten
Grundrisse bieten die einzige Voraus-
setzung, um die bisher gefundenen Kirchen-
reste nach ihren Typen in drei Gruppen
und vier Einzelfälle zu ordnen und mit
Hilfe dieser Gliederung ihre formale Her-
kunft zu ermitteln.
Die Mauern dieser Kirchen bestanden aus
mörtelgebundenen und Hachgeschichteten
Bruchsteinen. Diese Bautechnik war in
Mähren früher unbekannt und entsprach
auch nicht der Bauweise der eingewan-
derten Westslawen. Dagegen war sie in den
nördlichen Provinzen des römischen Reiches
vielfach verbreitet und erhielt sich dort
stellenweise bis in das frühe Mittelalter.
Man kann also annehmen, daß diese spät-
römische Bautradition aus den benach-
barten, südlich der Donau gelegenen ehe-
maligen Reichsprovinzen durch Bauleute
nach Mähren verpflanzt wurde.
I. KIRCHEN MIT LANGGESTRECK-
TEN, RECHTWINKELIGEN PRESBY-
TERIEN (Abb. 2, Tafel I)
Die oblongen SchiHe der meisten bisher
bekannten großmahrischen Kirchen laufen
nicht wie gewöhnlich in kurze und halb-
kreisförmige Apsiden aus, die folglich
doppelt so breit als lang sind, sondern in
rechtwinkelige Presbyterien, die schmäler
als das Schilf, zugleich langgestreckt, d. h.
merklich langer als breit sind. Von dieser
Art war die Kirzbe mm Mndrd (T. III, Abb. 3),
in der vor einem solchen langgestreckten
und rechtwinkeligen Presbyterium eine
(heute durch Ausgrabung verunstaltete)
Querwand verlief, die an den Seiten-
wänden des Schiffes Durchgänge freiließ.
In der Mitte des SchiHes standen zwei
nahegerückte Paare von Pfeilern. Eine
ähnliche Querwand befand sich auch vor
dem langgestreckten Presbyterium der
II. B. Kirrbe in Älikultica (T. II}, Abb. 4),
deren Schiff pfeilerlos war, aber ein Ehren-
grab enthielt. Dieses läßt ebenso wie
einige andere, gleichorientierte Gräber der-
selben Schicht zu, den Bau der Kirche in
das erste Viertel des 9. jahrhunderts an-
zusetzen. Ebenso alt ist die bereits erwähnte
Kirche von Modra, die auch durch awarische
Grabfunde zu datieren ist. In den Kirchen
dieserArt wurden dann derartige Querwände
nicht mehr wiederholt, und die Presby-
terien unterlagen unbedeutenden formalen
Änderungen (II. A., V. und VIII. Kirche,
Abb. 1, in Mikulcice, T. IIZ, 4, 5).
Langgestreckte und rechtwinkelige Presby-
terien waren seit dem frühen Mittelalter
eine Eigenart der Kirchenbauten des kelti-
schen Christentums auf den britischen
Inseln. Sie kommen vom 8. Jahrhundert
an gelegentlich auch auf dem Festlande
vor, wenn bei Errichtung einer Kirche
die Teilnahme insularer iroschottischer
Priester oder Mönche belegt ist, weshalb
man dort von Import sprechen kann. Aus
historischen Quellen ist bekannt, daß nach
796 und besonders nach der Auflösung
des Awarenreiches (798) auf Befehl Karls
des Großen das Christentum von Bayern
aus in den ehemals awarischen Gebieten,
zu denen auch Pannonien und Südmähren
gehörten, durch Missionare, besonders
unter den Slawen, verbreitet wurde. So
weihte der Salzburger Erzbischof um 828
eine Kirche in der Slowakei, woraus her-