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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 64 und 65)

teiligt. um das ganze Ausmaß dieses 
Vorganges entsprechend einschätzen zu 
können. Ich meine damit. daß Sie sofort 
zu diesen neuen Dingen persönlichsle 
Stellung nehmen mußten. in ästhetischer 
Hinsicht - ob das Neue Sie genügend 
kleidet - und in der leidigen materiel- 
len Erwägung: wie werden Sie die 
Mehrkosten durch den Mehrverbrauch 
an Stoff tragen können? Dieser sorgen- 
volle Umstand hat Sie gewiß so sehr 
beschäftigt, daß die große Metamor- 
phose geschehen war. bevor Sie sich 
der Änderung der Dinge ganz klar 
geworden sind. 
Wenn ich hier dieses krasse Beispiel so 
eingehend behandle. so tue ich es in 
der Überzeugung, daß wir auf diese 
Weise uns eher klar machen können. 
was es eigentlich ist. das die Mode 
macht. 
Der Abschnitt. dessen Ende wir in 
dieser Weise erlebt haben. hat mit der 
Jahrhundertwende begonnen und un- 
geföhr 25 Jahre gedauert. Er hat ein- 
gesetzt mit dem Fallen des Mieders. mit 
dem ersten Reformkleid. Dieses Reform- 
kleid - es war zunächst etwas ab- 
schreckend Hößliches. ein wahrer Mön- 
nerschreck und ein dankbares Objekt 
der damaligen so sehr humorvollen 
Simplizissimus-Zeichner - dieses Re- 
(nrmkleid brach radikal mit der Wes- 
pentaille und hing einen etwas pyrami- 
dal geformten Sack auf die Schultern 
der Frau. der sehr zum Überfluß noch 
mit breiten Ornamenten im damaligen 
Jugendstil dekoriert wor. Daß dieses 
Kleid zumeist die Schultern der damali- 
gen Frauenrechtlerinnen in Deutsch- 
land und Österreich beschwerte. möge 
man heute von der historischen Ent- 
wicklung aus diesen tapferen Frauen 
mit so viel Idealismus. Selbstverleug- 
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nung und sicherer Voraussicht ausge- 
stattet, hoch anrechnen. Denn damit 
wurde etwas geboren. was über die 
Mode weit hinausragte und als weib- 
liche Tracht dieses Jahrhunderts an- 
gesprochen werden kann. saweit wir 
dieses bisher übersehen. Es ist sehr 
bemerkenswert, daß in dieser kulturel- 
len Entwicklung gerade Deutschland das 
Fundament legte. Denn diese Erfindung. 
so geschmacklos sie zunächst war. 
wurde in Paris als wertvoll genug 
angesehen. um von sehr fahigen Künst- 
lern. wie es besonders ein Paul Poiret 
war. ausgebaut und mit französischem 
Können für die ganze zivilisierte Welt 
adaptiert zu werden. 
Was später daraus wurde. entstand 
in konsequenter. logischer Weiterent- 
wicklung. Nach der Befreiung von dem 
Korsett kann die von der Hutnadel. 
Der Frauenhut wurde. den Kopf wirke 
lich ..hütend". über ihn gestülpt. ohne 
daß ein fremdes Befestigungsrnittcl, die 
mit Recht wegen ihrer Allgemeine 
geföhrlichkeit viel gefürchtete l-lutnadel. 
nötig war. In Wien war es Helene 
Oditon. die als erste auf der Bühne 
demonstrierte. wie dieser von der Hut? 
ncidel befreite Hut zu gebrauchen ist. 
Und dann kam die Befreiung von der 
Schleppe im Salon und von dem staub- 
kehrenden Rock. Viel später kamen die 
kurzen Haare i eine wirkliche Be- 
freiung von einer ungeheuren Fessel! 
Die Tendenz des Kürzens des Frauen? 
rockes war dabei die größte und 
wichtigste Aktion und brauchte deshalb 
auch iui- ihre Unternehmung und allein 
VOF und Zuruck schließlich ganze 
Z5 Jahre. 
In diese Zeitspanne fallt das Erleben der 
meisten Erfolge der Frau, die uin ihre 
Befreiung auf so vielen Gebieten
	        
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