aus dem die Marientafeln ihre Art ge-
wonnen haben. Die Köpfe der fünf Män-
ner, die Christus steinigen wollen, könnten
auch den Zuschauern in der Vermählung
Mariens gehören. Der Mann mit dem
Spitzhut ähnelt dem in der Federzeichnung
zuäußerst links stehenden Mann. Und
ebenso scheint sich zu den Astrologischen
Zeichnungen der Morgan Library ein
Bogen zu schwingen. Der Merkur etwa
läßt an Apostelköpfe im Marientod denken,
Köpfe der Freier erinnern wiederum an
den Saturn. Ausdrucksvolle Häßlichkeit
schätzten diese Zeichner gleich wie der
Maler der Marientafeln höher als fein-
gliedrige Schönheit. Im Marientod sind die
Gewänder dem Mantel des Saturn auf-
fallend ähnlich drapiert. Und der Pilger
in der Miniatur der ins vorletzte Jahrzehnt
zu datierenden Brüsscler Handschrift der
Werke des Guilleaume de Deguileville
könnte auch im Stabwundcr iiguriercn.
Die große Apokalypse der Pariser National-
bibliothek steht ferner, mancherlei recht
auffällige Ähnlichkeiten und Verwandt-
schaften zeigt die Teppichfolge mit Szenen
aus den Legenden der hll. Piat und Eleu-
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therius in der Kathedrale zu Tournai, die
in den Jahren bis 1402 in Arras im Atelier
des Pierrot Fere angefertigt worden ist.
Wie immer bei Vergleichen zwischen Tafel-
bildern und Tapissetien ist auch hier zu
bedenken, daß der Wollfaden manche
Kontur kräftiger, manchen Übergang der-
ber erscheinen läßt, als ein Maler sie in
seinem Bilde dank seiner geschmeidigen
Mittel zu geben in der Lage gewesen Wäre.
Um so mehr muß überraschen, daß nicht
nur Gesichtstypen, Bärte und Haare, son-
dern auch Gewandkonturen und Falten-
motive auffallend gleicher Art begegnen.
Den Teppichen fehlt völlig der Einschlag
von seiten jacquemarts de Hesdin, der in
den Marientafeln zu beobachten ist. Zudem
sind die Figuren in den Teppichen ge-
drungener, schon finden sich gezaddelte
Gewänder, Sendelbinden, Modeformen des
frühen 15. Jahrhunderts also. Neben tre-
centesken, vorn offenen Kastenarchitek-
turen sind heimische Bauwerke, Fachwerk-
häuser, Kirchen, Burgen, Stadttore ge-
schildert, und mitunter sind sie zu winke-
Iigen Gruppen zusammengeschoben. Hügel
und Felsen dehnen sich, Blumen und
Bäumchen zieren sie. All das ist anders,
fortschrittlicher, und aus technischen Grün-
den sprechen Konturen und Falten leb-
hafter, erscheint die Zeichnung betonter
als in den Marienbildern, dennoch meinen
Wir, daß die Teppiche wie eben die Marien-
tafeln dem gleichen Schulkreis entstammen.
Trotz der betonten Unterschiede äußern
viele Motive, Figuren, Gesichter doch das
gleiche Fnrmempl-inden. Das Gewand des
Bischofs, der vor dem den Tournesiens
predigenden Piat kniet, zeigt dieselben
Faltenbewegungcn wie die Mäntel der
Apostel im Marientod. In der nur frag-
mentarisch erhaltenen Szene, die die Zer-
störung der Götzenbilder schildert, hockt
rechts unten ein Mann am Boden, der dem
rechts sitzenden Apostel im Marientod in
Gebärde, Gesicht und Gewand so auf-
fallend gleicht, daß wenigstens ein mittel-
barer Zusammenhang angenommen wer-
den darf, und wieder erscheint der Apostel
als die altcrtümlichere, als die mehr tre-
centeske Gestalt. Jünger noch ist der
Passionsteppich in Zaragoza, ein Schul-
zusammenhang muß auch hier bestanden
haben, wie zum Beispiel die Gruppe der