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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 89)

aus dem die Marientafeln ihre Art ge- 
wonnen haben. Die Köpfe der fünf Män- 
ner, die Christus steinigen wollen, könnten 
auch den Zuschauern in der Vermählung 
Mariens gehören. Der Mann mit dem 
Spitzhut ähnelt dem in der Federzeichnung 
zuäußerst links stehenden Mann. Und 
ebenso scheint sich zu den Astrologischen 
Zeichnungen der Morgan Library ein 
Bogen zu schwingen. Der Merkur etwa 
läßt an Apostelköpfe im Marientod denken, 
Köpfe der Freier erinnern wiederum an 
den Saturn. Ausdrucksvolle Häßlichkeit 
schätzten diese Zeichner gleich wie der 
Maler der Marientafeln höher als fein- 
gliedrige Schönheit. Im Marientod sind die 
Gewänder dem Mantel des Saturn auf- 
fallend ähnlich drapiert. Und der Pilger 
in der Miniatur der ins vorletzte Jahrzehnt 
zu datierenden Brüsscler Handschrift der 
Werke des Guilleaume de Deguileville 
könnte auch im Stabwundcr iiguriercn. 
Die große Apokalypse der Pariser National- 
bibliothek steht ferner, mancherlei recht 
auffällige Ähnlichkeiten und Verwandt- 
schaften zeigt die Teppichfolge mit Szenen 
aus den Legenden der hll. Piat und Eleu- 
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therius in der Kathedrale zu Tournai, die 
in den Jahren bis 1402 in Arras im Atelier 
des Pierrot Fere angefertigt worden ist. 
Wie immer bei Vergleichen zwischen Tafel- 
bildern und Tapissetien ist auch hier zu 
bedenken, daß der Wollfaden manche 
Kontur kräftiger, manchen Übergang der- 
ber erscheinen läßt, als ein Maler sie in 
seinem Bilde dank seiner geschmeidigen 
Mittel zu geben in der Lage gewesen Wäre. 
Um so mehr muß überraschen, daß nicht 
nur Gesichtstypen, Bärte und Haare, son- 
dern auch Gewandkonturen und Falten- 
motive auffallend gleicher Art begegnen. 
Den Teppichen fehlt völlig der Einschlag 
von seiten jacquemarts de Hesdin, der in 
den Marientafeln zu beobachten ist. Zudem 
sind die Figuren in den Teppichen ge- 
drungener, schon finden sich gezaddelte 
Gewänder, Sendelbinden, Modeformen des 
frühen 15. Jahrhunderts also. Neben tre- 
centesken, vorn offenen Kastenarchitek- 
turen sind heimische Bauwerke, Fachwerk- 
häuser, Kirchen, Burgen, Stadttore ge- 
schildert, und mitunter sind sie zu winke- 
Iigen Gruppen zusammengeschoben. Hügel 
und Felsen dehnen sich, Blumen und 
Bäumchen zieren sie. All das ist anders, 
fortschrittlicher, und aus technischen Grün- 
den sprechen Konturen und Falten leb- 
hafter, erscheint die Zeichnung betonter 
als in den Marienbildern, dennoch meinen 
Wir, daß die Teppiche wie eben die Marien- 
tafeln dem gleichen Schulkreis entstammen. 
Trotz der betonten Unterschiede äußern 
viele Motive, Figuren, Gesichter doch das 
gleiche Fnrmempl-inden. Das Gewand des 
Bischofs, der vor dem den Tournesiens 
predigenden Piat kniet, zeigt dieselben 
Faltenbewegungcn wie die Mäntel der 
Apostel im Marientod. In der nur frag- 
mentarisch erhaltenen Szene, die die Zer- 
störung der Götzenbilder schildert, hockt 
rechts unten ein Mann am Boden, der dem 
rechts sitzenden Apostel im Marientod in 
Gebärde, Gesicht und Gewand so auf- 
fallend gleicht, daß wenigstens ein mittel- 
barer Zusammenhang angenommen wer- 
den darf, und wieder erscheint der Apostel 
als die altcrtümlichere, als die mehr tre- 
centeske Gestalt. Jünger noch ist der 
Passionsteppich in Zaragoza, ein Schul- 
zusammenhang muß auch hier bestanden 
haben, wie zum Beispiel die Gruppe der
	        
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