MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 93)

klärung und Revolution mit anderen poli- 
tischen Voraussetzungen begann, ließen 
neue Xtaatr- und Zererrlonienxuagen bauen. 
Denn seitdem das von der Revolution so 
verpönte Repräsentationsbedürfnis mit der 
neuen und prunksüchtigen Kaisermacht 
Napoleons I. wiederkchrte, wurden auch 
höchsten Ansprüchen genügende Wagen- 
bauerateliers zu neuen Leistungen ange- 
spornt. Kostbare und bis dahin noch pietät- 
voll aufbewahrte ältere Wagen hat man 
damals „als altmodisch aus aller Activität" 
gesetzt, wie das für den Krönungswagen 
Karls VII. um 1830 bezeugt wird. Auch 
neue Krönungswagen wurden gebaut: zum 
Beispiel für Napoleon I., der bei seiner 
Krönung mit den traditionellen Bräuchen 
der vorrevolutionarcn Ära brach (1804), 
und dann für den nach dem Sturze des 
Soldatenkaisers wieder eingesetzten Bour- 
bonen Ludwig XVIIL, dessen Krönung 
immer wieder verschoben wurde G814] 
1819), und schließlich für seinen Nachfolger 
Karl X., der den für seinen verstorbenen 
Bruder begonnenen, dann aber unvollendet 
gelassenen Krönungswagen für sich fertig 
bauen ließ (1825)'l. 
In den Königreichen deutscher Sprache, 
wo man aus Verfassungsgründen oder nach 
nüchternen ökonomischen Überlegungen 
meist von einer prunkvollen Inthronisation 
und Salbung der Monarchen absehen 
mußte, sind Krönungswagen traditioneller 
Bestimmung natürlich überflüssig geworden. 
Wo dennoch ranggleiche Zeremonienwagen 
bestellt und angefertigt wurden - wie 
beispielsweise für das Königreich Bayern 
(vergleiche Anmerkung 1) 7 handelte es 
sich um eigentliche .l'lmzl.r- und nicht 
Krönungmagerl, wie man sie aus alter Ge- 
wvohnheit aber noch zu nennen pflegte. 
Diese „Slaatr-Kulxrhe iJl auf Allerboerhxten 
Befehl Xeirler Mqjexlael de: Koemg: von Bqyern 
. . . vegferlzgt worden" lautet die Inschrift am 
sogenannten Zweiten Alünrhener Krönung:- 
wagen von 1818 (Marstallmuseum Nymphen- 
burg)1l (Abb. 6). Als känzlglirl) bzylerixrben 
XIaatJ-Wagen bezeichnete ihn auch der be- 
rühmte Straßburger Wagenbauer und später 
unter König Max I. joseph angestellte 
königliche Wagenbauinspektor ]ohann 
Christian Ginzrot, der ihn entworfen hat 13. 
Außer den Wappen des Herrschers und 
seines Staates waren solche Wagen meist 
mit beider Insignien ausgestattet. In ihnen 
fuhren der Souverän oder auch sein Stell- 
vertreter A der zu bestimmten Anlässen 
in diesen Wagen gar die Kron- und Staats- 
insignien zu begleiten hatte (vergleiche Ab- 
bildung 6a) 7 zu konstitutionellen Staats- 
akten wie Verfassungsverkündigungen, Par- 
lamentseröffnungen, offiziellen Besuchen 
dieser Gesetzeskörperschaften, zu Gedenk- 
feiern und nationalen jubiläen. Innerhalb 
der eigenen Dynastie benutzte man solche 
Staatswagen auch zu politisch wichtigeren 
Hochzeiten und ehrte mit ihnen gelegent- 
lich auch Botschafter bedeutenderer Mis- 
sionen. Den ungeheurcn Eindruck, den 
ein solcher Staatswagen im frühen 19. jahr- 
hundert noch machen konnte, schildert am 
treffendsten wohl der obengenannte Wagen- 
20 
bauinspektor Johann Christian Ginzrot, 
besonders wenn er von dem „äußerst 
angenehmen Gefühle" beim Anblick der 
„Vergolzlung in großen Massen" an derlei 
Wagen spricht: 
„Sey es nun, daß diese Gefühle von der 
natürlichen oder sympathethischen Wir- 
kung entstehen, welche das glänzende Gold 
auf unsere Organe, wie eine hellscheinende 
Sonne, ausübt, sey es, daß ein eingewur- 
zeltes Vorurtheil seit unserer zartesten 
Jugend ein Gefühl von Ehrfurcht, Bewun- 
derung und Freude, beym Anblicke eines 
Metalles zurückläßt, von welchem so oft 
Glück und Unglück des menschlichen 
Lebens abhängt. 
Die Volksklasse, welche am wenigsten von 
diesem edlen Metalle besitzt, und es nur 
in der Ferne zu erblicken gewohnt ist, 
verzehrt mit gierigen Augen ein solches 
von Pracht und Herrlichkeit strahlendes 
Werk, und sieht mit einem frommen Blirke 
den prächtigen Xlaalrulagen de: König! lang- 
sam durch die zahllose Menge . . . heran- 
nahen, und sich vor allen Gegenständen, 
die ihn in dem feyerlichen Zuge umringen, 
auszeichnen: es glaubt (die Volksklasse), 
einen prärhligen Tempel zu erblicken, der 
ein höhere: Waren einrrbliejfl, den Gegenstand 
seiner Verehrung, seiner Liebe, und seiner 
ehrfurchtsvollsten Huldigung" 14. 
Offensichtlich in noch lebendiger Erinne- 
rung an die hohe symbolische Bedeutung 
der Kränmiqr- und Zeremonienwagen des ver- 
gangenen Jahrhunderts hat man in den 
ersten Jahrzehnten des beginnenden In- 
dustrie- und Automobilzeitalters von allzu 
häunger Verwendung solcher Wagen ab- 
gesehen. Denn mit dem Aufkommen jener 
revolutionären Bewegungen, die fast alle 
europäischen Nationen seit 1848 zu libera- 
leren Verfassungen drängten, mußte auch 
jenes Staatsdcnken, das den repräsentativen 
Zeremonienwagen einst verlangt und her- 
vorgebracht hatte, endgültig untergehen - 
außer in der romantisch schwärmerischcn 
Gesinnung König Ludwigs II. von Bayern 
(gestorben 1886), dessen ideale Auffassung 
eines Herrschertums „von Gottes Gnaden" 
natürlich entsprechende Prunkwagen ge- 
fordert hatl5. 
Es dauerte darnach nicht lange, bis man die 
teils aus Pietät verwahrten, teils aber schon 
für museale Zwecke reservierten Vehikel 
bald zu allen möglichen Anlässen aus ihren 
Remisen hervorholte. Man degradierte sie 
zu reinen Prunkfahrzeugen, in denen sich 
Volksvertreter und Staatsoberhäupter wie 
in einem Krünungsornate scheinbarer Legi- 
timität alten Gottesgnadentums produzier- 
ten. Oder man erfreute sich an der schon 
als überladen empfundenen goldenen Pracht, 
mit welcher in Prozessionen und histori- 
schen Umzügen bequem der erste Preis 
zu gewinnen war. Die alte symbolhafte 
Bedeutung dieser Sfaatr- und Kränurigxwqqen 
hat sich heute wohl nur mehr irn englischen 
Königtum erhalten, wo alle Repräsen- 
tationsauffahrten des Souveräns - in der 
Royal Stare Coach - noch mit einem 
ernsten Traditionsbewußtsein inszeniert zu 
werden pflegen. 
ANMERKUNGEN 11 - 15 
H w Krönungswageu. s. 290-282. 298-300. 
u P.-W.. Bayerische Kxönungswagcn, K... s. 19. 
u Zu den wenigen bekannten Faktcn c zrots Lebcn 
siehe w., Krönungswagcn, s. aß sowie P.-W., Baycx. 
Krönungswagen, s. 1044 sowx: Im. s. 17 und 19. 
M J. cm. Ginzrot, Wagen und Fahrwerke, 111. Münchm 
13:10. s. 1901191. 
ß L. Hager. Malstallznuscum, K21. Nos. as, 36, 3a, a9 
sowie P.-W., Bayer. Kxöuuugswagen, s. 13. 
  
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.