Und so lautet die Formulierung meiner Methode:
die absolute Analyse, das intuitive Erfassen des
Objekts und Milieus im Sinne des biologischen
Monismus und die dieser Auffassung entsprechende
künstlerische Lösung."
Aufeiner großen Ausstellung russischer und sowje-
tischer bildender Kunst in der Berliner Galerie
van Diemen 1922 stellte Filonow eine große
panoramaartige Komposition unter dem Titel
.,Eintritt in die Weltentfaltung" (1919120) aus.
Er verband hier den sozialkritischen Blick mit der
verallgemeinernden Parabel auf das Thema:
Schicksal des Menschen und der Menschen. Ein-
zelne Gestalten irren hier durch ein Labyrinth
von Formen und suchen in ihnen ihren festen Platz.
manche gelangen bis an die Rampe der Szene,
wo sie in spannender Erwartung erstarrt stehen-
bleiben.
Diese monumentalisierende tigurale Komposition
findet ihr logisches Gegenstück in einer Reihe
analytischer Studien von Köpfen. In diesen erreicht
Filonows Interesse um die Enthüllung der in den
inneren psychophysiologischen Strukturen vor
sich gehenden Prozessen seinen Höhepunkt. die
sein Pinsel hier mit der Genauigkeit einß Berufs-
anatomen symbolisch modelliert. Aus den ein-
zelnen physiognomischen und physiologischen
Elementen löst sich allmählich ein Strom des
semantisch differenzierten Formfeldes, explodiert
ein ganzer Geysir scherbenartiger Elemente. die
das Bild mit der kompliziert rhythmisierten Er-
regung ihrer Unruhe erfüllen. Jedes der einzelnen
konstitutiven Bildelemente ist an sich ein Objekt
weiterer und weiterer Analysen. Jedes Thema
bringt zugleich neue Arten der Applikation und
der Vervollkommnung des universalen Systems der
Ausdrucksmittel und seine neue Definition mit
sich.
Bilder wechseln ab. in denen noch die Logik des
Aufbaus kubofuturistischer Provenienz mit lowl-
nenartigen Strömen autonomer Formen zutage
tritt, aus denen nur hie und da wie surrealistische
Phantome genau beobachtete Fetzen einer Realität
auftauchen. Filonow malt bereits 1923 ein größeres
Bild nur aus absoluten Formen, das als repräsen-
tatives Dokument analytischer Abstraktion gilt.
Es ist ein Dokument, einer der zahlreichen Äste
des komplexen Programms der analytischen
Kunst.
Auf Tuschzeichnungen von Köpfen verwachsen
die physiognomischen Elemente ganz logisch mit
dem Mosaik suprematistischer Formensprache. mit
kleinen Rechtecken. Dreiecken, mit Zickzack- und
Segmentformen. Im System polysemantischer Struk-
turen durchdringen sich die konkreten repräsen-
tativen Sinne mit einer ganz autonomen Symbolik.
Die Universalität dieser Methode soll durch ihre
Anwendung auch bei solch traditionellen Themen,
wie sie das Genre (Das Wirtshaus, 1924) oder das
Porträt (Das Kolchosmitglied, 1931) darstellen,
bewiesen werden. Filonow verleugnet nie. daß
er ein vollberechtigter Erbe des psychologischen
Analytismus der russischen realistischen Kunst des
19. Jahrhunderts ist.
Reale Schilderungen wechseln mit bizarren meta-
phorischen Visionen voller Grausamkeit und
Schrecken ab, wie sie z. B. das Bild Die Bestie
(1925126) verkörpert. Drei Tiermonstren mit
menschlichen Physiognomien irren durch die
Gassen einer öden Stadt. als lauerten sie auf Beute.
Das apokalyptische Grauen der Szene verbindet
sich freilich mit einer prächtigen, märchenhaft
unwirklichen Bildhaftigkeit und lößt so ein
Ganzes entstehen. das ein beredtes Dokument
der gelebten Zeit und eine fesselnde Offenbarung
der trügerischen Vision eines einzigen Augen-
blickes ist.
Bereits 1925 scharte sich um den Meister eine
Gruppe von Schülern und Nachfolgern, das so-
genannte Kollektiv der Meister analytischer Kunst,
das unter Filonows Leitung einige wichtige Ar-
beiten ausführte. vor allem 1927 einen Zyklus
von thematischen Malereien im Haus der Presse
in Leningrad. In diesem Kollektiv waren Künstler.
die ihren Lehrer auch in der Art des ganz der
künstlerischen Wahrheit und dem Schaffen ge-
widmeten Lebens nachahmen wollten. Aber nur
wenige hielten dem Feuer der offiziellen Dogmatik
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