AUS DEM KUNSTLEBEN
ARNOLD CLEMENTSCH ITSCH
Eröffnungsansprache bei seiner Ausstellung
in der Galerie Würtlile anläßlich seines
60. Geburtstages am 2. November 1967
Geistige Begebenheiten sind ihrem
Wesen nach niemals privat. aber das
geistige Leben eines Menschen kann, aus
verschiedenen Gründen. in eine nahezu
private Existenz zurückgedrängt wer-
den. Der einzelne aber, der in seiner
Beschiedenheit oft bis zur Unkenntlich-
keit isoliert erscheint oder gegenüber
seiner Zeit, selbstbewußt, auf einem
abseitigen Standpunkt verharrt, er
kann gleichwohl ein origineller Künstler
sein und eine größere Aufgabe haben als
die weithin sichtbaren Führer der Ak-
tion und ihre Mitläufer. Das Leben
dieses einzelnen hat Stillstand und Tod
vorgetäuscht, sein Werk hat den Augen
läutiger Gaffer nichts gesagt. So oder
so ähnlich verhält es sich auch mit dem
Leben und Schaffen des Malers Arnold
Clementschitsch, dem wir heute hier,
Aug in Aug. gegenüberstehen, ihm und
seinen Werken. Und was das heißt,
was diese Bilder bedeuten, in ihrer
lmmanenz und vor dem Hintergrund
der Zeit, dafür wird es einmal auch
noch ein Aufsehen geben. (Was Sie
hier sehen. ist nur ein kleiner Teil des
Vorzüglichen. das er geschaffen hat.)
Clementschitsch entstammt einer ange-
sehenen, kinderreichen Bürgerfamilie
der Stadt Villach. Sein Vater war
Advokat.
Die Malerei unseres Freundes stellt
meines Erachtens eine interessante
Antithese zur Kunst unserer Zeit dar;
er selbst kann zunächst nur aus dem
Geist einer Zeit begriffen werden, die
vergangen ist. denn er ist. ganz sum-
marisch ausgedrückt, ein "unpoliti-
scher" Geist. Wir können uns über ihn
am einfachsten durch einen Blick auf
die fabelhafte Landkarte der Habs-
burger Doppelmonarchie orientieren.
Damals haben sich die verschiedenen
Nationalitäten noch nicht im Fremden-
verkehr berührt; sie lernten einander
bei der täglichen Arbeit. auf den
Straßen und Eisenbahnen, in Kasernen
und Wirtshäusern kennen. Villach.
Triest, Laibach und Klagenfurt sind
gutnachbarliche Provinzstädte desselben
Reiches. Die ethnologischen und sozialen
Verhältnisse jenes Reiches haben aufdie
Natur unseres Freundes abgefärbt und
in seinem Charakter seltsame Spuren
hinterlassen. Wer ihn näher kennt.
weil} die Zeichen zu deuten, die ihn
gefördert. gehemmt, begrenzt und
fixiert haben. Das geschah freilich nicht
ohne anderweitige geistige Einflüsse.
ich nenne nur Darwin, Nietzsche und
Freud. Aber damit ist seine künstle-
rische Eigenart keineswegs erklärt.
Diese Eigenart ist ja wohl zutiefst in
seinem eigenen Naturell begründet,
resultiert zunächst aber aus der Ausein-
andersetzung mit dem Akademismus,
mit dem Impressionismus. und mehr
noch aus einer. wenn ich so sagen darf.
eigensinnigen Wahlverwandtschaft mit
Einzelgängern wie Puvis de Chavanne
und Hodler. Aber das alles ist Kunst-
geschichte, überlieferte Wissenschaft.
und für Clementschitsch nicht das Ent-
scheidende. Entscheidend bei ihm ist,
daß alle Kunstliteratur, in Büchern und
Museen. vor seinem Blick immer wieder
in nichts zerfällt oder wie ein Vorhang
zerreißt, so daß ihm. wie mit einem
Blick auf eine belebte Straße. nackt und
unverstellt der Alltag erscheint, das
gemeine, wirkliche Leben, die Dinge in
ihrer seltsamen Gewöhnlichkeit. Dann
sieht er sie wie am ersten Tag. Ge-
schichte ist für ihn Asche und die Natur
ein unbeschriebenes Blatt. auf das er
seine zugleich sachlichen und exzentri-
schen Briefe an die Schönheit schreibt.
Di Art von ,.Voraussetzungslosig-
kei st etwas sehr Seltenes, sie zeichnet
aus und isoliert. sie läßt den. der ihr
huldigt, als Sonderling oder Ketzer
erscheinen.
Die materielle Lebensart unseres Freun-
des ist spartanisch. oder wie die eines
Hausierers, seine Umgangsformen ha-
ben etwas Kavaliersmäfiiges oder Bäu-
risches, im Mantel der klassischen
Boheme. Clementschitsch war nicht
berufen. bürgerliche Traditionen fort-
zusetzen und ein nützliches Handwerk
zu treiben; daraus erklärt sich auch,
daß ihn ein gewisser aristokratischer
Typus stark beeinflußt hat. der Aben-
teurer. Träumer, Spieler. Duellierer
und Dilettant. Er hat diesen Leuten ein
freundliches Interesse bis heute bewahrt.
Sein feuerspeiendes Herz hat nie ein
geordnetes Verhältnis gefunden. er
war ein Außenseiter von Anfang an,
und dementsprechend sind seine Kon-
takte.
Doch ist das Bürgertum, das er in seinem
Lebenswandel konsequent verleugnet
hat. an seiner Existenz nicht so unbe-
teiligt. wie es scheint. Die Handwerker
und Kaufleute. Ärzte und Advokaten in
Kärnten haben Auftrage gegeben. sie
waren vom Bohemien amüsiert und
haben ihm schließlich auch jene kost-
baren Bilder abgekauft, die sich ganz
der Erfindung seiner starken Augen
verdanken. Sie haben freilich nicht viel
dafür gezahlt; den Preis zu treiben
oder nur zu halten. dazu hatte Cle-
mentschitsch keine Zeit, die Voraus-
setzungen fehlten. der Rückhalt: er hat
sich oft kärglich durchgebracht. Seine
Situation ist heute noch dieselbe, er
muß Kunden suchen und Aufträge aus-
führen. Aber das hält er für selbstver-
ständlich, er glaubt nicht, daß der
Künstler darüber hinaus irgend etwas
zu fordern habe. Bei alledem war
unserem Freund eine sehr gerade Bahn
vorgezeichnet. Er geht auch immer
geradeaus, er verbirgt nichts. und
nichts bleibt vor ihm verborgen. Seine
private Umwelt möchte ich mit einem
fast unmöblienen und unordentlichen.
aber ganz hellen. durchsichtigen Zim-
mer vergleichen. Es liegt bei ihm auf
allen Dingen ein Licht, das selbst dem
Traurigen und Miserablen klare Kon-
turen gibt. Das ist das Geheimnis der
Schamlosigkeit, die mit Klarheit ver-
schwistert ist.
Nietßches und Freuds Einfluß habe ich
bereits erwähnt. ich nenne noch Strind-
berg, Kipling und Dickens. und zuletzt
Gustav Britsch, den kaum jemand
kennt. Seine ,.Theorie der bildenden
Kunst", von der niemand etwas wissen
will, hat nachhaltigen Einfluft auf Cle-
mentschitsch ausgeübt. Er hat diese
Theorie auf seine eigene Arbeit ange-
wendet und seine Schüler darin unter-
richtet. Sie stellt nichts weniger als
eine ,.Schule des Sehens" dar, die
Clementschitsch selbst absolviert und
durch eigene Erfahrungen und Er-
kenntnisse bereichert hat. Sie verpönt
alles "bloß Sensationelle". Es dürfte
zum Teil auf sie zurückzuführen sein.
daß Clementschitsch in der Kunst den
Charakter einer ..deutlich wahrnehm-
baren Zeitlosigkeit" zu definieren und
zu gestalten sucht. Jedenfalls hat er
sein Handwerk stets theoretischen Klar-
stellungen unterworfen. So unterscheidet
er die Technik. als das Geistige
Kunst. vom Inhalt und von der l
schaft, die er erweckt, als dem
schert. Diese Dinge und A
sind gleichwertig und müsser
zum Zwecke der Vollkommenhc
Waage halten. Wieweit das in
Schaffen der Fall ist. Iäßt er dahin
sein. Er glaubt der Arbeit, alsi
Geistigen, vor dem Emotionelle
Vorzug gegeben zu haben.
Ich kenne Clementschitsch seit lc
ich habe in den ersten Jahrer
dem Krieg, als der Alkohol no
war, die längsten und gefährl
Tage und Nächte meines Lebe
ihm verbracht. Wir waren fast
unterwegs. die ersten und die l
von Ort zu Ort, von einem Lo
andere.
Er steht heute wie damals vor I
Hut und Mantel. mit breni
Zigarette, den Stock in der Ha
ist er uns. mit gespielter Reservi
ausgegangen, wie einer. der es gi
ist, durch offene Türen zu geht
bei seinem Herannahen aufspi
Dabei war sein Sinn nach einen
gerichtet. das ihm vorschwebte.
dem Bilde eines nackten V
..verboten, traumhaft. zwei zu vie
Er folgte der "Wahrheit". die dil
unter der Gestalt eines nackten l
allegorisiert haben.
Clementschitsch ist ein Advoki
"Triebgetreuen", wie er das
ein philosophischer Zyniker. pr
schlicht wie ein Naturkind.
Erscheinung zog aller Augen Cli
aber er konnte .,ungemütlich" vi
denn plötzlich war ihm die Zi
lichkeit der Leute, die er selbst l
gefordert hatte. unerträglich. Da
es oft Streit, Schlägerei. polizi
Einschreiten, manchmal auch Art
Am nächsten Tage ging es aber
durch Stadt und Land. und di
samsten Gespräche erneuerten si
eindrucksvollsten waren zuletzt
endlosen Selbstgespräche, unnacl
zwischen apathischem Gemurm-
renitenter Lautstärke schwanke
trieb es bis zum Exzeß; das Auffi
daran war eine eigene Würd
Wohlerzogenheit. die immer
zum Vorschein kamen und ihn
zeichnen.
DIREKTIONSWECHSEL AN WIENER
MUSEEN
MiI Jahresende gingen der Direklor des
Kunslhislorischen Museums. Uniw-Prolessor
Dr. Eduard Holzmair. und der Direklor des
Ösierreichischen Museums für angewandte
Kunsi. Dr. Viklor Grießmaier. in den Ruhe-
sland.
Am Kunsthisiorischen Museum lriii die Nach-
folge der bisherige Direktor der Sammlung
von hisiarischen Prunk- und Gebrauchswagen
(Wagenburg). Dr. Erwin Maria Auer. an.
Am Oslerreichischen Museum für cngewandle
Kunsl lolgi in der Direklion Kuslas Dr. Wilr
helm Mrazek. der Leiler der Abieilungen
Glas. Porzellan und Keramik sowie Chef-
redakieur der Zeilschrill "Alle und moderne
Kunsl".
Dr. lgnaz Schlosser. der ehemalige Direklor
des Öslerreichischen Museums für angewandie
Kunsl. den wir auch zu unseren Milarbeilern
liihlen dürfen. feierle vor kurzem seinen
75. Geburislag. Die Redaklion beglück-
wünschl den Jubilar, der diesen Tag in voller
Frische und Gesurdheil begehen konrile.
Die Wiener u ihre Museen
Das Bundsmi erium (Dr UnIerrichi gibi
bekarinl. duß in den ihm unlerslehenden
Siaallichen Kunslsammlungen und Museen in
den Monalen Oklober 1967 91.883 und Nur
vember1967 60.549 Besucher gezühli wurden.
50
nJOSEPH M. OLBRICH 186741908" --
DAS WERK DES ARCHITEKTEN
Hessisches Landesmuseum Darmsladi,
15.12.1967?10.3.1966
Die Ausslellung wurde vom Hessischen
Landesmuseum Darmsladl zusammen mil
der Kunslbiblialhek der Siaallichen Museen
Berlin zum 100. Geburislag des Künstlers
seil langem vorbereilei.
Joseph M. Olbrich zahl! ZU den wichligslen
Archiieklen des Jugendslils. Aus dem Kreis
der Wiener Secession kommend. deren
Ausslellungsgebüude er 1398 gschaffen halle.
wurde er ein Jdhr spüier nach Darmsicidl
berufen. Seinem Wirken als Archilekl und
Fnrmgesiciller. als Miibegründer der Darm-
slädler Künsllerkolonie. deren erste Aus-
slellung 1901 ..Ein Dokumeni Deulscher
Kunsl" großes Aufsehen erregle. verddnkl
Darmsladl. daß es um 1900 zu einem inle -
nalionalen Millelpunkl künsllerischen Scha-
iens wurde. _Z_um ersien Male wird nun ein
umfassender Uberblick über das Gesamiwerk
des früh verslorbenen Künsllers gegeben:
geleigl werden neben Archilekiurleiehnungen
und Enlwurfen für Zier- und Gebrauchs-
gegensiünde auch Beispiele iypdgraphischer
Geslallung. Möbel (kamplelle Innenein-
richiungen), Schmuck. Textilien und Tisch-
geröl.
STAATSPREISE FÜR GUTE FORM
Die anläßlich der driilen öslerreichischen
Produklschuu im Ösierreichischen Design
Cenlre vom Bundesminislerium für Handel.
Gewerbe und IndusIrie verliehenen Slaals-
preise. Ehrenpreise und Anerkennungen fur
gule Form wurden im vergangenen Oklnber
den Preisirägern im Palais Liechlensiein
übergeben. Einen Slaalspreis erhiell die
Firma Dr. Konrad Burg für einen Toasigrill,
den Ernst W. Bercinek eniworlen hal. Mii
einem zweilen Siaaispreis wurde die Firma
ALPLA-Werke, Alwin Lehner OHG.. Hard
Vorarlberg. für eine Kunslsioffverpackung
nach dem Enlwurl von Max Schmid bedachl.
Weilers wurden noch 3 Ehrenpreise und
10 Anerkennungen verliehen.
ÖSTERREICHISCHES KULTURINSTI-
TUT IN ROM GEDENKT FLORENZ
Das Öslerreichische Kullurinsiilul in Rom,
das sich um den öslerreichischen Einsatz für
die Wiedergulmachung der Schäden dn den
Kunsl- und Kuliurgüiern während der
Uberschwemmungskalaslrophe im November
1966 besonders verdient gemachi hal, ver-
anslaliel zur zeii, gemeinsam mit dem Cencre
lialiano Diffusione Arie von Florenz (lialie-
nisches Zenlrum zur Verbreilung der Kunsl),
eine Ausstellung zeiigenössischer öslerreichi-
scher Druckgraphik in Rom. Bei den
nalen handeli es sich um Werke ösis
scher Künsiler. die durch die Inilicil
öslerreichischen Bildhauerin und Grai
Eva Mazzucco Iür das llalienische I
zur Verbreilung der Kunsl. das wühr
Hochwasserkalasirophe schwer ge:
wurde. gespendel worden sind.
Von den elwa ZOO Werken wurde
ein wesenllicher Teil verkaufl. De
komml dem genannlen Zenlrum
Auch bei der Eröffnung in Rom, l
Dr. Hans Walser in Verlrelung de
reichischen Bolschailers in llalien
Professoren der Akademie der bi
Künsie in Rom, Galeriebesilzer und
lisien ebenso wie Kunslfreunde und I
anwesend waren. wurden bereils
von Herber! Breiler. Michael Coudi
Kalergi. Alfred Czerny. Georg R
Ferne. Ernsl Fuchs und Kuri Regsch
kau I.
VERLON IN CHAMPIGNY BEI Pi
Vorn 1. bis 17. Dezember 1967 I7
Großen Aussiellungssaal des Kullurz
von Champigny sur Marne (bei Po
ersle Reirospeklive des öslerreichisch
lers Andre Verlon sIaII.
Sie umfaßl SO meisl großformdlige l
und Collagen aus den Jahren 195
zum Thema "Menschliche Siluaiion"