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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 97)

Heribert Hutter 
PICASSO UND WIEN 
„Picasso und Wien" klingt eher wie ein aus- 
schließender Gegensatz als wie eine Verbindung. 
Was auch hätte der siebenundachtzigjührige 
Katalane. der „Vater des Kubismus" und stets 
überraschend junge und vitale Maler, Bildhauer. 
Keramiker und Graphiker, der immer wieder 
neue Akzente seinem Werk aufsetzt, mit der Stadt 
an der Donau gemein. Auch die Bedeutungs- 
ünderung der Umdrehung „Wien und Picasso" 
könnte nicht viele Argumente für sich in Anspruch 
nehmen. Obwohl Name und Werk Picassos ohne 
Zweifel auch in Wien sehr bekannt sind. doch 
mehr aus der zweiten Hand der Reproduktion und 
des Berichtes. obwohl einzelne Bilder und auch 
die Plastikengruppe der „Badenden" auf Wiener 
Ausstellungen zu Gast waren und obwohl endlich 
die Albertina mit fast einhundert Blatt seines 
graphischen Schaffens eine sehr beachtliche 
Sammlung ihr eigen nennt. ist eine so direkt aus- 
gesprochene Verbindung von Wien und Picasso 
durch nichts mehr gerechtfertigt als die mit einer 
beliebigen anderen Stadt. 
Und dennoch gibt es einen Faden, einen dünnen 
Faden, der eine zumindest mittelbare Beziehung 
herstellt: Es war ein Bild des Kunsthistorischen 
Museums, das Picasso zum ersten seiner Linol- 
schnitte anregte. Daniel Henri Kahnweiler hatte 
eine Farbpostkarte von dem „Bildnis einer jungen 
Frau" des jüngeren Lucas Cranach nach Paris 
mitgenommen und Picasso danach eine seiner 
Paraphrasen nach Werken anderer Künstler 
geschaffen. 
Die direkte Auseinandersetzung mit „alten Mei- 
stern" ist für Picasso ebenso typisch wie sein stets 
waches Interesse an neuen formalen und tech- 
nischen Möglichkeiten. Neben weniger bekannten 
Beispielen, früheren Werken nach lngres. Carriere. 
Grünewald. Le Nain, Altdorfer, V.Orsel, stehen 
die Paraphrasen nach Bildern des älteren Lucas 
Cranach, nach Caurbet, EI Greco, Rembrandt, 
Murillo und Delacroix und schließlich die in extenso 
in Buchform veröffentlichten Studien und Bilder 
zum "Dejeuner sur l'herbe" von Manet, zu den 
.,Meninas" des Velazquez, schließlich auch nach 
Poussin. Aus der direkten Gegenüberstellung des 
vorbildlichen Anlasses mit den Werken Picassos, 
die bisher nur in Ausnahmefällen versucht wurde. 
lassen sich oftmals deutlichere Einblicke in Picassos 
Arbeitsweise gewinnen als aus der einseitig mono- 
graphischen Betrachtung. 
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Fub1o Picmso. Bildnis einer jungen Frau, nach Lucas 
Crcnach d.J.. 1958. LinolschniN in 6 Farben noch einer 
Fdrbkcrle des Kunslhislorischen Museums, Abb. Z 
Lucus Crunach d.J.. Weibliche: Bildnis. 1564. Wien, 
Kunsihislorisches Museum, Gemäldegalerie. Farbkarte 
Ein Kapitel des recht umfangreichen Komplexes 
"Picasso und die alten Meister" stellt nun die 
eingangs erwähnte mittelbare Beziehung zu Wien 
her: 
Lucas Cranach d. L. „Bildnis einer jungen Frau" 
1564. Wien, Kunsthistorisches Museum. 
OllLinctenholz, 83x64 cm. lnv.Nr. 886. 
Das Porträt einer vornehmen jungen Frau von 
Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre 1564 
zeigt einen geläufigen Typus des Halbtiguren- 
bildnisses. Es ist in erster Linie ein Repräsentations- 
bild, das mit seinem Gegenstück i dem Porträt 
des Gatten 7 ein Paar bildet, So ist die leichte 
Schrägstellung der Figur nicht als eine Auflocke- 
rung der strengen En-face-Ansicht, sondern auch 
als ein formales Mittel einer Zweibildkomposition 
aufzufassen. Ebenso bildet die Varhangdraperie 
einen Teil dieser Anlage eines Doppetbildnisses 
auf zwei Tafeln. Durch diesen Vorhang wird auch 
eine räumliche Situation angedeutet, die n der 
Art der Darstellung des Schattens der Figur auf 
der neutralen Wand eine annähernd erfaßbare 
Dimension erhält. Im Gegensatz zu dem üblichen 
Schema des glatten Hintergrundes oder der un- 
mittelbaren Begleitung der Gesichtskonturen durch 
eine Angabe von Schatten ist er hier deutlich von 
der Koptform abgesetzt und verhilft so zu einer 
Raumillusion. Die akzentuierte Formulierung 
verleiht dem optischen Phänomen einen gegen- 
ständlichen Charakter und entspricht seiner Be- 
deutung als kompositionelles Gegengewicht zur 
Vorhangdraperie. Der Schatten wirkt als zweite 
Begleitform der Hauptdarstellung und stellt sc 
das innere Gleichgewicht des Bildes, das in seiner 
Hinwendung zum Gegenstück einseitig belastet ZL 
wirken droht. wieder her. Die Hauptkomposition 
besteht also aus drei gegenständlich völlig ver- 
schieden und auch verschiedenwertigen Form- 
komplexen, die die Bildfläche gliedern und eine 
gewisse Tiefenröurnlichkeit andeuten. 
Die Detailbehandlung entspricht der Aufgabe 
solcher Bilder: das Aussehen einer bestimmten 
Person zu einer bestimmten Zeit möglichst getreu 
wiederzugeben. Der nahsichtige Realismus. wie 
er, von der niederländischen Malerei des 15. Jahr- 
hunder1s ausgehend, weiterhin vor allem nördlich 
der Alpen bestimmend geblieben ist. widmet jeder 
Einzelheit die gleiche Sorgfalt und charakterisiert 
die verschiedenen Materialien. wie Stoffe, Metalle. 
Haare. Haut. möglichst getreu. Die reiche Ge- 
wandung mit ihren Stickereien. der kostbare 
Schmuck mögen auch, zumindest für den Auftrag- 
geber des repräsentativen Bildnisses. größere 
Bedeutung gehabt haben als die physiognomische 
Erfassung der Person.
	        
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