Heribert Hutter
PICASSO UND WIEN
„Picasso und Wien" klingt eher wie ein aus-
schließender Gegensatz als wie eine Verbindung.
Was auch hätte der siebenundachtzigjührige
Katalane. der „Vater des Kubismus" und stets
überraschend junge und vitale Maler, Bildhauer.
Keramiker und Graphiker, der immer wieder
neue Akzente seinem Werk aufsetzt, mit der Stadt
an der Donau gemein. Auch die Bedeutungs-
ünderung der Umdrehung „Wien und Picasso"
könnte nicht viele Argumente für sich in Anspruch
nehmen. Obwohl Name und Werk Picassos ohne
Zweifel auch in Wien sehr bekannt sind. doch
mehr aus der zweiten Hand der Reproduktion und
des Berichtes. obwohl einzelne Bilder und auch
die Plastikengruppe der „Badenden" auf Wiener
Ausstellungen zu Gast waren und obwohl endlich
die Albertina mit fast einhundert Blatt seines
graphischen Schaffens eine sehr beachtliche
Sammlung ihr eigen nennt. ist eine so direkt aus-
gesprochene Verbindung von Wien und Picasso
durch nichts mehr gerechtfertigt als die mit einer
beliebigen anderen Stadt.
Und dennoch gibt es einen Faden, einen dünnen
Faden, der eine zumindest mittelbare Beziehung
herstellt: Es war ein Bild des Kunsthistorischen
Museums, das Picasso zum ersten seiner Linol-
schnitte anregte. Daniel Henri Kahnweiler hatte
eine Farbpostkarte von dem „Bildnis einer jungen
Frau" des jüngeren Lucas Cranach nach Paris
mitgenommen und Picasso danach eine seiner
Paraphrasen nach Werken anderer Künstler
geschaffen.
Die direkte Auseinandersetzung mit „alten Mei-
stern" ist für Picasso ebenso typisch wie sein stets
waches Interesse an neuen formalen und tech-
nischen Möglichkeiten. Neben weniger bekannten
Beispielen, früheren Werken nach lngres. Carriere.
Grünewald. Le Nain, Altdorfer, V.Orsel, stehen
die Paraphrasen nach Bildern des älteren Lucas
Cranach, nach Caurbet, EI Greco, Rembrandt,
Murillo und Delacroix und schließlich die in extenso
in Buchform veröffentlichten Studien und Bilder
zum "Dejeuner sur l'herbe" von Manet, zu den
.,Meninas" des Velazquez, schließlich auch nach
Poussin. Aus der direkten Gegenüberstellung des
vorbildlichen Anlasses mit den Werken Picassos,
die bisher nur in Ausnahmefällen versucht wurde.
lassen sich oftmals deutlichere Einblicke in Picassos
Arbeitsweise gewinnen als aus der einseitig mono-
graphischen Betrachtung.
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Fub1o Picmso. Bildnis einer jungen Frau, nach Lucas
Crcnach d.J.. 1958. LinolschniN in 6 Farben noch einer
Fdrbkcrle des Kunslhislorischen Museums, Abb. Z
Lucus Crunach d.J.. Weibliche: Bildnis. 1564. Wien,
Kunsihislorisches Museum, Gemäldegalerie. Farbkarte
Ein Kapitel des recht umfangreichen Komplexes
"Picasso und die alten Meister" stellt nun die
eingangs erwähnte mittelbare Beziehung zu Wien
her:
Lucas Cranach d. L. „Bildnis einer jungen Frau"
1564. Wien, Kunsthistorisches Museum.
OllLinctenholz, 83x64 cm. lnv.Nr. 886.
Das Porträt einer vornehmen jungen Frau von
Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre 1564
zeigt einen geläufigen Typus des Halbtiguren-
bildnisses. Es ist in erster Linie ein Repräsentations-
bild, das mit seinem Gegenstück i dem Porträt
des Gatten 7 ein Paar bildet, So ist die leichte
Schrägstellung der Figur nicht als eine Auflocke-
rung der strengen En-face-Ansicht, sondern auch
als ein formales Mittel einer Zweibildkomposition
aufzufassen. Ebenso bildet die Varhangdraperie
einen Teil dieser Anlage eines Doppetbildnisses
auf zwei Tafeln. Durch diesen Vorhang wird auch
eine räumliche Situation angedeutet, die n der
Art der Darstellung des Schattens der Figur auf
der neutralen Wand eine annähernd erfaßbare
Dimension erhält. Im Gegensatz zu dem üblichen
Schema des glatten Hintergrundes oder der un-
mittelbaren Begleitung der Gesichtskonturen durch
eine Angabe von Schatten ist er hier deutlich von
der Koptform abgesetzt und verhilft so zu einer
Raumillusion. Die akzentuierte Formulierung
verleiht dem optischen Phänomen einen gegen-
ständlichen Charakter und entspricht seiner Be-
deutung als kompositionelles Gegengewicht zur
Vorhangdraperie. Der Schatten wirkt als zweite
Begleitform der Hauptdarstellung und stellt sc
das innere Gleichgewicht des Bildes, das in seiner
Hinwendung zum Gegenstück einseitig belastet ZL
wirken droht. wieder her. Die Hauptkomposition
besteht also aus drei gegenständlich völlig ver-
schieden und auch verschiedenwertigen Form-
komplexen, die die Bildfläche gliedern und eine
gewisse Tiefenröurnlichkeit andeuten.
Die Detailbehandlung entspricht der Aufgabe
solcher Bilder: das Aussehen einer bestimmten
Person zu einer bestimmten Zeit möglichst getreu
wiederzugeben. Der nahsichtige Realismus. wie
er, von der niederländischen Malerei des 15. Jahr-
hunder1s ausgehend, weiterhin vor allem nördlich
der Alpen bestimmend geblieben ist. widmet jeder
Einzelheit die gleiche Sorgfalt und charakterisiert
die verschiedenen Materialien. wie Stoffe, Metalle.
Haare. Haut. möglichst getreu. Die reiche Ge-
wandung mit ihren Stickereien. der kostbare
Schmuck mögen auch, zumindest für den Auftrag-
geber des repräsentativen Bildnisses. größere
Bedeutung gehabt haben als die physiognomische
Erfassung der Person.