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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIII (1968 / Heft 101)

kleineren Staaten zustande gekommen, um 
das massive Vordringen der Türken auf 
dem Balkan 7 nachdem sie zunächst ein- 
mal Konstantinopel beiseite gelassen hat- 
ten 7 aufzuhalten. In der Nacht vor der 
Schlacht am Flusse Maritza ruhte der 
Ungarnkönig mit diesem Marienbild auf 
dem Herzen. Mitten in der Nacht setzten 
die von Sultan Muhrad I. geschickt ge- 
führten Türken zum Angriff an, und das 
christliche Heer der Verbündeten erlitt 
eine furchtbare Niederlage. Daß Ludwig 
mit seinem Gefolge dennoch unversehrt in 
sein Reich zurückkehren konnte, schrieb 
der gläubige König nur der ihm in jener 
Nacht so nahen Gottesmutter zull. 
Neben den anderen von Ludwig dem 
Großen gestifteten Weihgaben befinden 
sich im Aachener Münsterschatz, als letzter 
Rest der kostbaren Ausstattung der „Un- 
garischen Kapelle", zwei Paare von Mantel- 
schließen: der Allianzwappenschild Un- 
garn-Anjou; mit einem geschlossenen Helm. 
Auf diesem erscheinen als Zier eine Lilien- 
krone, aus der ein Straußenhals aufsteigt: 
im Schnabel trägt der Vogel ein sorgfältig 
ziseliertes Hufeisen. Zu welchem Zeitpunkt 
König Ludwig den von seinem Vater 
geliebten Strauß zum I-lauszeichen seines 
Geschlechtes gemacht hat, wird man wohl 
nie erfahren. Es ist durchaus möglich, daß 
dies schon unter Charobert geschehen 
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Es ist seltsam, auf wie viele 7 anscheinend 
auch abseitige 7 Wege die Untersuchung 
aller Einzelheiten des „Schatzkammerbil- 
des" geführt hat 7 es sind die Wege, die 
das Marienbild, das sein frommer Besitzer 
wie ein Palladium ständig mit sich führte, 
genommen hat. Seine Geschichte läßt sich 
nun, als Zusammenfassung aller bisherigen 
Erörterungen, knapp so skizzieren: 
Das kleine Tafelgemälde ist ein Jugend- 
werk des Andrea Vanni aus Siena. Ich 
möchte die Vermutung aussprechen, daß 
es noch kurz vor seinem Tode in den Be- 
sitz des unglücklichen Andreas von Ungarn 
gelangt sein mag und daß Ludwig bei der 
Besetzung Neapels 1345 es als eine be- 
sonders teure Erinnerung an seinen Bruder 
an sich genommen hat. Das würde die 
besondere Vorliebe des Königs gerade für 
dieses, an sich recht bescheidene Marien- 
bild voll verständlich machen. Nachdem 
er sich aus der Blutnacht an der Maritza 
durch Hilfe der Gottesmutter gerettet 
wußte, mußte er dieses Bild mit noch 
tieferer Innigkeit verehrt haben. 
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Nlöglicherweise erfolgte der erste Teil der 
kostbaren Verkleidung 7 die vergoldeten 
Silberplatten mit den Lilien in Gruben- 
schmelz 7 bald nach dem Straffeldzug 
gegen Neapel. Die Personalunion mit der 
Krone Polens 1370 war jedenfalls Anlaß 
der Ausführung des gesamten Rahmen- 
werkes mit seinen vielen Wappenschilden. 
Ausführender war sicher Pietro di Simone 
aus Siena. 
Im Jahre 1377 begann der Umbau der 
Wallfahrtskirche im Auftrage des Königs; 
bei jener Gelegenheit, jedenfalls bei der 
Vollendung 1382, brachte er das ihm be- 
sonders liebe und kostbare Bild in die 
Kirche. Nach den Geschehnissen, bei denen 
er es oft auf dem Leibe trug, mag ihm der 
Entsehluß, sich für immer davon zu tren- 
nen, nicht leicht geworden sein. Es mag 
dazu vielleicht auch beigetragen haben, daß 
Ludwig sein linde nahen fühlte: die Stra- 
pazen seiner Kriege, die weiten Reisen, 
Familiensorgen (er hinterließ keinen Kron- 
erben) mußten vorzeitig seine Energien 
verbraucht haben; noch im gleichen Jahre, 
1382, starb er im Alter von 56 Jahren. 7 
Die Königskronen Neapcls und Ungarns 
sind nicht mehr, viele der Herrschergräber 
wurden geplündert oder zerstört. Erhalten 
hat sich dieses kleine Bild. Die Gläubigen 
versenken sich im Gebet an die Himmels- 
königin und Gnadenmittlerin. 
„llahent sua fata" 7 auch so viele Kunst- 
werke. Nur wenige, wie dieses, xierkörpern 
solche Schicksalsveriiechtungen wie diesen 
geistigen Faden: Siena Neapel 7 Ungarn 
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