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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 103)

3 Egon Schiele Stein an der Donau. Ol auf Holz. 
39 8x31 56m. Sigm: Egon Schiele1913. Privatbesitz 
USA (Kallir Guvveverz. Nr.188) 
Steiner Rathaus zu erkennen. Die charakte- 
ristische Form hat Schiele im wesentli 
festgehalten obwohl er sich auch hier ei ge 
Freiheiten erlaubte. Es fehlt die Mittellisene, 
eine Andeutung der Zopfmuster über den 
Fenstern, vor allem aber hat das Rathaus bei 
ihm nur zwei Geschosse. Das nächste kleine 
Haus (Donaulände Nr. 62) ist bis auf die 
Fensterordnung im ersten Geschoß richtig 
wiedergegeben, beim Haus Nr. 60 rechts davon 
fehlt eine Fensterachse und die Dachluken. 
Das große Haus daneben, Landstraße 55, ist 
um eine Achse zu lang geraten, auch wurden 
die Luken in ein normales Geschoß gewandelt. 
Die Mauer davor findet sich auch in Wirklich- 
keit, ebenso das letzte kleine rote Haus, das 
allerdings wieder ein Fenster zuwenig hat. 
Obwohl solche Vergleiche, die sich noch um 
viele Details, wie Türen, Schornsteine, Giebel 
usw. bereichern ließen, auf den ersten Blick 
etwas kleinlich anmuten, zeigen sie doch einige 
wesentliche Eigenheiten: Egon Schiele hielt 
sich meistens sehr genau r aber nicht sklavisch 
a an das Naturvorbild. Die Häuser waren für 
ihn gliedernde Elemente, bei der charakteristi- 
schen Fensterbehandlung nahm er sich jedoch 
einige Freiheiten, vor allem in der Bemalung 
der bunten Fassaden und der Geschoßteilung. 
Diese wenigen Akzente machen die Häuser 
zu eigenwilligen Individualitäten, die von der 
Art des Abbildens weit entfernt sind. 
Etwas freier, aber ebenso identifizierbar ist der 
Mittelgrund. Links die überhöhte dunkle Stadt- 
mauer mit den stützenden Streben, rechts die 
Türme der Pfarrkirche und der Frauenbergkirche, 
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Die Turmgeschosse, Fenster und Dachluken 
sind ziemlich genau wiedergegeben. Am freiesten 
sind die Terrassen und Lößschluchten des 
Steiner Kreuzberges behandelt. Die Zeichnung 
wirkt wie eine Paraphrase der Wirklichkeit, ge. 
tragen von Schieles Temperament. 
Betrachtet man nach diesen Vergleichen das 
künstlerische Bildgefüge, dann erkennt man 
neben einer Dreieckskomposition eine stark 
horizontale Ordnung. Vorn runden Festungs- 
turm links vorne führt die ansteigende Linie 
über den Helm der Pfarrkirche zur Spitze des 
Frauenbergkirchturmes, um dann steil über die 
Terrassen zum Chor der Kirche und weiter zu 
dem kleinen Giebelhaus abzufallen. Diese 
Schräglinien werden durch die Giebel und 
Dächer mannigfaltig wiederholt. Diesem Auf- 
und Absteigen stellt sich der Horizontalismus. 
betont durch die dunkle Stadtmauer und das 
dunkle Kirchendach der Pfarrkirche, entgegen. 
Die waagrechten Elemente sichern, ähnlich wie 
der Strom und die Uferböschung, dem Bild 
eine Ausgewogenheit. Auf solche Strukturen 
aufmerksam geworden, erkennt man, daß der 
Turm der Plarrkirche genau in der Bildmitte 
steht und daß dem hellen Rathausplatz die 
helle Mauer rechts und das Schiff der Frauen, 
bergkirche darüber entsprechen. Ähnlich ist 
es bei den Weinbergterrassen, deren bewegteres 
Mittelstück von größeren flächigeren Ordnungen 
flankiert wird. 
Auch beim Rhythmus der Farbverteilung r man 
beachte das Weinrot an Fenstern, Zifferblättern 
und Schornsteinen - ließen sich noch viele 
weitere Beobachtungen anschließen, die jedoch 
keine neuen Gesichtspunkte, sondern nur eine 
Bekräftigung der bisherigen Beobachtungen 
bringen würden. Zusammenfassend könnte man 
sagen, daß Schieles Können darin besteht, das 
Naturvorbild mit wenigen Akzenten derart zu 
beleben, daß wir den Eindruck einer eigen- 
wertigen künstlerischen Komposition haben. Er 
schaltet mit den Elementen wie mit den Steinen 
eines Baukastens, wirkt mit diesem Komposi- 
tionsspiel aber nicht der natürlichen Ordnung 
entgegen, sondern verstärkt den Ausdruck der 
Natur, macht ihn sichtbar. Jedes einzelne der 
Elemente wird vor der Verwendung im Bild 
verwandelt und nicht einfach der Wirklichkeit 
entnommen, es ist durch Schieles Anschauung 
und Handschrift bestimmt. 
Vergleichen wir mit diesem besprochenen Bild 
die Studie (Kallir Nr.188, ÖllHolz,39,8x31,6cm, 
USA, Privatbesitz, Abb. 3), dann fällt uns vor 
allem daran auf, daß sie eine Reduktion, eine 
Umformung und damit eine weitere Steigerung 
bringt. Beginnen wir zuerst bei den Details. 
Die Häuser im Vordergrund, besonders das 
große mit dem hohen Dach vor dem Chor der 
Pfarrkirche, ist nur noch eingeschossig, einige 
Fenster sind ausgelassen oder in einem freien 
Rhythmus verändert. Doch darin liegt eine 
künstlerische Absicht, so öffnet sich an der 
Front des niederen Hauses rechts plötzlich ein 
übergroßes Fenster, oder es wurde die Tür des 
Hauses (Donaulände Nr. 60, das dritte von 
rechts) nach links versetzt, um der Häuserreihe 
einen gewissen dynamischen Zug zu geben. 
Die dunklen hohen Dächer sind flächiger, sie
	        
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