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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 103)

 
 
Kurt Lüthi 
KIRCHENBAU 
ALS BEKENNTNIS ZUR 
RATIONALITAT 
Eine theologische Interpretation zur Seel- 
sorgeanlage Baumgarten, Wien. von Archi- 
tekt Johann Georg Gsteu. 
Es mag angesichts der ökumenischen Situation 
im modernen Kirchenbau wenig auffallen, daß 
ein evangelischer Theologe aufgefordert wird, 
einen katholischen Kirchenbau zu kommentieren. 
Und doch ist es sinnvoll, darüber zuerst ein 
grundsätzliches Wort zu sagen. Wenn es wahr 
ist, daß der für Gestaltung Verantwortliche, also 
der Künstler, der Architekt usw. in seinem Werk 
Zukünftigem Raum in der Gegenwart verschafft, 
dann bedeutet Ökumene im Bereich des Kirchen- 
baues Symptom einer andrängenden, noch aus- 
stehenden, aber unmittelbar bevorstehenden 
Wirklichkeit. Der Kirchenbau überspringt iene 
Grenzen zwischen den Konfessionen, die wir 
in der Lehre und in den dogmatischen Aspekten 
der Konfessionen, noch nicht überspringen 
können. Nimmt aber der Kirchenbau damit 
nicht schon eine zukünftige Gemeinschaft vor- 
weg? Es werden immer mehr Kirchen gebaut, in 
denen wir uns (mit geringen Veränderungen, 
die eine auf Mobilität ausgerichtete Ausstattung 
schon hergibt) sowohl den katholischen wie 
den evangelischen Gottesdienst vorstellen kön- 
nen. Damit stellen kühne Gestaltungen konfes- 
sionell-dogmatische Gegensätze schon in Frage. 
Die Hartnäckigkeit dogmatischer Debatten wird 
von Gestaltungen her relativiert. Aus diesem 
Grunde ist der Versuch, ein Werk des katho- 
lischen Kirchenbaues von evangelischer Seite 
her zu interpretieren, sinnvoll! Und wenn gar 
ein Bauwerk entsteht, das sich - wie die Seel- 
sorgeanlage Baumgarten, die der Wiener Archi- 
tekt Johann G. Gsteu geschaffen hat - auch 
rational so bedeutsam ausweist, das sich dem 
Denken und Nachdenken bewußt stellt, so 
fühlt sich der Protestant erst recht angesprochen. 
Daß dieser Versuch von einem Architekten 
unternommen wurde, der sich bekenntnismäßig 
zum Katholizismus stellt, macht Ökumene im 
Kirchenbau zur herausfordernden Wirklichkeit. 
Beschreibung 
Wer die Seelsorgeanlage Baumgarten aufsucht. 
beachtet zuerst die sinnvolle städtebauliche 
Einordnung und Lösung. Die Gestaltung selber 
führt aus der Bewegtheit der Verkehrszone 
heraus, wobei in diesem Übergang die Verbun- 
denheit von „Kirche" und ,.Welt" gewahrt wird. 
Vor uns stehen auf quadratischen Grundrissen 
aufgebaute, durch und durch klare Baukörper 
in einer überzeugenden Zuordnung des Haupt- 
1 Johann Georg Gsteu, Seelsorgeanlage Baumgarten, 
Wien 14, Aufrlß 
2 Johann Georg Gsteu, Seelsorgeanlage Baumgarten 
Wien 14, Grundriß mit Schema: 
1 Altar 8 Glockenträger 
2 Wortverkündigung 9 Bastei 
3 Session 10 Pfarrhof 
4 Sakramenlstele 11 Sakristei, Kapläne 
5 Taufbecken 12 Pfarrsaal 
6 Beichte 13 Freialtar 
7 Umgang 14 Parkfläche (ein Ge- 
schoß höherliegend) 
3 Johann Georg Gsteu, Saalsorgeanlage Baumgarten, 
Wien 14. Gesamtanlage in der Draufsicht Richtung 
Stadtzenrrum (Planung Johann Georg Gsteu - Wett- 
bewerb 1960 - Baubeginn 1963 - Kirchweiha 1965) 
4 Johann Georg Gsteu, Seelsorgeanlage Baumgarten, 
Wien 14, Blick von der Hütteldorler Straße-Karl Toldt- 
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5 Johann Georg Gsteu, Seelsorgeanlage Baumgarten. 
Wien 14, Umgang mit Bastei und Gluckenträger 
42 
11.] 
baues zu den Nebenbauten. Diese Zuordnung 
schafft eine mehr öffentliche und eine mehr 
geborgene Zone. Damit sind Gottesdienste im 
Freien und Umgänge möglich, aber beispiels- 
weise auch mehr weltliche Theaterspiele. 
Die gleichsam sprechende Gestaltung regt so- 
fort die Phantasie an, die Mehrzweckmöglich- 
keiten auszunutzen. Der zentrale Kirchenbau 
selber besteht aus vier Raumteilen, geschaffen 
durch eine eindrucksvolle Kragkonstruktion. 
Formal grundlegend ist immer das Quadrat und 
dessen Abwandlungen. Die vier Hauptteile be- 
rühren sich nicht und damit entsteht an Wand 
und Decke die charakteristische Lichtzone. das 
Lichtkreuz; die Enden der Lichtbänder sind 
zugleich die Eingänge, womit das manchmal so 
zufällige Einfügen der Türen überfl sig wird. 
Das beherrschende Lichtkreuz ist zunächst, das 
muß betont werden, in keiner Weise symbolisch 
gemeint, sondern ergibt sich zwingend aus der 
Konstruktion. Die Spannung aber zwischen den 
strengen Raumteilen und ihren Abwandlungen 
und der Lichtzone macht nun doch die unver- 
wechselbare Faszination gerade dieses Kirchen- 
raumes aus. Weiter ist sofort klar zu beobachten 
und sauber nachzukontrollieren, daß die tra- 
gende Sichtbetonkonstruktion hinübergeführt 
wird zum Holz, aus dem Boden, Sitze und alle 
 
Geräte und Gegenstände gemacht sind; auch 
hier herrscht das quadratisch Strenge vor, wobei 
wieder das Quadrat in Varianten abgewandelt 
ist. Nicht aus Holz sind einzig Altar, Taufbecken, 
Tabernakel. Hier fällt einem die Verwendung 
des Kunststoffes Folyester auf. Dieser wirkt 
einerseits festlich-herausgehoben, aber er bleibt 
anderseits dem Grundprinzip treu: er hat etwas 
Technisches, das sich der Nachkontrolle nicht 
entzieht. V Das visuelle Erlebnis des ganzen 
Kirchenraumes besteht in derSpannung zwischen 
den Grautönen des Betons, den Lichttönen und 
der ruhig-natürlichen Farbigkeit des Holzes; 
die Nebenräume nehmen diese Spannung in 
genauer Entsprechung auf, wobei gleichsam 
eine Abwandlung vorn Festlichen ins Werk- 
tägliche erfolgt. Die Strenge der Konstruktion 
beherrscht aber überall das Ganze und das Detail 
(etwa die Bestuhlung). 
Es ist klar, daß dieses Werk ein kühnes Ex- 
periment bedeutet, das auch Rückfragen heraus- 
fordert (vgl. dazu z. B. Friedrich Achleitner: 
„Bis zur Grenze modularer Ordnung - Neues 
Bauen kritisch betrachtet", Presse, 5.16. Februar 
1966). 
Deutung 
Die Kommentierung wird sachgemäß mit der 
auffallendsten Tendenz des Werkes einsetzen: 
 
 
 
 

	        
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