Hans Koepf
EIN WIENER „RATHAUS-
PROJEKT" AUS DEM
15. JAHRHUNDERT
LITERATURHINWEISE
K. Fcuchtmüllcr, Das nicderöstcrxcichische Lälndhlüs, 1949.
1a. Grimschitz. Hanns PlIChSpm-lm, 1941.
H. Knopf, Foßchllngen zur Fngc der Urheberschaft dcr
Wlcner Planriss: von Sz. Sfßphin, Festschrift Km
Oetlinger, wen.
n. Küüpf, Die gotischen Planrissc der WÜQHCY Sammlungcn,
erscheint demnäßhsl.
H. Tictzc. Aus dCr Daubüttc von St. Stephan, Jahrbuch de!
ruäsghsszhwraschh-h Sammlllngtn, N. 2a, um. 1930,
. u.
EINFÜHRUNG
Seitdem H. Tietze und B. Grirnschitz über
die Risse 21, 21 R und 283R der Wiener
Sammlungen Abhandlungen geschrieben
haben, gelten diese Zeichnungen als Pla-
nungen für ein Wiener Rathaus im Bereich
des „Alten Rathauses" zwischen Salvator-
gasse, Stoß im Himmel und Wlipplinger-
straße. Der Verfasser möchte diese An-
nahme grundsätzlich zur Diskussion stellen,
obwohl er sie auch 7 vorläufig - in seiner
Publikation „Die gotischen Planrisse der
Wiener Sammlungen" unter der Voraus-
setzung angenommen hat, daß alle bis-
herigen Zusehreibungen und Festlegungen
erst nach dem Erscheinen dieser Doku-
mentation zum Gegenstand diiferenzierterer
wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht
werden müssen.
Es steht ohne Zweifel fest, daß es sich
bei dem Riß 21 um den großartigsten Plan-
riß eines Profangcbäudes aus gotischer Zeit
handelt. Daß es sich um ein Bauwerk in
Wien handelt, ist nach Lage der Dinge
beinahe sicher. S0 apodiktisch, wie B. Grim-
schitz nun feststellen zu können glaubte
(„bestimmt für eine Neugestaltung des
Wiener Rathauses"), ist die Festlegung des
Risses für eine bestimmte Baumaßnahme
aber nicht.
Wir möchten auf die Probleme, diesen Ent-
wurf auf das Areal Salvarorgasse, Stoß im
Himmel und Wipplingerstraße festzulegen,
noch später eingehen, ohne dieser etwas
voreiligen Festlegung vorerst zu wider-
sprechen. Grundsätzlich scheint uns aber
die Formulierung von B. Grimschitz un-
haltbar: „Noch heute ist das Grundriß-
gefüge . . . in dem von der Wipplinger-
straße und Stoß im Himmel begrenzten
Gebäudeblock des alten Rathauses nach-
weisbar." Dieses Grundrißgefüge gehört
selbst nach dem Stadtplan von B. Wolmuet
aus dem Jahr 1547 - also acht Jahrzehnte
nach der Entstehung der Risse - ganz
verschiedenen Gebäuden mehrerer Besitzer
an, die man schon rein rechtlich nicht mit
dem „Rathaus gemeiner Statt Wien" gleich-
setzen darf, das auch noch ein weiteres
Jahrhundert später in einem streng iixierten
Sektor lag, der nur zur Salvatorgasse orien-
tiert war und weder eine Verbindung zum
„Stoß im Himmel" noch gar zur Wipp-
lingerstraße harte. An der Salvatorgasse
allein läßt sich aber der „Rathausentwurf"
nicht einordnen, wenn nicht einwandfrei
nachgewiesen werden kann, daß der Strei-
fen im Westen (Stoß im Himmel) oder im
Süden (Wipplingerstraße) zum Zwecke
einer Rathauserweiterung angekauft wer-
den sollte. Aber selbst dann läßt sich dieser
Entwurf mit seinen beiden reich geglieder-
ten Fassaden, seiner etwas weniger diEe-
renzierten Seitenfront und einer Feuer-
mauer (für eine spätere Erweiterung in
diesem Areal) beim Durchspielen aller
Möglichkeiten hier kaum unterbringen.
Deshalb mußte die Behauptung von B.
Grimschitz: „Gegenwärtig ziehen die vier
Hauptmauern von der Wipplingerstraße
schräg in die Tiefe, was darauf schließen
läßt, daß die Fassadenlinie des barocken
Baues, dessen Fensterachsen im ersten Ge-
schosse mit denen des gotischen Aufrisses
übereinstimmen, in die Achse der Wipp-
lingerstraße vorgezogen wurde", einmal
genauer untersucht werden.
Nach dem ersten genaueren, uns erhaltenen
Wiener Stadtplan von B. Wolmuet, 1547
(Abb. 1), zeigen die beiden den Rathaus-
komplcx rahmenden Längsstraßcn (Salva-
torgasse, Wipplingerstraße) eine auffallende
Abweichung nach Süden. Doch laufen die
Parzellengrenzen hier auch auffallend genau
senkrecht zur idealen Längsachse. Betrach-
tet man den Wolmuet-Plan für sich allein,
so wäre eine Begradigung nur dann möglich
gewesen, wenn man bei dem barocken
Rathausumbau die Fronten sowohl in der
Wipplingerstraße wie in der Salvatorgasse
nach Norden zurückgenommen hätte, um
einen einigermaßen rechtwinkeligen Bau-
block zu gewinnen. Da aber auch heute
noch nach dieser Korrektur zwischen Wipp-
lingerstraße und Stoß im Himmel eine
leichte spitzwinkclige Brechung vorliegt,
scheint hier bei Wolmuet ein kleiner
Winkelmeßfehler vorzuliegen. Die in den
beiden Kellergeschossen an dieser Stelle in
geringem Abstand parallel zum Stoß im
Himmel verlaufenden Mauerzüge lassen
aber nun überhaupt kein System erkennen,
am allerwenigsten das System der beiden
„RathauW-Grundrisse 21 R und 283 R
(was die barocken Fensterachsen im ersten
Obergeschoß mit dem gotischen „Rat-
hauW-Fassadenentwurf 21 zu tun haben
sollen, bleibt noch uneründlicherl).
Eine Aufklärung des Mißverständnisses
scheint nur dann möglich, wenn man an-
nimmt, daß Grimschitz unter den „vier
Hauptmauern" die bei Wolmuet und ande-
ren Stadtplänen eingezeichneten Parzellen-
grenzen der drei ersten Hause: in der
Wipplingerstraße (gerechnet vom Stoß im
Himmel in Richtung Ost) gemeint hat, die
tatsächlich ein ähnliches Teilungsverhältnis
zeigen wie die auf den Grundrissen 21 R
und 283R eingezeichneten Quermauern.
Dann wäre aber der Grundriß dieses Ge-
bäudes rund 45-50 Meter im Quadrat und
mithin die Höhe bis zum Dachgesims bei
drei Geschossen rund 50-55 Meter, was
völlig indiskutabel ist.
Zudem waren die fünf Parzellen zwischen
dem Durchgang von der Wipplingerstraße
zur Salvatorkapelle ebenso wie die zwei
Parzellen beim Stoß im Himmel, die ur-
sprünglich zum judenviertel gehörten, teil-
weise noch bis zum 18. jahrhundert in
Privatbesitz (Abb. 2).
Um alle diese Unklarheiten und Mißver-
ständnissc etwas aufhellen zu können,
müssen wir die Rißgruppe Z1, 21 R und
283R erst einmal genauer nach formalen
und technischen Kriterien untersuchen, um
vielleicht zu einer genaueren Bestimmung
des Bauwerkes und seiner Lage zu kommen.
BAULICHE ANALYSE DER „RAT-
HAUSWPLANRISSE
KM 21, Großer Fkzrxazlenriß
Riß 21 zeigt eine dreigeschossige Fassade
mit dreiachsiger Erdgcschoßftont und einem
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