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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 107)

der Feier. Trotz aller Entfernungen, trotz 
aller Verschiedenheit, sind sie miteinander 
als geistige Leistung eng verbunden und 
verwandt. Die alte, an den Garden Apart- 
ments 1925, am „Gesundheitshaus" 1927 
bis 1929 schon weitgehend studierte und 
gelöste Aufgabe, dem Menschen biologisch 
denkbar intensiv zu dienen, stellt sich 
Richard Neutra stets aufs ncue. So führt 
jeder Auftrag ihn zu einem originären, 
von keinem Schema abgeleiteten ursprüng- 
lichen Erlebnis seiner Ästhesie, dem alte 
ehrwürdigen, allsinnlichen, menschlichen 
Wahrnehmungsvermögen und die Kunst 
am Bau damit zu einem sich stets Wan- 
delnden, sich stets vervollkommnenden bio- 
logischen Wert. 
Erfolgreich in ungezählten Konkurren- 
zen 7 auch für große und größte Objekte i , 
beteiligte sich Neutra niemals an dem 
Wettlauf um sensationelle Preise, deren 
Ausschreibung auf „repräsentative Mam- 
mutplastiken" und nicht auf Bauwerke, 
erfüllt von organischem Leben, hinzielte. 
Neutras Kunst zeigt kollektive Züge. Man 
ist versucht, die Schönheit seiner Bauten 
als „dialektisch" zu bezeichnen, da die 
Gestaltbeziehung zwischen den Bauteilen, 
ihr „ästhetischer Dialog" wichtiger ist als 
das an sich Formenhaftc der einzelnen Bau- 
und Einrichtungsdetails, die keinen in- 
dividuellen, auf sich selbst bezogenen ge- 
stalterischen Eigenwert anstreben. Meist 
recht einfach in der optischen Erscheinung, 
entstammen sie gewöhnlich der Industrie- 
Produktion oder zielen auf sie ab als 
Prototypen, um sich später in großen 
Mengen anfertigen zu lassen. So erwächst 
der „biologische lebenswirkliche Kunst- 
wert Schönheit" bei Neutra auch aus den 
heutigen Produktionsbedingungen, aus den 
Herstellungsvoraussetzungen unseres von 
Großindustrie bedeutsam bestimmten wis- 
senschaftlieh-technischen Zeitalters, dessen 
bauliche Perspektiven in Amerika er selbst 
in den frühesten Büchern von 1925 und 
1930 so vorbildlich analytisch verfolgt hat 
und schildert. Es ist die gesellschaftlich 
richtige und mögliche Kunst-Schönheit 
unserer Epoche. Der Massenproduktion 
entstammend und daher irn Prinzip jedem 
zugänglich, vermag sie, doch raturnaher 
und menschlicher, die immerwährende Tie- 
fen- und Breitenwirkung der Kunst in den 
Zeiten der großen Stile zu erreichen, aller- 
dings ohne das in den Klassengesellschaften 
früherer Jahrhunderte oft sehr willkürliche, 
harte „oktroy" von oben. Sfe vermag den 
Menschen wieder in die Kunst einzu- 
betten, sein Leben durch die Kunst zu 
gestalten. Inmitten aller Normung will sie 
ihm sogar erstaunlich individuelle Chancen 
offen lassen! 
Das physiopsychische Wohlsein des Men- 
schen als Grundlage jeder individu- 
ellen und gesellschaftlichen Entwicklung 
hat dabei stets das Maß zu geben, 
mit dem, in welchem Lande und unter 
welchen gesellschaftlichen Verhältnissen 
immer, alles zu messen ist. 
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Schönheit der Gesamtanlage des bereits 
erwähnten, in keiner Hinsicht veralteten, 
immer noch vorbildlichen „Gesundheits- 
hauses" von 1927 nennen. (Es widerstand 
glücklich einem verheerenden Waldbrand.) 
Diesmal führen einzelne Gebäude den 
Dialog als ästhetisch gleichberechtigte, 
gleichwertige Partner einer locker grup- 
pierten, fast schon städtebaulichen Einheit. 
Nicht einen Bau, eine „Bautenfamilie" 
sehen wir vor uns. Richard Hamann, von 
dem dieser Begriff stammt, verwendet ihn 
für das „Obere Belvedere" in Wien und 
stellt hier einen Zug ins Bürgerliche fest Z. 
Richard Ncutra geht allerdings in der auf- 
lockernden „Demokratisicrung" erheblich 
weiter als sein großer Vorgänger Lukas von 
Hildehrandt. Dr. Lovells Anwesen fehlt 
die „Monumcntalisierung" durch Eekbau- 
ten und die „Symmetrie" des Prinz-Engen- 
Palastes, denkmalhafte Reste feudaler, ba- 
rocker Repräsentationskunst. 
Natürlich knüpft der „]ünger" von Otto 
Wagner und Adolf Loos nicht unmittelbar 
an die Bauideen der Fischer von Erlach 
und Lukas von Hildcbrandt an. jedoch 
läßt sich wohl ein ästhetisch erzieherischer 
Einfluß des Wiener Barock nicht ganz 
wegdenken, dem er schließlich ebenfalls 
ZO Jahre unterlag, selbst wenn ihm das 
nicht so bewußt geworden sein mag wie 
bei jenen Stadtbahnhöfen. Ausgerechnet 
der Österreicher unter den überragenden 
Erneuerern, die dem Bauen unserer Epoche 
eine gegenüber den Zeiten der Stilkunst - 
sie umfaßten fünf Jahrtausende - geradezu 
kopernikanische Wendung gaben, fällt auf 
durch eine gewisse lockere Eleganz und 
sinnenhaftc Fröhlichkeit seiner Bauten. Das 
ist bestimmt kein Zufall. 
Richard Neutras Werke stehen in aller 
Welt. Leider nicht eines von ihnen neben 
denen der Bamckmeister seines Vater- 
landes. So bleiben uns unmittelbare reiz- 
volle Vergleiche, aufschlußreiche Einsich- 
ten in die Kontinuität österreichischen 
Bauens in anziehender Landschaft durch 
die Jahrhunderte, besonders aber beim 
Übergang zur Moderne, zumindesfsoweit 
es die Arbeit Richard Neutras betrifft, 
versagt. Das ist besonders bedauerlich, 
weil sie ganz andere Zielsetzungen auf- 
weist als der sogenannte internationale 
Stil, welcher der Natur sehr kühl gegen- 
über steht. 
Noch umfangreicher, empfindlicher und 
nachwirkender sind Verluste, die jungen, 
begabten Österreichischen Architekten und 
damit dem Bauen ihres Landes durch den 
Ausfall an Inspiration und geistig-ästheti- 
schem Training entstehen, welche Neu- 
tra'sche Schöpfungen als Werke großer 
Kunst zu vermitteln vermögen. Bund und 
Länder werden jetzt begabte Stipendiaten 
weit in die Welt schicken müssen, wenn 
sie das Oeuvre eines Wieners studieren, 
sich an ihm bilden und ausbilden wollen, 
den der geniale italienische Konstrukteur 
Luigi Nervi den bedeutendsten lebenden 
Architekten der Welt nannte. 
ANMERKUNGEN 
'Si:he im nachfolgenden ein Zitat zus einem höchst 
inleresantcn kürllichcn Brief des Auftxzggelxxs -, 
40 Jahre Spilrr, m, gleichzrilig rnil der am" Mond- 
landuug, du: Libraxy 01' (Dongrcss, die Staatsbibliothek in 
Washington, dies bcrühmlc Gcbiud: zum historischen 
Monument ctkline. "Wie S!) oft, haben amerikanische 
Exfolgc ausländische Autoren . . . -- 
1 Richard Hamann, Geschichte der Kunst, ud. u, s. 702.
	        
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