baren Hinweis auf ihren Ursprung. Er wird
dort zu suchen sein, wo mit dem Erstarken
der hiysterienkulte und dem Aufkommen
des Christentums als Folge der allgemeinen
Krisenstimmung im absterbenden Imperium
eine neue seelische und zugleich kultliche Hal-
tung des Gläubigen zu seiner Gottheit erfolgte.
Die Frontalität ist, wiederholen wir es, keine
beliebige Körperhaltung. Sie ist von einem
bestimmten, intensiven Aussagewillen erfüllt;
eine bestimmte Bedeutung kommt ihr daher
zu. Panofskys Wort, daß „jede Kunsrform
sich einem Gesamtentwurf unterordnet, dieser
aber letztlich theologisch-philosophischer Her-
kunft ist", bewahrheitet sich, mutatis mu-
tandis, auch hier Z6.
Wie stcht es mit dem Formmotiv der Fron-
talität im weiteren Verlauf der Geschichte? Im
Mittelalter war es ein beherrschendes Niotiv,
mit der Säkularisierung der Kunst nimmt sein
Vorkommen ab. In bestimmten Themen des
Kultbildes behält diese hieratische Körper-
haltung weiterhin ihre Gültigkeit. Aber die
Dreieckstruktur des Bildganzen wird neuer-
dings in Frage gestellt. Giotto, wie in vielem
anderen, ist auch hier bahnbrechend. Auch er
kennt und verwendet die Frontalität in ihrer
reinsten Form in seiner „Majestf, wo die
leichte Neigung und Drehung des Kopfes
durch die starre Symmetrie doch letzten Endes
annulliert wird. Aber in seinen Fresken bricht
der Künstler radikal mit der alten Tradition.
Er verwendet eine außergewöhnlich reiche
Skala an Körperbewegungen und Körper-
drehungen, vor allem aber ist hier, wie kaum
sonst, der menschliche Blick in seiner ganzen
Bedeutung erfaßt und wird zu einem bewußt
verwendeten, wichtigen konstitutiven Aus-
drucks- und Kompositionselemcnt im XWerk;
wie z. B. in der Darstellung des „Stabwunders"
(Abb. 4) in der Arenakapelle die gespannte
Erwartung der Frcicr durch die Schrägkom-
position, in der alle Formelemente nach dem
Altar zielen, auf ihn gerichtet sind: die cres-
cendoartig sich steigernden Rüekensilhouetten,
die schragführenden Kompositionslinien, die
in der Stäbchenpyramide sich todlaufen, wohin
auch der gespannte Blick aller Augen ge-
richtet ist, ist nur ein Beispiel, aber ein sehr
illustratives, wie wichtig Blickrichtung, Blick-
intensität, mit einem Wort die Ausdruckskraft
des menschlichen Auges für Giotto waren.
Ähnlich sehen wir in der Darstellung des
„Verrates", wie der Blick Christi und der
Blick Judas durch ihre physische Nähe gleich-
sam ancinanderprallen und sich so die Dra-
matik des Geschehens in zwei Augenpaaren
konzentriert. Ohne Zweifel ist für Giotto
die psychologische Spannung menschlicher
Situationen sehr weitgehend und in fast
modernem Sinn erkannt; sicher versucht er
auch ein reicheres physiognomisehes Spiel,
vor allem scheint aber doch der Blick die
neue „conditio humana" auszudrücken. So
kommt es bei Giotto zu einem viel reicheren
und subtileren Zusammenspiel der Protago-
nisten. Zugleich aber wird der Beschauer
aus diesem Spiel ausgeschlossen, wieder nimmt
er nicht Teil am Bildgeschehen, wieder ist
die Dreieekstruktur gesprengt. 7 Die frontale
Komposition bleibt in der Folge nur Dar-
stellungen höchsten Geschehens, Theophanien,
vorbehalten: Raffaels Himmelfahrt, Tizians
Assunta und eines der großartigsten: Grüne-
walds Auferstehung (Abb. 18), sind einige
Beispiele. Die Frontalität wird aber auch als
Kompositionsschema für repräsentative Herr-
scherporträts verwendet. Z. B. von Holbein;
allerdings kann man nicht umhin, zu denken,
daß die Frontalität hier mit einer gewissen
Ironie verwendet ist. Aber das Selbstporträt
von Dürer, das sich allerdings einen Epiphanie-
charakter zuzulegen scheint, und auch das
Porträt von Wolf Huber (Abb. 14) im Kunst-
historischen Museum in Wien sind Beispiele
eines anachronistischen XWeiterlebens der Fron-
talität. Form ohne Inhalt.
Im 17. und 18. und besonders im 19. jahr-
hundert begegnen wir der Iirontalität in der
bildenden Kunst immer seltener. Eine der
großen bedeutungsvollen Ausnahmen sind
Selbstporträts Rembrandts (Abb. 15) und ein
Jahrhundert später der Gilles von Watteau
(Abb. 16). Hier wurde ein ursprünglich reli-
giöses Formelement ins Profane umgesetzt,
ohne jedoch den transzendentalen Inhalt ein-
zubüßen. Er lag nunmehr in der intimsten
Sphäre des Menschlichen. Vielleicht erkennt
man gerade hier die Ausdrucksgewalt der
Frontalität. In holfnungsloser Verlorenheit ist
die existentielle Not des Individuums, das
sich und die Zeit in Frage stellt, dargestellt.
Den Beschauer anblickend, reflektiert das Bild
gleichsam den Beschauer: durch die Frontalität
wird der Fragende zugleich zum Befragten.
Älit dem Abbau der rationalistischen Welt-
dcutung und der mit ihr ursächlich ver-
knüpften hlimesis in der Kunst, in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, erfährt das Motiv
der Frontalität eine Neubewertung. Sie wird
wieder ein bewußt verwendetes und nach-
drückliches Formelement der Kunst, die sich
von ästhetischen Werten, von der Delektation,
immer mehr abwenclet, um sich metaphysi-
schen, wenn nicht ontologischen Fragen zu-
zuwenden. Damit ist die bipolare Struktur des
Kunstwerks, die sich seit der Renaissance mit
zunehmender Stärke durchgesetzt hatte, wie-
der zugunsten der Dreieckstruktur aufgege-
ben, wie wir sie mit dem Ende der antiken
Welt und dem aufkommenden Christentum
gesehen haben, und damit wird der Beschauer
wieder integrierender Teil des Kunstwerks.
Die zunehmende Verwendung der Frontalität
seit dem 20. Jahrhundert hat W. Hofmann17
ANMEIÄKUNGEN 26-27
2'- E. Pzmufsky, Pandnras Box, Thc rhanging aspect am mythical
Symbol, New York 1956.
11 w. Hofmann. Zu einem Bildmixtel Edward Mnnchs, Am
und Neue Kunst, III. jg., I. um, Wien 1954,