der Galerie von Urbino sowie Palma Vecchios
„Auferstehung" (Abb. 6) des Triptychons von
Serina (Provinz Bcrgamo). Raunachers Chri-
stusfigur scheint das statisch Gebundene der
Darstellungstechnik Bellinis mit der aktiveren
(energischerer Segensgestus und ausgepräg-
teres Standmotiv) Palma Vecchios und Tizians
zu vereinigen.
Besonders markante Figurenkonstellationen
sind in die beiden unteren Ecken des erwähn-
ten Kompositionsdreieckes gestellt. Rechts
unten ist in Seitenansicht eine kauernde, den
Arm in Denkergeste auf das Knie gestützte
Männcrgestalt wiedergegeben. Seit Michel-
angelo sollte dieses Motiv eines Sitzenden
ständig im Repertoire auch der außeritalieni-
schen Maler zu finden sein. Die in strenger
Seitenansicht verbildlichten „Vorfahren Chri-
sti" in den Zwickeln der sixtinischen Deckeß
(Abb. 7) haben in Tizians „Maria Tempel-
gang" aus der Akademie in Venedig ihre
modifizierte Gestaltung erlangt. Eine Eier-
verkäuferin sitzt hier im Vordergrund, schon
leicht zum Beschauer gewandt. Bei Tintoretto
hat dieses Sitzmotiv in der „Belehnung des
G. F. Gonzaga mit der Markgrafschaft von
Mantuam? gleich zweimal Verwendung ge-
fundenlß.
Als kompositorische Akzentuierung des rech-
ten unteren Dreieckswinkels steht knapp
hinter der mit einem Turban ausgestatteten
Sitzi-igur die aufrechte Gestalt einer Frau. Auf
der anderen Seite, dem linken Winkel des
gedachten Kompositionsdreieckes, ist dasselbe
Prinzip der Bildverfestigung angewandt (Ab-
bildung 3). Eine sitzende Rückeniigur er-
innert hier deutlich an venezianische Vorbilder
und da besonders an Tintorettoll oder an
die Rückeniiguren innerhalb der Herdendar-
stellungen der Bassanos.
Diese bisher aufgezeigten Ähnlichkeiten mit
der Individualgestaltung der venezianischen
Malerei dürfte über den Wert von Hypothesen
kaum hinausgelangen. Die Vermutung aber
wird zur Gewißheit, wenn der Blick auf die
Personengruppe in der äußersten rechten Bild-
ecke trifft (Abb. 4): In der Darstellung einer
Mutter mit Kind, eines links davon befind-
lichen hockenden Knaben sowie der in der
Art einer „figura serpentinata" den Bild-
winkel füllenden Gestalt hat Raunacher in
Jacopo Bassanos „Wachtelwunder" (Abb. 8)
sein unmittelbares Vorbild gefunden. Alle drei
Gestalten nehmen hier die rechte Bildhalfte
ein; Raunacher hat diese Gruppe, sieht man
von unwesentlichen Änderungen ab, über-
nommen und sich bezeichnenderweise auch an
einer Wunderdarstellung orientiert.
Wenn R. Meeraus bemerkt, daß Raunachers
Werk sich den „Manieristen italienischer
Prägung" anschließt, so trifft dies unserer
Meinung nach nur bedingt zull. Einmal in
dem eine Sicherheit des Lagerns völlig in
Frage stellenden Sitzmotiv der erwähnten
„figura serpentinata" (ein Einzelfall also) und
anderseits in der düsteren, oft gespenstisch
auflcuchtenden Farbigkeit, die an die späteren
Werke Tintorettos in der Scuola di S. Rocco
in Venedig erinnert. Darüber hinaus aber
machen sich Kriterien bemerkbar, die sich
manieristischen Gestaltungspostulaten gegen-
über kontradiktorisch verhalten. Raunacher
18
fand immerhin zu einer Darstellungsweise, die
das Bedeutende klar in den Mittelpunkt stellt
und sich von manieristischen Spannungs-
prinzipien, wie sie beispielsweise in Asymme-
trien wirksam sind, klar distanziert. Ein Ver-
gleich mit Leandro Bassanos „Brotvermeh-
rung" (l591-lS94)13 (Abb. 9) zeigt weiters
an, wie Raunacher, zumindest in zwei Dritteln
der Bildfläche der Gefahr, die Szenerie in
einem unentwirrbaren Menschenknäuel unter-
gehen zu lassen, entgegentrat. Bei Bassanos
Massenversammlung macht sich das
nieristische Merkmal des „horror vacui" in
unbändiger Weise bemerkbar; die eigentliche
Hauptszene des wunderbaren Ereignisses ist
auch merklich in den Hintergrund gerückt.
Besonders signifikant tritt die unterschiedliche
Auffassung Raunachers zur manieristischen
Aussageform bei einem Vergleich mit dem
vorhin erwähnten „Wachtelwunder" Bas-
sanos zutage. Moses, mit seinem Stab wunder-
bare Kräfte beschwörend, ist ganz an den
linken Bildrand verbannt und muß auch der
letztlich ja weniger bedeutenden Volksmenge
die Vordergrundzone einräumen.
Bei aller Kopierfreudigkeit, die der steirische
Hofmaler in der Detailzeichnung an den Tag
legte und die ihm fast den Ruf provinzieller
Ideenarmut eintrug, gelangte er doch zu be-
deutenderen künstlerischen Ergebnissen, als
es galt, eine Vieltausendköpiige Menschen-
menge übersichtsvoll auf die Leinwand zu
bannen. Mag Raunacher auch beträchtliche
Anleihen bei den Venezianern genommen
haben i eine vergleichende Motivforschung
ließe sich beliebig fortsetzen und auf alle
Einzelgestalten ausdehnen -, in der auf die
Relevanz der Protagonisten Bedacht nehmen-
den Massenverteilung erwies er sich doch als
ein Kind seiner Zeit, dem es mehr auf die
leichte Lesbarkeit eines Bildes als auf die
esoterische Wirkung verschlüsselter Problem-
kreise ankam.
ma-
ANMERKUNGEN B? 13
5 Sich: L. Goldscheider: Michelangelo, Köln 1959, Abb. 104
und 105.
q Siehe E. von der Bercken: j. Tintorutto, München 1942,
Abb. 181.
W Auch im romischen Bereich der Barockzeit (auch! jenes
Motiv bei G. mm (Rom, s. Gregorio al Cello, Cappella di
S. Andrea, Detail aus "Der h]. Andreas wird zur Rjchlstätte
geführt") und bei Gucrcino auf (Rom, Casino Ludovisi
"Die Nacht").
1' Siehe E. von der Bercken, a, a. 0., Abb. 28. 29. 124 und 177.
11 Siehe R. Meeraus, a. a. O., S. 146.
13 Sich: E. Arslan: l Bassano, Mailand 1960, S. 265 und Abb, 309.