MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 108)

Auch sonst steht im Werk dieses Künstlers selten 
eine Arbeit für sich allein; fast immer lassen sich 
übergeordnete gemeinsame Gedanken und wie- 
derum zyklische Gedankengänge erkennen. So 
gehören die beiden abgebildeten Radierungen ..Au 
pres ma blonde" und ,Soldaten, Kameraden" zu 
einem 1961 entstandenen Zyklus von Soldaten- 
liedern; die Sicherheit in der Komposition, das 
strenge, aber nie zum Selbstzweck werdende Strich- 
bild und die Knappheit der verwendeten Mittel 
bei gewollter ,.Einfachheit" sind kennzeichnende 
Stilcharakteristika. 
Auch die abgebildeten neueren Federzeichnungen 
lassen ihrejeweilige thematische Zusammengehörig- 
keit gut erkennen. Da sind einmal drei von einer 
ganzen Reihe von Arbeiten zum Thema Groß- 
stadt, die den Verhaltenszwang unserer Umwelt 
geißeln. Die unpersönliche und gleichgültige .mo- 
derne" Massengesellschaft spiegelt sich hier in 
einer „Stehweinhalle", dem "Kaffeehaus" und einer 
"Unfallstation". Die lsoliertheit des einzelnen in 
der Masse, das ist der Leitgedanke dieser Arbeiten, 
die ganz vom Umriß her bestimmt sind und wo 
vorn Zeichnerischen her durch den fast gänzlichen 
Verzicht auf die Binnenzeichnung das Neben- 
einander der Menschen noch verstärkt wird. Man 
könnte fast auf den Gedanken kommen, daß hier 
als Gegenstück zu Flaubens Wörterbuch der Ge- 
meinplätze eine Motivsammlung über menschliche 
Scheingemeinschaften im Entstehen ist. 
Zwei weitere Blätter gehören zu einer Serie „Zei- 
tungsleser", bei denen jeweils von bestimmten 
Aufmachern der Tageszeitungen ausgegangen wur- 
de; das Original der die Reaktion auslösenden 
Zeitung erscheint dabei als Collageelement selbst 
in der Darstellung. In einer Phasendarstellung, die 
das Erlebnis - und zwar das heute so beliebte 
Schlagzeilenerlebnis - des Lesenden sichtbar macht, 
wird ein bürgerlicher Kretinismus geschildert, wie 
er uns allenthalben täglich umgibt. Durch die 
Zeichnung der Phasen haben diese Arbeiten zu- 
gleich ein Bewegungsmoment erhalten, das den 
Betrachtungsvorgang steuert und zum bildlichen 
wie inhaltlichen Höhepunkt hinführt. 
Aus einer Folge von "Todsünden" entstammen die 
„Eitelkeit" - eine vielschichtige Metamorphose 
unter Zugrundeiegung eines Pfaus - und die 
,.Völlerei", ein Blatt, das uns einen Wohlstands- 
spießer zeigt, der sich aus lauter Überfluß vor 
unseren Augen in ein grunzendes Schwein ver- 
wandelt. Unwillkürlich wird man an den umge- 
kehrten Verwandlungsvorgang in Orwells .,Animal 
Farm" erinnert. Charakteristisch sind auch hier die 
körperschaffenden Umrißschraffuren und die un- 
gewöhnliche Bildkompositicn. 
In allen diesen Zeichnungen zeigt sich die be- 
sondere Eigenart dieses Mannes, den man zu 
Recht einen der letzten „Aufklärer und Enzyklopä- 
disten" nennen könnte. 
5 Hans Escher, Eitelkeit, 1965. Federzeichnung 
6 Hans Escher, Vollerei, 1969. Federzeichnung 
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