Barbarischen gleichsetztelli, und es wurden
keine oder nur wenige Versuche unternom-
men, die Gotik von dem zu unterscheiden,
was wir romanisch nennen. Johann Bernhard
Fischer von Erlach (1656-1723), der große
Wiener Barockarchitekt, nimmt in seinen
„Entwurf Einer Historischen Architektur" 14
keine Stiche romanischer oder gotischer Bau-
werke auf, obzwar ein byzantinisches Bau-
werk, die Hagia Sophia, sich unter die islami-
schen und chinesischen Gebäude verirrt, die
er bringt. In seiner Einleitung verneigt sich
Fischer gönnerhaft und nicht unfreundlich in
Richtung Gotik, indem er erklärt: „daß im
Bauen zwar etwas auf eine Regel-lose Ge-
wohnheit ankomme; (als etwan in dem Gothi-
schen kleinen Schnitz-Werk, und in den oben
zugespitzten Bogen, in den Thürmen ec. oder
in den Indianischen Drachen-Zügen, und
krummen Drachen) wo man einem jedem
Volke sein Gutdünken so wenig abstreiten
kan, als den Geschmack; Daß aber dennoch
in der Bau-Kunst, aller Veränderung unge-
achtet, gewisse allgemeine Grund-Sätze sind,
welche ohne offenbahren Übelstand nicht
können vergessen werden. Vergleichen sind
die Symmetrie; . . ."
Daraus könnte man schließen, daß einem
Mann wie Fischer, der eine mit spielerischer
Phantasie gestaltete Gartenvase tolerierte,
aber eine strenge Gliederung der Fassade
forderte, eine mittelalterliche Arbeit der
Kleinkunst, wie sie das Wiener Aquamanile
darstellt, durchaus annehmbar erschien. Es
ist daher verwunderlich, daß es offenbar keine
Entsprechung zwischen der angewandten
Kunst des frühen 18. Jahrhunderts in Deutsch-
land und dem vorzeitigen „gothic revival",
vertreten durch den Manierismus der Nürnber-
ger Goldschmiede vom Ende des 16. Jahr-
hunderts, gabl5 und daß sich das Interesse
an mittelalterlichen Werken mehr in der Rest-
aurierung oder Ergänzung plastischer Arbei-
ten als in deren Neugestaltung manifestiertelß.
Dem Porzellan als zu gestaltende Materie
waren natürlich engere Grenzen gesetzt, in
deren Rahmen die Phantasie jedoch freien
Spielraum hatte, und die matcrialbcdingten
Assoziationen zum Fernen Osten regten die
europäischen Töpfer schon immer zu Schöp-
fungen bizarrer Phantasie an. China und Japan
konnten Vorbilder liefern, die seltsamer waren
als alles bisher in Europa Bekannte, und die
Einfuhr tier- und vogelartig geformter Gefäße
aus diesen beiden Ländern nach Europa im
späten 17. und frühen 18. Jahrhundert war
beträchtlich. Den chinesischen Prototypen des
Yi l-Ising beispielsweise verdanken wir die
kleinen Teekannen aus Steinzeug und l'or-
zellan in Form eines Hahncs, die in Meißen
zwischen 1715-1740 erzeugt wurden (Ab-
bildung 3)'7. Nun müssen wir jedoch ins
Auge fassen, daß in Deutschland die Vor-
liebe für Silbergefäße in Vogclgestalt bis in
das frühe 18. Jahrhundert fortlebte. S0 m0-
dellierte im Jahre 1737 Kändler in Meißen
für eine ,,plat-de-menagÜ-Chinoiserie einen
Öl- oder Essigtopf, der eine viel selbstän-
digere Schöpfung des europäischen Barock
ist (Abb. 4). Wenn wir diese Arbeit mit der
Wiener Schokoladekanne vergleichen, sind die
Meißener Stücke viel stärker im deutschen
Spätbarock verwurzelt. Anders ausgedrückt,
das romanische Aquamanile mußte einem
Porzellanmodelleur in den 1740er Jahren sehr
modern erschienen sein. Ein Vergleich unserer
Porzellankanne mit dem romanischen Original
aus Metall wird zu einer faszinierenden stilisti-
schen und technischen Studie. Der Stilunter-
schied von 600 Jahren zeigt sich an gering-
fügigen Änderungen, an einzelnen Details wie
dem unteren Schnabel oder dem bandförmigen
Ornament auf der Brust des Vogels. Ander-
seits sind die auffallendsten Unterschiede im
Entwurf der beiden Stücke auf den verschie-
denen Gebrauchszweck zurückzuführen. Das
metallene Aquamanile wurde durch eine Öff-
nung oben am Schwanz gefüllt, die durch
einen von Scharnieren gehaltenen Deckel in
Form eines sehr stilisierten Blattes zu schließen
war. Auf der Schokoladekanne des 18. Jahr-
hunderts fehlt dieses Blatt, und verhältnis-
mäßig naturalistische Federn bilden die un-
gebrochene Kurve des Grilfes. Gefüllt wurde
die Kanne, indem man den schlecht aus-
balancierten Kopf abnahm (Abb. 6). Ent-
sprechend dem stärker ausgeprägten Naturalis-
mus des 18. Jahrhunderts fehlt das Niello-
Muster des romanischen Originals auf dem
Porzellanobjekt, das aus glattem, undeko-
riertem hartem Material gebildet wurde. Noch
ist dieses Material nicht die reine weiße
Masse, die 1749 aus dem Ton vom Schmölnitz
gewonnen und durch Einführung des unter-
glasurblauen Bindenschildes gekennzeichnet
wurdelß. Die Glasur ist bräunlich und un-
einheitlich im Ton, aber sehr dünn und er-
möglicht eine fast metallische Schärfe der
Form.
Diese Ausführungen erklären hinreichend,
warum dieses hybride Objekt, zwischen Metall
und Porzellan, Romanik und Rokoko, dennoch
Bedeutung erlangte 7 nun, da es keinerlei
Verwendung mehr finden wird 19.
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