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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 110)

aber die noch erhaltenen Fachgutachten wie 
auch die Entwürfe weisen die mit den ersten 
beiden Preisen ausgezeichneten Einreichungen 
als so gleichwertig aus, daß nur übergeordnete 
Überlegungen, wie sie schon angedeutet 
wurden, den Ausschlag geben konnten. 
Van der Nüll und Sicardsburg erhielten also 
im März 1861 auf Grund ihres entwicklungs- 
fähigen Entwurfes den großen Auftrag, mit 
der Auflage, in Zusammenarbeit mit allen 
interessierten und beteiligten Stellen den Ent- 
wurf umzuarbeiten. 
Am 13. April 1861 trug Minister _]osef Ritter 
von Lasser das Ergebnis der Konkurrenz dem 
Kaiser vor. Lasser berichtete, daß das Projekt, 
speziell die Anlage der Magazine umge- 
arbeitet und die Baustelle freigegeben werden 
müsse. Ein gutes Vierteljahr später trat dic 
Wettbewerbskommission erneut zusammen, 
um das seit dem 19. März überarbeitete Pro- 
jekt zu begutachten. In dieser Zeit hatten die 
Architekten nicht nur das Projekt fast gänzlich 
neubearbeitet, sondern auch auf einer Reise 
durch Deutschland, Belgien, England, Frank- 
reich und Italien die neuesten Thearerbauten 
Europas besichtigt. Das ist deshalb so denk- 
würdig, weil man seit den sechziger jahren 
des vorigen Jahrhunderts mit ganz anderen 
zeitlichen und räumlichen Dimensionen rech- 
nen muß; eine fünfwöchige Reise durch 
Europa schlägt sich nicht mehr in den Viren 
nieder; die Fülle der Eindrücke und die 
Schnelligkeit ihrer Vermittlung läßt sich von 
nun an nicht mehr überschauen. 
Nach der Zustimmung der auch mit An- 
gehörigen des Theaters besetzten Wettbe- 
werbskommission wurde der Entwurf dem 
inzwischen konstituierten Opernhauskomitee 
zur abschließenden Beratung vorgelegt. Zu 
dieser Sitzung am 5. Oktober 1861 wurden 
außerdem die Architekten Ludwig Förster, 
Friedrich Schmidt, Heinrich Ferstel, August 
Schwendenwein und Bernhard Salzmann ein- 
geladen. Auch dieser Prüfung hielt das über- 
arbeitete Projekt stand. Es gab keine einzige 
Stimme unter den Fachkollegen, die sich gegen 
irgendein ästhetisches, funktionelles oder tech- 
nisches Detail gewandt hatte. 
So wurde das Projekt ohne Änderung an- 
genommen und zur Ausführung empfohlen. 
Wie sah dieses Projekt nun aus? 
Die Baumassen wurden durch die Reduzie- 
rung des Raumprogrammes ganz wesentlich 
zusammengezogen. Der längsgerichtete Kern- 
bau blieb nicht nur bestehen, er wurde in 
Größe und Bedeutung gehoben, indem er jetzt 
nach hinten auch die Hinterbühne und nach 
vorn die Haupttreppe einschließt. Nach vom 
ist ihm ein schmaler Querbau, eine Raum- 
schicht mit Vestibül und Foyer und mit der 
noch einmal abgesetzten Loggia vorgelagert. 
An den beiden Seiten wird der Kernbau 
begleitet von schmalen Raumschichten, und 
zwar durchgehend, das heißt auch in den 
beiden weiter hinten liegenden Seitenhöfen. 
Dem Zug in die Tiefe, der durch diesen um- 
mantelten Kernbau entsteht, wird durch zwei 
kulissenartig gestellte Querriegel, die unter- 
einander wieder verbunden sind, entgegen- 
gewirkt. Die damit hervorgerufene Breiten- 
wirkung wirkt stabilisierend auf den hohen 
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Rumpfbau. Loggia, Vorbau, Seiten- und Ver- 
bindungstrakte sind zweigeschossig - wenn 
auch ungleich hoch 7-, die Quertrakte sind 
dreigeschossig, während der Kernbau um ein 
weiteres Geschoß emporragt. Das sind aller- 
dings nur die Architekturgeschosse; die wirk- 
liche Teilung ist verschleiert. So haben die 
Querriegel in Wirklichkeit vom „Ebenerd- 
Geschoß" aus fünf Geschosse, die Verbin- 
dungsflügel vier und der Hauptbau sechs- 
einhalb bis zum Gesims. Und nach unten 
setzt sich diese Unterteilung urn drei, stellen- 
weise um vier Geschosse fort, der Querschnitt 
gibt darüber besser Aufschluß als die Grund- 
risse oder der Längsschnitt. 
Der Straffung der Baukörper entspricht auch 
eine Vereinfachung der Dachformen: die 
Publikurnstrakte haben flache Dächer, die 
Theatertrakte Walmdächer mit flachem Ab- 
sehluß und der Hauptbau behielt sein gewölb- 
tes Walmdaeh. Die kräftigen Abschlußgesimse, 
die einheitlichen Dachbrüstungen und die 
knappen Dachformen unterhalb der alles über- 
ragenden Halle vermitteln den Eindruck 
ruhigen Lagerns. 
Die Baugruppe ist nun eindeutig auf die 
Eckansicht komponiert. Es ist kein Zufall, 
daß fast alle Ansichten der Hofoper vom 
„Meinl-Eck" aus aufgenommen werden. Der 
in Höhe und Tiefe reich und sinnfällig ge- 
staffelte Komplex mit dem nun auch wirklich 
zur Wirkung gelangenden Kernbau entwickelt 
sich von hier aus am besten, ebenso wie sich 
von dieser Eckansicht auch am deutlichsten 
der nach innen gewendete Freiplatz mit dem 
Brunnen entfaltet. 
Die Vereinfachung setzt sich fort in der 
Architekturgliederung. Es sind weniger Ein- 
zelformen geworden und diese sind kraft- 
voller. Am ganzen Bau gibt es jetzt nur noch 
Rundbögen; im Erdgeschoß sind es gedrückte 
Bögen, die sich als Durchgänge, Türen oder 
Fenster öffnen, in den oberen Geschossen 
rundherum Halbkreisbögen, wobei die Halb- 
kreisform im Hauptgeschoß geschlossen und 
dekorativ ausgefüllt blieb. Die Fenster blieben 
rechteckig. Der einzige sich stilistisch nicht 
recht einfügende Schmuck sind die Figuren- 
nischen der Front, und zwar sowohl die der 
Seitentrakte als auch die Epitaph-Aufbauten 
der Loggienfront. Sie entfielen dann auch bei 
der Ausführung. 
Die Provenienz der einzelnen Architektur- 
formen tritt nun zurück hinter der eigen- 
schöpferischen Leistung der Architekten. Die 
Loggia wirkt jetzt italienischer - florenti- 
nisch -, ebenso sind Gesims, Eckstäbe und 
manches Wandrelief dem venezianischen vier- 
zehnten jahrhundert entlehnt, die Dach- und 
Fensterformen weisen nach Frankreich. Aber 
der Charakter des Gesammelten ist über- 
wunden, die Verschmelzung der verschiedenen 
Stilformen zeichnet sich ab. 
Dieses mehrfach geprüfte und technisch wie 
künstlerisch für gut befundene Projekt wurde 
dem Kaiser am 15. Oktober durch Oberst- 
hofmeister Fürst Liechtenstein vorgelegt, und 
am 28. Oktober 1861 genehmigte Kaiser 
Franz-Joseph den Bau des k.k. Hofopern- 
gebäudes nach den vorgelegten Plänen von 
Eduard van der Nüll und August Sicard von 
Sicardsburg.
	        
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