mauerten Garten der Engel, der nach der Auf-
erstehung Christi auf dem offenen Grab sitzt.
Vier goldumrahmte Medaillons in den Ecken
bringen die Evangelisten mit ihren Symbolen.
Die betonte Symmetrie, das feste Zusammen-
fügen der Figuren zu einer geschlossenen
Gruppe, die Konzentration aller Figuren auf
den bildparallcl ausgestreckten Leichnam
Christi bewahren trotz dcr Vielfalt der Einzel-
heiten dem Werk den Charakter eines in sich
ruhenden, zuständlichen Andachtsbildcs, das
nicht historisches Geschehen erzählen, son-
dern den Betrachter zu Gebet und Betrachtung
auffordern will. Mit Blick und sparsamer
Gestik lenken alle Begleitfiguren auf die
Hauptgruppe hin. Selbst das Hinabsenken des
Körpers in den Sarkophag erscheint nicht
als Handlung und Bewegung, sondern als ein
Innehalten vor der Grablegung, ein Aus-
setzen jeder äußeren Bewegung für die Zeit,
in der Maria ihren Sohn beweint und von ihm
Abschied nimmt. Ihr kommt naturgemäß
stets der wichtigste, bevorzugte Platz zu
I-Iäupten Christi zu, sie ist clie einzige, die über
die Zeichen der Trauer und Klage hinaus in
einer direkten menschlichen Beziehung zu
Christus dargestellt werden konnte: sie um-
faßt seinen Kopf und küßt ihn, während eine
zweite knieende Frau seine Hand an die Lippen
führt.
Mit Ausnahme dieser einen sind alle Figuren
eindeutig durch die beigefügten griechischen
Namen gekennzeichnet, die über den Köpfen,
bei den drei HauptI-iguren in die Nimbusse ein-
gestickt sind. Nach den nicht mehr vollständig
erhaltenen Schriftzeichen könnte man auch
hier an die Bezeichnung der Gottesmutter in
der üblichen abgekürzten Schreibweise den-
ken; die Stellung und Geste, die Hand Christi
zu küssen, weisen dagegen auf Maria Magda-
lena hin, die aber hier mit ausgebreiteten
Armen unter dem Kreuz stehend erscheint.
Es kann sich daher nur um eine der anderen
in den Evangelien genannten Frauen, um
Maria, die Frau des Kleophas, oder Maria, die
Mutter des Jakobus und Johannes, handeln,
die abweichend von der weitverbreiteten Bild-
form hier den Platz der Magdalena ein-
nimmt.
Wohl wahrscheinlicher, als an eine gewollte
ikonographische Besonderheit zu denken, er-
scheint die Annahme, daß bei der Ausführung
ein Irrtum unterlaufen ist, der aus den be-
sonderen Umständen der Entstehung dieser
Stickerei verständlich wäre. Dem namentlich
genannten Sticker - Franz Filler - lag
zweifellos eine griechische Vorlage für die
Bildkomposition wie auch für die griechischen
Inschriften vor, wobei er diese nachstickte,
ohne die Schrift lesen und verstehen zu kön-
nen. Obwohl nämlich die Inschriften im gan-
zen gut lesbar sind, treten darin doch einzelne
undeutliche und verzerrte Formen auf. Be-
sonders bezeichnend ist die Schriftzeile am
unteren Bildrand, die griechisch beginnt, nach
der Jahreszahl 1752 aber „Frantz Filler fccit"
weitergeführt ist; so hat der Sticker seine
Signatur, für die er keiner Vorlage bedurfte,
in der ihm geläufigen Art und Schrift ange-
bracht.
Diese Gebundenheit bzw. Freiheit des Stickers
spiegelt sich auch in dem Verhältnis von Bild-
komposition und Ornamentumrahmung wider.
Diese hat der Wiener Meister offensichtlich
seinem gewohnten Formenschatz entnommen,
für jene besaß er eine besondere Vorlage. Mit
den weitausschwingenden Akanthusblättern
und den von Blumen bekröntcn Muscheln
hält sich der Rahmen durchaus im Bereich der
österreichischen Spätbarockdekorationen.
Die sorgfältige Ausführung sowohl der Gold-
reliefstickerei wie der feinen Nadelmalerei läßt
Franz Filler als einen repräsentativen Meister
seines Handwerkes erkennen, der hier mit
einem gesicherten Werk feststellbar ist. Es
wäre leicht denkbar, daß sich in der auch heute
noch großen Zahl österreichischer Stickereien
des 18. Jahrhunderts noch andere unbezeich-
nete Werke seiner Hand erhalten haben.
Vierzig Jahre nach diesem Epitaphios ist für
dieselbe Kirche ein zweiter angefertigt wor-
den. Auch dieser trägt eine Inschrift, die sich
am äußersten unteren Rand zwischen Orna-
mentrahmen und Fransenbesatz befindet. Lei-
der ist er an dieser Stelle durch den Gebrauch
weitgehend zerstört worden, so daß im
Wesentlichen nur mehr „Wien 1793" klar les-
bar ist. Trotz seiner im Matcrial aufwendigeren
Ausführung bildet diese Arbeit eine wesentlich
schwächere Kopie des älteren Werkes. War
schon bei dem ersten Epitaphios zu ver-
muten, daß der Sticker mit seiner Vorlage
nicht ganz vertraut war, so wird die Unkennt-
nis des Ausführenden hier ganz offensichtlich:
die Inschriften sind zum Teil verschrieben, die
Buchstabenformen undeutlich. Am entschei-
dendsten aber ist die Veränderung in der
Hauptgruppe, denn hier fehlt die Figur
Mariens, die wichtigste der Assistenzfiguren.
Die Inschrift im Nimbus Christi ist in IESUS
verändert. Die im älteren Werk nicht ein-
deutig bestimmbar Kniende, die sich zur
Hand Christi beugt, hat überhaupt keine
Namensbezeichnung. Dem Sticker waren offen-
bar die abgekürzten Inschriften unverständ-
lich und der inhaltliche Zusammenhang nicht
klar, so daß er diese sinnwidrige Änderung
vornahm, die Inschriften aber nur dort er-
gänzte, wo er seiner Sache sicher war, im
Nimbus Christi und in der Inschrifttafel des
Kreuzes, die er aus der griechischen in die
lateinische Form übersetzte.
Daß hier ein wesentlich schwächerer Meister
am Werk war, zeigt sich sowohl an der unge-
schickteren Gestaltung vor allem der Ge-
sichter wie auch an der unveränderten Über-
nahme der Randdekoration, die 1793 gänzlich
veraltet war. Anlaß zur Kopierung des ersten
Epitaphios dürfte wohl der Wunsch nach
prunkvollerer Gesamtwirkung gewesen sein,
die sich vor allem durch den Silbergrund hier
gegenüber dem roten und grünen Samt dort
kundtut.
Neben dem künstlerischen und ikonographi-
schcn Interesse hicten diese beiden bisher kaum
bekannten Werke als signierte und datierte
Wiener Stickereien des 18. Jahrhunderts auch
noch einen besonderen kulturhistorischen
Aspekt.