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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 111)

mauerten Garten der Engel, der nach der Auf- 
erstehung Christi auf dem offenen Grab sitzt. 
Vier goldumrahmte Medaillons in den Ecken 
bringen die Evangelisten mit ihren Symbolen. 
Die betonte Symmetrie, das feste Zusammen- 
fügen der Figuren zu einer geschlossenen 
Gruppe, die Konzentration aller Figuren auf 
den bildparallcl ausgestreckten Leichnam 
Christi bewahren trotz dcr Vielfalt der Einzel- 
heiten dem Werk den Charakter eines in sich 
ruhenden, zuständlichen Andachtsbildcs, das 
nicht historisches Geschehen erzählen, son- 
dern den Betrachter zu Gebet und Betrachtung 
auffordern will. Mit Blick und sparsamer 
Gestik lenken alle Begleitfiguren auf die 
Hauptgruppe hin. Selbst das Hinabsenken des 
Körpers in den Sarkophag erscheint nicht 
als Handlung und Bewegung, sondern als ein 
Innehalten vor der Grablegung, ein Aus- 
setzen jeder äußeren Bewegung für die Zeit, 
in der Maria ihren Sohn beweint und von ihm 
Abschied nimmt. Ihr kommt naturgemäß 
stets der wichtigste, bevorzugte Platz zu 
I-Iäupten Christi zu, sie ist clie einzige, die über 
die Zeichen der Trauer und Klage hinaus in 
einer direkten menschlichen Beziehung zu 
Christus dargestellt werden konnte: sie um- 
faßt seinen Kopf und küßt ihn, während eine 
zweite knieende Frau seine Hand an die Lippen 
führt. 
Mit Ausnahme dieser einen sind alle Figuren 
eindeutig durch die beigefügten griechischen 
Namen gekennzeichnet, die über den Köpfen, 
bei den drei HauptI-iguren in die Nimbusse ein- 
gestickt sind. Nach den nicht mehr vollständig 
erhaltenen Schriftzeichen könnte man auch 
hier an die Bezeichnung der Gottesmutter in 
der üblichen abgekürzten Schreibweise den- 
ken; die Stellung und Geste, die Hand Christi 
zu küssen, weisen dagegen auf Maria Magda- 
lena hin, die aber hier mit ausgebreiteten 
Armen unter dem Kreuz stehend erscheint. 
Es kann sich daher nur um eine der anderen 
in den Evangelien genannten Frauen, um 
Maria, die Frau des Kleophas, oder Maria, die 
Mutter des Jakobus und Johannes, handeln, 
die abweichend von der weitverbreiteten Bild- 
form hier den Platz der Magdalena ein- 
nimmt. 
Wohl wahrscheinlicher, als an eine gewollte 
ikonographische Besonderheit zu denken, er- 
scheint die Annahme, daß bei der Ausführung 
ein Irrtum unterlaufen ist, der aus den be- 
sonderen Umständen der Entstehung dieser 
Stickerei verständlich wäre. Dem namentlich 
genannten Sticker - Franz Filler - lag 
zweifellos eine griechische Vorlage für die 
Bildkomposition wie auch für die griechischen 
Inschriften vor, wobei er diese nachstickte, 
ohne die Schrift lesen und verstehen zu kön- 
nen. Obwohl nämlich die Inschriften im gan- 
zen gut lesbar sind, treten darin doch einzelne 
undeutliche und verzerrte Formen auf. Be- 
sonders bezeichnend ist die Schriftzeile am 
unteren Bildrand, die griechisch beginnt, nach 
der Jahreszahl 1752 aber „Frantz Filler fccit" 
weitergeführt ist; so hat der Sticker seine 
Signatur, für die er keiner Vorlage bedurfte, 
in der ihm geläufigen Art und Schrift ange- 
bracht. 
Diese Gebundenheit bzw. Freiheit des Stickers 
spiegelt sich auch in dem Verhältnis von Bild- 
komposition und Ornamentumrahmung wider. 
Diese hat der Wiener Meister offensichtlich 
seinem gewohnten Formenschatz entnommen, 
für jene besaß er eine besondere Vorlage. Mit 
den weitausschwingenden Akanthusblättern 
und den von Blumen bekröntcn Muscheln 
hält sich der Rahmen durchaus im Bereich der 
österreichischen Spätbarockdekorationen. 
Die sorgfältige Ausführung sowohl der Gold- 
reliefstickerei wie der feinen Nadelmalerei läßt 
Franz Filler als einen repräsentativen Meister 
seines Handwerkes erkennen, der hier mit 
einem gesicherten Werk feststellbar ist. Es 
wäre leicht denkbar, daß sich in der auch heute 
noch großen Zahl österreichischer Stickereien 
des 18. Jahrhunderts noch andere unbezeich- 
nete Werke seiner Hand erhalten haben. 
Vierzig Jahre nach diesem Epitaphios ist für 
dieselbe Kirche ein zweiter angefertigt wor- 
den. Auch dieser trägt eine Inschrift, die sich 
am äußersten unteren Rand zwischen Orna- 
mentrahmen und Fransenbesatz befindet. Lei- 
der ist er an dieser Stelle durch den Gebrauch 
weitgehend zerstört worden, so daß im 
Wesentlichen nur mehr „Wien 1793" klar les- 
bar ist. Trotz seiner im Matcrial aufwendigeren 
Ausführung bildet diese Arbeit eine wesentlich 
schwächere Kopie des älteren Werkes. War 
schon bei dem ersten Epitaphios zu ver- 
muten, daß der Sticker mit seiner Vorlage 
nicht ganz vertraut war, so wird die Unkennt- 
nis des Ausführenden hier ganz offensichtlich: 
die Inschriften sind zum Teil verschrieben, die 
Buchstabenformen undeutlich. Am entschei- 
dendsten aber ist die Veränderung in der 
Hauptgruppe, denn hier fehlt die Figur 
Mariens, die wichtigste der Assistenzfiguren. 
Die Inschrift im Nimbus Christi ist in IESUS 
verändert. Die im älteren Werk nicht ein- 
deutig bestimmbar Kniende, die sich zur 
Hand Christi beugt, hat überhaupt keine 
Namensbezeichnung. Dem Sticker waren offen- 
bar die abgekürzten Inschriften unverständ- 
lich und der inhaltliche Zusammenhang nicht 
klar, so daß er diese sinnwidrige Änderung 
vornahm, die Inschriften aber nur dort er- 
gänzte, wo er seiner Sache sicher war, im 
Nimbus Christi und in der Inschrifttafel des 
Kreuzes, die er aus der griechischen in die 
lateinische Form übersetzte. 
Daß hier ein wesentlich schwächerer Meister 
am Werk war, zeigt sich sowohl an der unge- 
schickteren Gestaltung vor allem der Ge- 
sichter wie auch an der unveränderten Über- 
nahme der Randdekoration, die 1793 gänzlich 
veraltet war. Anlaß zur Kopierung des ersten 
Epitaphios dürfte wohl der Wunsch nach 
prunkvollerer Gesamtwirkung gewesen sein, 
die sich vor allem durch den Silbergrund hier 
gegenüber dem roten und grünen Samt dort 
kundtut. 
Neben dem künstlerischen und ikonographi- 
schcn Interesse hicten diese beiden bisher kaum 
bekannten Werke als signierte und datierte 
Wiener Stickereien des 18. Jahrhunderts auch 
noch einen besonderen kulturhistorischen 
Aspekt.
	        
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