Alle Pinakafbek
Das Bildprogramm der Alten Pinakothek
(Abb. 2, 8-12) konzentrierte sich „ganz im
Sinne des Monarchen und dem Zweck des
Baues vollkommen entsprechendWO auf „die
geschichtliche Entwicklung der Kunst, haupt-
sächlich der Malerei im Mittelalter, von der
Epoche ihres Wiederauflebens im dreizehnten
Jahrhundert, in ihrem Verlaufe bis zur Mitte
des siebzehnten ]ahrhunderts"2l. Es bestand
aus Statuen am Außenbau, Skulpturen zu
seiten des Einganges, dem malerischen und
plastischen Programm des Saales der Stifter,
einem großen Zyklus von Wandmalereien in
den dafür vorgesehenen Loggien an der Süd-
wand des Obergeschosses und einzelnen
Hinweisen in den Gemäldesälen.
Am Außenbau standen auf der Balustrade der
Südfassade, also über den sogenannten Log-
gien, die Standbilder von 24 Malern (Abb. 2),
„welche in der Entwicklung der christlichen
Malerei neue Richtungen und Fortschritte
bezeichnen" 12 (von rechts nach links): Do-
menichino, Correggio, Andrea del Sarto,
Giovanni Bellini, Tizian, Raffael, Michelangelo,
Ghirlandaio, Perugino, Leonardo da Vinci,
Masaccio, Fra Angelico, Francesco Francia,
Poussin, Claude Lorrain, Murillo, Velazquez,
van Dyck, Rubens, Erhard Schön, Holbein,
Dürer, Memling, van Eyckll.
Neben dem Eingang zur Gemäldegalerie an
der Ostfassade liegen zwei bayrische Löwen.
Sie entsprechen der Reihe preußischer Adler
über der Säulenhalle des Berliner Museums.
Im Innern betrat man zuerst den „reich ver-
zierten, mit rothen, in München gewirkten,
seidenen Tapeten geschmückten"l4 Saal der
Stifter, der die Bildnisse der bayrischen Herr-
scher enthielt, die „jene herrlichen Gemälde
einzeln gesammelt, und in verschiedenen
Gallerien aufgestellt hatten, welche man nun
vereint in den Sälen und Cabinetten der Pina-
kothek zu bewundern im Begriffe stcht"15.
Auf der dem Eingang gegenüberliegenden
Wand befanden sich das Bild des Kurfürsten
johann Wilhelm von der Pfalz, „Stifters der
ehemaligen Düsseldorfer Gallerie"26, und des
Kurfürsten Maximilian Emanuel von Bayern,
„Stifters der Schleissheimer Gemälde-Gal-
leric"27, auf der Wand der Eingangstür das
Bildnis des Kurfürsten Maximilian I. von
Bayern, „Stifters der Gemälde-Gallerie in der
von ihm erbauten Residenz"23 und des
Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz,
„Stifters der Gemälde-Gallerie zu Mann-
heim"29, neben dem Eingang zum ersten
Saal das Bild des Königs Maximilian joseph I.,
„Gründers der Pinakothek" 30, und des Königs
Ludwig I. von Bayern, „Erbauers der Pinako-
thek" 31. - Ein Fries unter dem Gesims ent-
hielt Medaillons mit Reliefdarstellungen aus
der bayrischen Geschichte:
„1. Garibald wird mit Waltrada getraut, 574.
2. Die Einführung geschriebener Gesetze, 641.
3. Arnulf wciset die hungarischen Gesandten
ab, 911.
4. Luitpolds Tod im Kampfe gegen die
Hunnen, 907.
5. Heinrich der Löwe baut München, 1175.
6. Otto von Wittelsbach wird vom Kaiser mit
Bayern belehnt, 1180.
7. Ludwig der Bayer vertraut Land, Krone
und seine Kinder Friedrich dem Schönen
von Oesterreich, 1335.
8. Die Schlacht bei Giengen, 1462.
9. Albrecht der Weise, Beförderer der Künste,
1560.
10. Wilhelm V., Vater der Armen, 1553.
11. Maximilian I. wird mit der Pfalz belehnt,
1623.
12. Maximilian Emanuel schließt Frieden mit
den Türken, 1688.
13. Maximilian I., König von Bayern, 1806.
14. König Ludwig I. legt den Grundstein zur
Walhalla, 1830" 32.
Der Bauherr ließ sich und einige seiner Vor-
fahren als die Stifter der Pinakothek darstellen,
damit die engen Beziehungen der Geschichte
der Sammlung mit der des Herrscherhauses
und damit die Verdienste der Herrscher um
die Sammlung deutlich wurden. Durch die
Verknüpfung der Stifterbildnisse mit den
Darstellungen aus der Geschichte Bayerns
versuchte er, diese Maßnahme, die als bloßer
Wunsch nach Repräsentation erscheinen
konnte, zu legitimieren. Das Museum erschien
nicht nur als „ein sprechender Zeuge von dem
regen Kunstsinne seines erlauchten Grün-
ders" 33 und dessen Vorfahren, sondern wurde
als Monument der Geschichte Bayerns und
seines Herrscherhauses interpretiert.
Hauptteil des Bildprogramms war die Aus-
malung der Loggien (Abb. 9i11) mit den
Darstellungen zur Kunstgeschichte nach Ent-
würfen von Peter Cornelius, der nach Ideen-
reichtum und Umfang bedeutendste male-
rische Zyklus zur Kunstgeschichte, den die
Kunst des 19. Jahrhunderts hervorgebracht
hat 34.
Die von Peter Cornelius und Clemens Zim-
mermann 1840 herausgegebene „Beschreibung
der Fresko-Malereien in den Loggien der
königl. Pinakothek zu München" erläuterte
die Anordnung und Themenwahl:
„Die Disposition des Bilder-Cyklus ist hier
durch die architektonische Eintheilung des
Ortes bedingt. Der ganze Corridor, 419' lang,
18' breit und 29' hoch, enthält 25 Bogen-
stellungen, die mit eben so vielen auf Wand-
pfeilern ruhenden flachen Kuppeln über-
wölbt sind. Nur diese Kuppeln und die an der
Wand darunter befindlichen Lünetten sind mit
Fresken geschmückt, und enthalten in einer
reichen Fassung von Arabesken, bildliche
Darstellungen, theils historischen, theils alle-
gorischen oder symbolisch erläuternden In-
halts, wobei durchgängig die Einflechtung des
Mythologischen und Antiken den Grund-
gedanken durchschimrnern läßt, daß die neuere
Kunst auf der Grundlage der Kunst des klas-
sischen Altertums ruhe. Die ersten dreizehn
Kuppeln und Lünetten haben die Geschichte
der Malerei in Italien zum Gegenstand, die
zwölf übrigen beziehen sich auf die Entwick-
lung der Kunst in Deutschland, Frankreich
und den Niederlanden. jede Kuppel ist irgend-
einem der einflußreichsten Künstler, oder auch
einer ganzen Schule zugetheilt.
Raphael von Urbino, als derjenige, welchem
wegen des seltenen Vereins der erhabensten
künstlerischen Eigenschaften vor allen andern
der Vorzug der Einzigkeit einzuräumen ist,
steht im Mittelpunkt des Ganzen. Er hat die
dreizehnte Loggia inne. In den Loggien,
Anfang und Ende des Corridors finden sich
die ersten Entwicklungsmornente der wieder-
erstehenden Kunst, und die Uebergänge
zur Gründung der frühesten Kunstschulen,
dort in Italien hier in Deutschland. Von da
aus folgen sich zu beiden Seiten gegen die
Mitte hin chronologisch fortschreitend, die
spatern Meister und Schulen. Dabei ist die
Reihenfolge dergestalt angeordnet, daß von
der Mitte der Loggia des Raphael aus, so viel
als möglich, je nach den verschiedenen Epo-
chen, die in ihrer Geistesrichtung und Wirk-
samkeit verwandtesten Künstler immer cin-
ander gegenübergestellt sind. So entsprechen
sich z. B. die Loggien des Angeliko da Fiesole
und der Geschwister van Eyck, des Leonardo
da Vinci und des Albert Dürer, des Michel
Angelo und des Peter Paul Rubens u. s. w.
Im Sinne dieser, nach Innen wie nach Außen,
symetrischen Anordnung, wiederholen sich
auch jedesmal in den einander entsprechenden
Loggien die Feldercintheilungen, die Beiwerke
der Arabesken, zum Theil auch die Alle-
gorien und symbolischen Darstellungen. Des-
gleichen ist um dieser Bedingung einer archi-
tektonisch-symetrischen Austheilung zu ge-
nügen, in den beiden Lünetten über den Thüren
am Ein- und Ausgang, ein und dieselbe Dar-
stellung angebracht. Ein Löwe als das Wappen-
tier Bayerns, überwältigt die gegen ihn an-
kämpfende Schlange; an ihn lehnen sich zu
beiden Seiten weibliche Gestalten mit Fackeln,
Palmzweigen, Kränzen; die darüberschweben-
den Genien halten in einem Eichenkranz die
Namens-Chiffre des Königs Ludwig empor:
sinnbildlich anzudeuten, daß die Kunst in
Bayern ein schützendes Asyl gefunden, und
Wem sie dieß zu danken habe; in der weib-
lichen Gestalt zur Rechten ist die Geschichts-
malerei personiiiziert, die Kränze in der Hand
der Gestalt zur Linken, beziehen sich auf den
Preis und Ruhm großer Künstler auch in den
anderen Kunstgebieten: der Bildniß-, Land-
schafts- und Genre-Malerei.
Auf den größeren WandHächen der einzelnen
Loggien Enden sich die Namen der Städte
verzeichnet, in denen zu seiner Zeit die Künste
vorzüglich geblüht haben. Zur Vervollstän-
digung des Kreises von Künstlern, deren
Leben und Wirken meistens den Inhalt der
Gemälde ausmacht, schließen die Bogenwinkel
jeder Kuppel, immer je vier Medaillons, mit
plastisch dargestellten Bildnissen derjenigen
berühmten Maler in sich, welche zu den Haupt-
meistern als ihre Schüler, Anhänger oder Zeit-
genossen in einem näheren Verhältnisse ste-
hen"35.
Über diese Zusammenfassung hinaus gaben
Cornelius und Zimmermann eine genaue
Schilderung aller Einzelheiten des Pro-
gramms36.
Die Szenen, die Cornelius ausgewählt hatte,
um kunstgeschichtliche Zusammenhänge dar-
zustellen, waren nicht historisch getreu wieder-
gegeben, sondern oft märchenhaft verklärt
und anekdotisch ausgesponnen. Cornelius be-
gnügte sich bewußt nicht mit historischen
Fakten. „Bei der Bearbeitung des geschicht-
lichen Stoifes sollten . . . nicht blos historisch-
begründete Vorgänge den Inhalt der einzelnen
Darstellungen ausmachen; auch auf bloße
Sagen und Kunsttraditionen sollte dabei
21