Karl Marilaun
JOSEF HOFFMANN, _
DIE WIENER WERKSTÄTTE
UND ADOLF LOOS
Der folgende Beitrag erreliien (um
50. Gehurlmzg von Azialf Lau! und
joref Hvjmann. Wir rind der Über-
zeugung, daß er am!) beute norl), anlbßlieb
de: 100. Gelmrlrtager, reine Gültigkeit
hätte.
Josef Hoffmann und Adolf Loos sind im ver-
gangenen Monat fünfzig Jahre alt geworden.
Dies dürfte aber auch schon das einzige sein,
das sie miteinander gemein haben. Josef
Hoffmann, Regierungsrat und Professor an
der Wiener Kunstgewerbeschule, gehört zu
den Initiatoren der neueren kunstgewerblichen
Richtung; seine stilschaffende und kunst-
erzieherische Persönlichkeit hat in der „Wiener
Werkstätte" ihren prägnantesten Ausdruck
gefunden. Adolf Loos, Erbauer des lange und
ungewöhnlich heftig umstritten gewesenen
puritanischen Hauses auf dem Wiener Michae-
lerplatz, negiert die Daseinsberechtigung jeg-
lich:n„Kunst"gewerbes, die Verquickung von
Kunst und Handwerk ist ihm ein Greuel.
Sie beruht nach ihm nicht nur auf einem
Denk-, sondern beinahe schon einem Charakter-
fehler. Ornament ist Verbrechen. Schlichteste,
sachlichste, arbeit- und materialsparende
Zweckmäßigkeit des Gebrauchsgegenstandes
erhebt er zur sozusagen sittlichen Forderung.
Nie und nimmer kann ein Regenschirmständer,
eine Damentoilette, ein Haus unserer Zeit
„schön" sein, wenn der Kunstgewerbler dem
Schneider, Tischler oder Hausbauer über die
Achsel sieht. Der Sessel, auf dem ich sitze,
ist auf Grund jahrhundertelanger Erwägungen
und Versuche zu jener Form gelangt, bei der
das Ästhetische Nebensache, das Problem des
Darin-sitzen-Könnens aber einwandfrei gelöst
erscheint. Zu dieser Lösung ist lediglich der
Handwerker befähigt, der ohne Rücksicht auf
Schönheit, Stilfragen und Kunstdiskussionen,
die weder bei der Hobelbank am Platz noch
zum Sitzen unumgänglich nötig sind, einen
Gebrauchsgegenstand zu liefern hat, der so
zweckmäßig wie nur überhaupt möglich
ist.
Die Zweckmäßigkeit mit einer durchaus nicht
dem Sachlichcn allein entspringenden „Schön-
heit" zu verbinden, ist eine Idee, die Adolf
Loos seit zwanzig Jahren mit allen Mitteln des
glänzenden Dialektikers und mit der Über-
zeugung eines Apostels bekämpft. In diesen
selben zwanzig Jahren hat sich die „Wiener
Werkstätte" Josef Hoffmanns ihren Boden,
ihr Publikum und ihre Snobs geschaffen. Die
österreichische oder, sagen wir, wienerische
Freude, Selbstverständlichkeiten einen Schnör-
kel anzuhängen und das „graue Leben" ohne
Ornament unerträglich zu finden, verbunden
mit einem oft sehr hemmungslosen Talent zu
phantasierender Formgestaltung, hat es als
beinahe beleidigende Zumutung empfunden,
sich mit einem bloßen Zweck abfinden zu
sollen. Der Mensch des francisco-josephini-
schen, im Makart-Bukett dominierenden Zeit-
alters hatte im Gefühl seiner inneren Un-
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sicherheit eine Angst vor der Realität. Nicht
wie die Dinge sind, sondern wie sie aussehen,
war die Hauptsache. Sachlichkeit war ihm ein
Greuel, es beleidigte ein sogenanntes Stil-
empfinden, die Schönheit des neuen Lebens
in einem nackten Betonbau, in der Zweck-
konstruktion einer Maschine, im Pflaster der
Großstadtsrraße, in einer Wickelgamasche
sehen zu sollen. Man konnte ja natürlich den
Betonbau und die Wickelgamasche nicht ent-
behren, aber der österreichische Mensch trug
inwendig den gestickten Kragen des sech-
zehnten oder siebzehnten Jahrhunderts dazu.
So ein gestickter Kragen war die immer sich
wiederholende Klage, daß man dazu „ver-
dammt" sei, in einer nüchtern gewordenen,
den Zweck anbetenden, die Sachlichkeit zum
Prinzip erhebenden Zeit leben zu müssen.
Das Makart-Bukett war die Flucht aus der
Wirklichkeit zum schönen Schein oder vom
grauen Leben zum Pofel.
Josef Hoffmann und seine Gemeinde schafften
das Makart-Bukett und das scheußliche Tape-
zierertum der achtziger Jahre ab. Sie erkannten
ganz richtig, daß sich der neue Mensch einen
neuen Stil erobern müsse, daß gotische Speise-
zimmerkredenzen, altdeutsche Stuben oder ein
maurisches Rauchzimmer mit dem „lebendigen
Tag, in den wir gesetzt sind" (Goethe), gar
nichts zu tun haben. Daß es lächerlich, ge-
schmacklos und unintelligent sei, diesen le-
bendigen Tag mit (nachgeahmten) Vergangen-
heiten romantisch und empfindsam zu mö-
blieren.
Zwei Wege waren nun möglich. Entweder
bekannte man sich unsentimental und auf-
richtig zu dieser Zeit, deren Schönheit nicht
Ornamente sind, die das zwecklos Schöne
überhaupt so ziemlich aus unserem Alltag,
unserer Stube, unserer Kleidung verbannt hat.
Entweder entschloß man sich, das schön zu
finden, was in unserem täglichen Leben kein
Verkehrshindernis bildet, sondern es erleich-
tert: also die Glühlampe, das Gasbügeleisen,
das Wasserklosett, die Mauer aus Beton, das
moderne Straßenpfiaster, den Sessel aus ge-
bogenem Holz, den hygienischen Spucknapf,
vernickelte Wasserleitungshältne, die elek-
trische Tramway, das Auto, einen Gas-
rechaud, die gekachelten Wände eines Bade-
zimmers.
Oder - man versuchte, diesen Dingen, die
man ja keinesfalls mehr entbehren konnte und
wollte, abermals den bewußten Spitzenkragen
umzuhängen. Ihr Zweckmäßiges mit „Schön-
heit" zu bemänteln. Kunst in die Tischler-
werkstatt, zum Buchbinder, zum Damen-
schneidet, zum Wändemaler, zum Metall-
arbeiter zu tragen. Den Professionisten zum
Kunstgewerbler umzubiegen, und allerdings
keine Anleihen bei alten Stilen mehr zu
machen, aber mit der Erfindung eines „mo-
dernen" Stils den beinahe schon freigemachten
Weg zur Sachlichkeit und Aufrichtigkeit
neuerdings zu verschütten.
Anstatt Gewerbe und in Generationen hoch-
gebildetes Handwerk in ihre Rechte einzu-
setzen, verquickte man es mit „Kunst". Der
Schnörkel war wieder da, und da das Orna-
ment alten wie neuen Stils nicht eben auf dem
Wege von Arbeits- und Marerialersparung
zustandezukomrrien pflegt, wandte sich die
sicherlich aus den idealsten Beweggründen
entstandene „Wiener Werkstätte" mit ihrer
„Edelarbeit" naturgemäß nur an die be-
güterten Kreise, den kaufkräftigen Abnehmer,
den Snob, der es sich leisten konnte. Hand-
werk, mit Kunst kompliziert und um sie ver-
teuert, kann eine sozusagen soziale Ver-
pflichtungen nicht gut anerkennen. Möbel,
die nicht nur zweckmäßig, sondern vom
Architekten entworfen, hernach noch durch
eine Menge von Händen gehen müssen -
des Tischlers, des Tapezierers, des Bildhauers,
des Vergolders, Malers, Inkrustierers - geben
gewiß Zeugnis für den Ideenreichtum oder
den Sybaritismus ihres Entwerfers und die
Höchstentwicklung der verschiedensten Hand-
werkszweige, aber sie können natürlich nicht
billig sein, und gerade für jene Kreise, die
einer Hebung und Kultivierung des Ge-
schmacks am allerbedürftigsten wären, sind
sie überhaupt unerschwinglich. Die Schöpfer
des modernen Kunstgewerbes stellten eine
Menge sittlicher Postulate auf: fort mit dem
Schund, Materialechtheit, Edelarbeit; sie pre-
digten eine neuzeitliche Wohnungskultur,
aber sie schufen im großen und ganzen nur . . .
Luxuswarel
Und hier erinnert man sich, daß Loos, der
grimmige Antichrist der „Wiener Werkstätte",
nicht nur von einem Denk-, sondern einem
Charakterfehler des „Kunst"handwerkes zu
sprechen liebt.
Ich vermag nicht i oder noch nicht -, ihm
auf seinen Gedankengängen unbedingt und
bis zur letzten Konsequenz zu folgen. Ich
kann das Lebenswerk eines Künstlers und
Idealisten, wie es Josef Hoffmann ist, nicht
mit der Impetuosität und ungeheuren Selbst-
sicherheit eines Adolf Loos ablehnen. Hoff-
manns phantastischer Ideenreichtum be-
fruchtet nun seit zwanzig oder mehr Jahren
eine Menge von österreichischen Formtalenten,
deren er - vielleicht zuviel - in seiner
Kunstgewerbeschule geradezu aus dem Boden
gestampft hat. Er zügelt möglicherweise die
Zügellosigkeiten seiner begabten Minorennen
zuwenig, die aus einem eminent künstlerischen
und sozusagen auch sittlichen Beweggrund:
der junge Mensch soll nicht „in eine Bahn
gelenkt", nicht einmal zu seinem Meister
orientiert werden, sondern er soll ganz, aus-
schließlich und ungehemmt sagen, was er zu
sagen hat. Die Phantasie soll nicht in eine
„Schule" genommen werden, Persönlichkeit
ist alles.
Wofür Hoffmann natürlich nicht kann, ist,
daß auch die Persönlichkeit hierzulande den
gestickten Spitzenkragen sozusagen im Blute
hat, daß sie den Schein für das Sein nimmt,
daß sie den Schnörkel für das Wesentliche
hält. Daß Ornament nicht Verbrechen, son-
dern Daseinsbedingung des österreichischen
Menschen ist. Daß Wien wahrscheinlich aus
tieferen Gründen, auch in seiner gegen-
wärtigen Verarmung, die Stadt der „Luxus-
ware" ist.
Sollte dieser Stadt der neue Geist, die Er-
kenntnis des Wesentlichen, imputicrt werden
können, wäre Adolf Loos ihr Führer. Und
Josef Hoffmann, der Baukünstlcr, Innen-
architekt, Kunsterzieher und Idealist, der
letzte österreichische Mensch . . .