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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 113)

Karl Marilaun 
JOSEF HOFFMANN, _ 
DIE WIENER WERKSTÄTTE 
UND ADOLF LOOS 
Der folgende Beitrag erreliien (um 
50. Gehurlmzg von Azialf Lau! und 
joref Hvjmann. Wir rind der Über- 
zeugung, daß er am!) beute norl), anlbßlieb 
de: 100. Gelmrlrtager, reine Gültigkeit 
hätte. 
Josef Hoffmann und Adolf Loos sind im ver- 
gangenen Monat fünfzig Jahre alt geworden. 
Dies dürfte aber auch schon das einzige sein, 
das sie miteinander gemein haben. Josef 
Hoffmann, Regierungsrat und Professor an 
der Wiener Kunstgewerbeschule, gehört zu 
den Initiatoren der neueren kunstgewerblichen 
Richtung; seine stilschaffende und kunst- 
erzieherische Persönlichkeit hat in der „Wiener 
Werkstätte" ihren prägnantesten Ausdruck 
gefunden. Adolf Loos, Erbauer des lange und 
ungewöhnlich heftig umstritten gewesenen 
puritanischen Hauses auf dem Wiener Michae- 
lerplatz, negiert die Daseinsberechtigung jeg- 
lich:n„Kunst"gewerbes, die Verquickung von 
Kunst und Handwerk ist ihm ein Greuel. 
Sie beruht nach ihm nicht nur auf einem 
Denk-, sondern beinahe schon einem Charakter- 
fehler. Ornament ist Verbrechen. Schlichteste, 
sachlichste, arbeit- und materialsparende 
Zweckmäßigkeit des Gebrauchsgegenstandes 
erhebt er zur sozusagen sittlichen Forderung. 
Nie und nimmer kann ein Regenschirmständer, 
eine Damentoilette, ein Haus unserer Zeit 
„schön" sein, wenn der Kunstgewerbler dem 
Schneider, Tischler oder Hausbauer über die 
Achsel sieht. Der Sessel, auf dem ich sitze, 
ist auf Grund jahrhundertelanger Erwägungen 
und Versuche zu jener Form gelangt, bei der 
das Ästhetische Nebensache, das Problem des 
Darin-sitzen-Könnens aber einwandfrei gelöst 
erscheint. Zu dieser Lösung ist lediglich der 
Handwerker befähigt, der ohne Rücksicht auf 
Schönheit, Stilfragen und Kunstdiskussionen, 
die weder bei der Hobelbank am Platz noch 
zum Sitzen unumgänglich nötig sind, einen 
Gebrauchsgegenstand zu liefern hat, der so 
zweckmäßig wie nur überhaupt möglich 
ist. 
Die Zweckmäßigkeit mit einer durchaus nicht 
dem Sachlichcn allein entspringenden „Schön- 
heit" zu verbinden, ist eine Idee, die Adolf 
Loos seit zwanzig Jahren mit allen Mitteln des 
glänzenden Dialektikers und mit der Über- 
zeugung eines Apostels bekämpft. In diesen 
selben zwanzig Jahren hat sich die „Wiener 
Werkstätte" Josef Hoffmanns ihren Boden, 
ihr Publikum und ihre Snobs geschaffen. Die 
österreichische oder, sagen wir, wienerische 
Freude, Selbstverständlichkeiten einen Schnör- 
kel anzuhängen und das „graue Leben" ohne 
Ornament unerträglich zu finden, verbunden 
mit einem oft sehr hemmungslosen Talent zu 
phantasierender Formgestaltung, hat es als 
beinahe beleidigende Zumutung empfunden, 
sich mit einem bloßen Zweck abfinden zu 
sollen. Der Mensch des francisco-josephini- 
schen, im Makart-Bukett dominierenden Zeit- 
alters hatte im Gefühl seiner inneren Un- 
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sicherheit eine Angst vor der Realität. Nicht 
wie die Dinge sind, sondern wie sie aussehen, 
war die Hauptsache. Sachlichkeit war ihm ein 
Greuel, es beleidigte ein sogenanntes Stil- 
empfinden, die Schönheit des neuen Lebens 
in einem nackten Betonbau, in der Zweck- 
konstruktion einer Maschine, im Pflaster der 
Großstadtsrraße, in einer Wickelgamasche 
sehen zu sollen. Man konnte ja natürlich den 
Betonbau und die Wickelgamasche nicht ent- 
behren, aber der österreichische Mensch trug 
inwendig den gestickten Kragen des sech- 
zehnten oder siebzehnten Jahrhunderts dazu. 
So ein gestickter Kragen war die immer sich 
wiederholende Klage, daß man dazu „ver- 
dammt" sei, in einer nüchtern gewordenen, 
den Zweck anbetenden, die Sachlichkeit zum 
Prinzip erhebenden Zeit leben zu müssen. 
Das Makart-Bukett war die Flucht aus der 
Wirklichkeit zum schönen Schein oder vom 
grauen Leben zum Pofel. 
Josef Hoffmann und seine Gemeinde schafften 
das Makart-Bukett und das scheußliche Tape- 
zierertum der achtziger Jahre ab. Sie erkannten 
ganz richtig, daß sich der neue Mensch einen 
neuen Stil erobern müsse, daß gotische Speise- 
zimmerkredenzen, altdeutsche Stuben oder ein 
maurisches Rauchzimmer mit dem „lebendigen 
Tag, in den wir gesetzt sind" (Goethe), gar 
nichts zu tun haben. Daß es lächerlich, ge- 
schmacklos und unintelligent sei, diesen le- 
bendigen Tag mit (nachgeahmten) Vergangen- 
heiten romantisch und empfindsam zu mö- 
blieren. 
Zwei Wege waren nun möglich. Entweder 
bekannte man sich unsentimental und auf- 
richtig zu dieser Zeit, deren Schönheit nicht 
Ornamente sind, die das zwecklos Schöne 
überhaupt so ziemlich aus unserem Alltag, 
unserer Stube, unserer Kleidung verbannt hat. 
Entweder entschloß man sich, das schön zu 
finden, was in unserem täglichen Leben kein 
Verkehrshindernis bildet, sondern es erleich- 
tert: also die Glühlampe, das Gasbügeleisen, 
das Wasserklosett, die Mauer aus Beton, das 
moderne Straßenpfiaster, den Sessel aus ge- 
bogenem Holz, den hygienischen Spucknapf, 
vernickelte Wasserleitungshältne, die elek- 
trische Tramway, das Auto, einen Gas- 
rechaud, die gekachelten Wände eines Bade- 
zimmers. 
Oder - man versuchte, diesen Dingen, die 
man ja keinesfalls mehr entbehren konnte und 
wollte, abermals den bewußten Spitzenkragen 
umzuhängen. Ihr Zweckmäßiges mit „Schön- 
heit" zu bemänteln. Kunst in die Tischler- 
werkstatt, zum Buchbinder, zum Damen- 
schneidet, zum Wändemaler, zum Metall- 
arbeiter zu tragen. Den Professionisten zum 
Kunstgewerbler umzubiegen, und allerdings 
keine Anleihen bei alten Stilen mehr zu 
machen, aber mit der Erfindung eines „mo- 
dernen" Stils den beinahe schon freigemachten 
Weg zur Sachlichkeit und Aufrichtigkeit 
neuerdings zu verschütten. 
Anstatt Gewerbe und in Generationen hoch- 
gebildetes Handwerk in ihre Rechte einzu- 
setzen, verquickte man es mit „Kunst". Der 
Schnörkel war wieder da, und da das Orna- 
ment alten wie neuen Stils nicht eben auf dem 
Wege von Arbeits- und Marerialersparung 
zustandezukomrrien pflegt, wandte sich die 
sicherlich aus den idealsten Beweggründen 
entstandene „Wiener Werkstätte" mit ihrer 
„Edelarbeit" naturgemäß nur an die be- 
güterten Kreise, den kaufkräftigen Abnehmer, 
den Snob, der es sich leisten konnte. Hand- 
werk, mit Kunst kompliziert und um sie ver- 
teuert, kann eine sozusagen soziale Ver- 
pflichtungen nicht gut anerkennen. Möbel, 
die nicht nur zweckmäßig, sondern vom 
Architekten entworfen, hernach noch durch 
eine Menge von Händen gehen müssen - 
des Tischlers, des Tapezierers, des Bildhauers, 
des Vergolders, Malers, Inkrustierers - geben 
gewiß Zeugnis für den Ideenreichtum oder 
den Sybaritismus ihres Entwerfers und die 
Höchstentwicklung der verschiedensten Hand- 
werkszweige, aber sie können natürlich nicht 
billig sein, und gerade für jene Kreise, die 
einer Hebung und Kultivierung des Ge- 
schmacks am allerbedürftigsten wären, sind 
sie überhaupt unerschwinglich. Die Schöpfer 
des modernen Kunstgewerbes stellten eine 
Menge sittlicher Postulate auf: fort mit dem 
Schund, Materialechtheit, Edelarbeit; sie pre- 
digten eine neuzeitliche Wohnungskultur, 
aber sie schufen im großen und ganzen nur . . . 
Luxuswarel 
Und hier erinnert man sich, daß Loos, der 
grimmige Antichrist der „Wiener Werkstätte", 
nicht nur von einem Denk-, sondern einem 
Charakterfehler des „Kunst"handwerkes zu 
sprechen liebt. 
Ich vermag nicht i oder noch nicht -, ihm 
auf seinen Gedankengängen unbedingt und 
bis zur letzten Konsequenz zu folgen. Ich 
kann das Lebenswerk eines Künstlers und 
Idealisten, wie es Josef Hoffmann ist, nicht 
mit der Impetuosität und ungeheuren Selbst- 
sicherheit eines Adolf Loos ablehnen. Hoff- 
manns phantastischer Ideenreichtum be- 
fruchtet nun seit zwanzig oder mehr Jahren 
eine Menge von österreichischen Formtalenten, 
deren er - vielleicht zuviel - in seiner 
Kunstgewerbeschule geradezu aus dem Boden 
gestampft hat. Er zügelt möglicherweise die 
Zügellosigkeiten seiner begabten Minorennen 
zuwenig, die aus einem eminent künstlerischen 
und sozusagen auch sittlichen Beweggrund: 
der junge Mensch soll nicht „in eine Bahn 
gelenkt", nicht einmal zu seinem Meister 
orientiert werden, sondern er soll ganz, aus- 
schließlich und ungehemmt sagen, was er zu 
sagen hat. Die Phantasie soll nicht in eine 
„Schule" genommen werden, Persönlichkeit 
ist alles. 
Wofür Hoffmann natürlich nicht kann, ist, 
daß auch die Persönlichkeit hierzulande den 
gestickten Spitzenkragen sozusagen im Blute 
hat, daß sie den Schein für das Sein nimmt, 
daß sie den Schnörkel für das Wesentliche 
hält. Daß Ornament nicht Verbrechen, son- 
dern Daseinsbedingung des österreichischen 
Menschen ist. Daß Wien wahrscheinlich aus 
tieferen Gründen, auch in seiner gegen- 
wärtigen Verarmung, die Stadt der „Luxus- 
ware" ist. 
Sollte dieser Stadt der neue Geist, die Er- 
kenntnis des Wesentlichen, imputicrt werden 
können, wäre Adolf Loos ihr Führer. Und 
Josef Hoffmann, der Baukünstlcr, Innen- 
architekt, Kunsterzieher und Idealist, der 
letzte österreichische Mensch . . .
	        
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