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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 113)

GEFÄHRTEN 
LAR KOKOSCHKA 
WEISSE TIERTÖTER 
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Nltcuunuor vutiwml 
GENOSSENSCHAFTSVERLAG 
. 1920 - LEIPZIG 
 
lmung Oskar Kokoschkas (OK) an Adolf Loos. "dem 
ihrlen meiner Jugend". (ln dem Buch Die Gefährten. 
ar Kokosthku i der weiße Tiertoter. (ienossensrhafrs- 
all, Wien-Leipzig 1920) 
ar Kokoschka vor Seinem Haus in Villeneuve bei Mon- 
x l Schweiz, im Oktober 1969 
 
gesprochen" hat er, und voll Verzweiflung 
über den Zusammenbruch seines Vaterlandes, 
den er voraussah, fuhr er doch manchmal nach 
Paris, er mußte ins Moulin Rouge gehen. In 
Paris habe ich ihn auch viele Jahre später zum 
letztenmal wiedergesehen. Sein getreuer Tisch- 
ler, der ihm jahrelang die Sessel für die Woh- 
nungen, die Loos einrichtete, schnitzte, weil 
Loos keine Massenartikel duldetc, hat den 
bereits Kranken nach Paris gebracht in Be- 
gleitung der Frau, die jahrelang Loos, Woh- 
nung geputzt hat. Oifenbar war niemand 
anderer bereit, es zu tun. Ich habe Loos in 
einem zerwühlten Bett gefunden, es war bereits 
um Mittag. Hier lag er, der Wann, der am 
Ende seines Lebens gestörten Geistes war. 
Nach Paris wollte er, der so viele Jahre in 
Österreich verzweifelt nach einem Ausweg 
gesucht hatte. Ich fühlte mich sehr bedrückt 
und wollte bald gehen, nachdem wir einige 
Zeit von diesem und jenem geredet haben. 
Aber mit seiner unwiderstehlichen Kraft, trotz 
seiner Krankheit, hielt er mich zurück, erhob 
sich in seinem zerrissenen Nachtanzug aus 
dem Bett, lüftete die schmutzige Decke und 
zog darunter zu meinem Ekel einen von 
Tomatensaft triefenden Riesenhummer her- 
vor. Homard a l'Americaine war sein Lieb- 
lingsgerieht. Der einen abgerissenen Schere 
entnahm er als ein geübter Gourmand das 
Fleisch und stopfte es rnir in den Mund. Wie 
ein Geistesblitz aus einer gesunden Zeit 
belehrte er mich: „Die Österreicher haben 
den Krieg verloren, weil sie statt der Früchte 
des Meeres nur Knödel, Strudel und Torten 
essen." 
Als er im ersten Weltkrieg als Reserveoffizier 
eingezogen war, wäre er bald vor ein Kriegs- 
gericht gekommen, weil er in einer von Gold- 
mann und Salatsch extra für ihn erfundenen 
Uniform eingerückt war, einen offenen statt 
des üblichen steifen Uniformkragcns, Wickel- 
gamaschen statt der Röhrenstiefel. Wegen der 
Stiefel haben die Deutschen, trotz ihrer Stra- 
tegie, den Kricg verloren, die Armee bekam 
Schweißfüße. Loos hatte seine eigenen An- 
sichten. 
als 
Eines Tages war er bei meiner Mutter er- 
schienen: „Ihr Sohn muß aus Wien heraus, 
ich werde ihn in die Schweiz bringen." Seit 
1905 war Bessie Loos in einem Sanatorium 
in Lcysin über dem Genfer See. Man hatte 
für die Tuberkulosen die Sonnenstrahlen als 
Kur entdeckt, und Sanatorien waren nahe den 
Gletschern gebaut worden, was auch den 
Dörfern Beschäftigung und neue Erwerbs- 
quellen sicherte. Bessie Loos hatte zu der 
Gruppe der Barrison Sisters gehört, den ersten 
Cake-Walkifänzerinnen, die sich in Wien im 
Kabarett Tabarin produzierten und dort von 
Altenbcrg, Karl Kraus und Loos bewundert 
worden sind. Adolf Loos hatte sich sofort der 
schönen Engländerin angenommen, die bereits 
lungenkrank war und zugrunde gegangen 
xiväre, hätte sie nicht die Bühnenlaufbahn 
aufgegeben. Er heiratete sie und brachte sie 
sofort in den Schweizer Kurort, den er kannte, 
weil er in der Gegend für einen Wiener Arzt 
eine Villa baute. 
Loos hatte mit meiner Mutter verhandelt, die 
allerhand Befürchtungen vor dieser meiner 
ersten Reise ins Ausland vorbrachte. Natürlich 
mußtc sie einwilligen und hat mir nur noch 
in mein Taschentuch eine Goldmünze ein- 
gewickelt als Notpfennig, die sie jahrelang im 
XVäscheschrank versteckt gehalten hat. Loos 
besaß einige alte kostbare orientalische Tep- 
piche, die er auf die Reise mitnahm, um sie 
in der Schweiz zu verkaufen. Und weil die 
Wiener Waggons schlecht im Winter geheizt 
waren, deckten wir uns beide mit den Tep- 
pichen zu. Mit dem Erlös der Teppiche konnte 
die bereits fällige Sanatoriumsrechnung für 
Bessie bezahlt und auch für mich noch ein 
Mansardenzimmer mit Halbpension in der 
Klinik ausgehandelt werden. Loos konnte 
einen großen Charme entwickeln und andere 
zu Guttaten überzeugen, solange er nichts für 
sich erbat. Und er schlug auch vor, die Patien- 
ten damit zu zerstreuen, daß sie sich von mir 
porträtieren ließen. Doch mein erstes Bild 
wurde eine Landschaft. Loos hatte nicht ver- 
gessen, einen Iiarbenkasten mit einzupacken. 
Er selber mußte sich, nachdem er seine An- 
ordnungen getrol-fen hatte, verabschieden und 
legte mich Bessie ans Herz. 
Ich war ihr natürlich vom Herzen sofort zu- 
getan. Sie hatte den zartesten Teint, wie alle 
Mädchen in Lancaster, die tagsüber an den 
Webstühlen arbeiteten und nie die Sonne sahen. 
Sie hatte ein fröhliches Kinderlachen, auch 
wenn sie Blut spuckte in diese berüchtigte 
blaue Glasflasche, die alle Patienten einer 
tuberkulösen Heilanstalt wie eine Reliquie mit 
sich herumtragen. Ich hatte auf sie aufpassen 
sollen, das hatte Loos mir wieder ans Herz 
gelegt, aber wie kann man ein so Vergnügungs- 
süchtiges junges Ding, das abends aus dem 
Fenster kroch, wenn die Ärzte schlafen gingen, 
um mit anderen Patienten, soweit sie lebendig 
genug waren, tanzen zu gehen, zurückhalten? 
Von meinem Mansardenzimmerfenster sah ich 
Loos nach, wie er im Schlitten wegfuhr. Er 
hat zu mir heraufgesehen, die Pferde zogen 
an, mein Beschützer drehte sich noch einmal 
um und winkte, aber der Schlitten war in 
einer kleinen Rauchwolke des heißen Atems 
der galoppierenden Pferde verschwunden. 
Weiß und grau in der nun unendlich weit 
erscheinenden Gebirgsszenerie war auch diese 
bald im All aufgelöst. Das war der Raum, wie 
ich ihn noch nie erlebt hatte, der ich bis dahin 
in engen Stadtwohnungen viele Jahre lang 
hauste, von denen man den Himmel nur wie 
einen Spalt zwischen den rauchenden Schorn- 
steinen der Straßen kannte. 
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Adolf Loos hat 19Ü4 in der Nähe von Mon- 
treux für einen Wiener Arzt eine Villa mit 
einem flachen Dach gebaut. Das zeigt, wie 
fortschrittlich Loos schon vor siebzig Jahren 
baute. Das Haus ist noch so modern, als ob 
es heute entstanden wäre, allerdings war es 
aus so gutem Material errichtet, daß man 
heute noch nichts daran zu erneuern, zu re- 
parieren braucht, nicht einmal die elektrischen 
Kontakte. liin gleiches wird man von einem 
heute gebauten Haus in Zukunft schwerlich 
behaupten können. 

	        
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