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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 117)

Johann Wolfgang Goethe - Wilhelm Tisch- 
boins ldyllan, hereusgegebsn und erläutert 
von Herbert Wnltgang Keiser; Brudmtann- 
Verlag, München 1970. 
Alle vom Autor dieser Publikation heraus- 
gegebenen Bücher zeigen über ihren biblio- 
philen Charakter hinaus eine seltene Über- 
einstimmung von Inhalt und Form. Das 
„Layout" vermittelt bereits den Geist des 
Buches, es legt das Buch im wahrsten Sinne 
des Wortes aus, 
Goethes Kommentar und seine Verse zu den 
ldyllen Wilhelm Tischbeins - insgesamt A4 
Gemälde - bilden den Anfang. Das Buch 
folgt darin der historisdten Talsadte, daß 
Goethes Texte, zu Beginn des Jahres IBZB 
in seiner Zeitschrift „Über Kunst und 
Alterthum" abgedruckt, ohne „irgendeine 
Abbildung" erschienen waren. Zum ersten- 
mal liegen sie nunmehr mit Tischbeins 
Bildern vereint vollzählig in einem Band 
vor. 
Dieser seltene Versuch eines „Gesamtkunst- 
werkes" von Dichter und Maler war 1786187 
in Rom während des gemeinsamen Aufent- 
haltes bereits geplant worden. Erst drei 
Jahrzehnte später gelangte er zur Verwirk- 
lichung, nicht nur in räumlicher Trennung 
der Partner, sondern auch nachdem ieder 
fast siebzigiährig seinen eigenen Lebensweg 
zurückgelegt hatte. Goethe hat den ldyllen- 
zyklus Tischbeins selbst nie im Original 
gesehen, er schrieb nach flüchtigen Skizzen, 
die der Freund ihm von seinem vollendeten 
Werk gesandt hatte. So entstand [ene 
Inkongruenz zwischen Dichtung und Malerei, 
die der Herausgeber in seinem „Kommentar 
über das Entstehen der ldylle" aufzeigt. 
Trotz der Übereinstimmung in der„anthropo- 
morphen Substanz" des Gedankens der 
Idylle hatte sich ein grundsätzlicher Wan- 
del vollzogen, der angesichts dieses Werkes 
trennend zwischen den Künstler des Wortes 
und den des Pinsels trat. Am 2D. November 
1786 schrieb Goethe in Rom lBd. 25-28, 
S. II5): „. .. es ist wirklich sonderbar, daß 
die Gegenstände, die er [Tischbein] auf 
diese Weise bearbeitet wünscht, van der 
Art sind, daß weder dichtende noch bildende 
Kunst, iede für sich, zur Darstellung hin- 
reichend wären". Daran alnkniipfend, lautet 
der erste Satz seines I8?! verfaßten Kom- 
mentars: „Wilhelm Tischbein bildete sich in 
der glüdrlichen Zeit, wo dem zeichnenden 
Künstler noch obiektiv Wahres von außen 
geboten ward, wo er die reinen Dichter- 
werke als Vorarbeit betrachten, sie nach 
seiner Weise belebt wieder hervorbringen 
konnte." Damit ist eine Grenze markiert, 
die Tischbein gerade mit den Bildern des 
ldyllenzyklus überschritten hat. Die subiek- 
tive Aussage - der Ausdruck - hat so sehr 
das Übergewicht erlangt, daß, von einem 
„abiektiv Wahren" abgesehen, audn des 
Dichters Wort nicht mehr ausreichend 
scheint, urn diese zu stützen. Hier kündigt 
sidt als Problem der Zukunft die „Kommen- 
tarbedürftigkeit der Kunst" bereits an. 
Den Texten Goethes folgt eine Tafel mit 
I5 ldyllen Tischbeins, farbig hervorragende 
Reproduktionen. Wie die Originale haben 
sie alle dasselbe Format und sind, den 
ursprünglichen Plänen Tischbeins folgend, 
hier wie im Landesmuseum im Schloß 
Oldenburg gleichsam als Tapisserie ange- 
ordnet. Aus dem gemeinsam mit Goethe in 
Rom konzipierten, aber Proiekt gebliebenen 
„Freundschaftsalbum mit Stammburhcharak- 
ter" wurde auf dem Weg über zwei ldyllen- 
zimmer in Tischbeins Wohnhaus in Eutin 
das „bedeutungsvolle Raum-Kunstwerk", wie 
wir es in Keisers Buch auf Seite 97 abge- 
bildet vor uns sehen. 
Es folgen nun die Kommentare des Künstlers 
zu seinen Idyllen, Texte nach den „Manu- 
skripten zu den 44 Bildern im Schlot} zu 
Oldenburg". Audi hier bestechen Typo- 
graphie und Zuordnung in besonderem 
Maße, desgleichen die Qualität der aus- 
schließlich farbigen Repraduktionen. Den 
Anfang macht die „ldeallondschafW, der 
ursprünglich ein Gegenbild zugedcldtt war, 
zu dessen Ausführung es nicht kam. Scttan 
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durch das Format, die übrigen Tafeln um 
mehr als das Zehnfache übertreltend, bildet 
sie sowohl im Raum als auch nach dem 
geistigen Inhalt eine Dominante. Sie war 
von vorneherein nicht als eine, vielmehr 
als die ideale Landschaft gedacht, als 
geistiger Rahmen für den „fröhlichen" und 
den „gemülhlidlten" (schwerrvlütigen) Schäfer 
und die gesamte Thematik der EinzeIdar- 
stellungen. Tischbeins eigener Kommentar 
ist bei Keiser der Reproduktion gegen- 
übergestellt, er kennzeichnet das Bild eben- 
sosehr wie das Gesamtwerk. 
Dieser Abschnitt wird durch eine zweite 
Idyllentafel abgeschlossen, der symmetri- 
schen Anordnung im Oldenburger Schloß 
getreu folgend. 
Den dritten Teil des Buches bildet der 
Kommentar des Herausgebers „Über das 
Entstehen der Idylle von Wilhelm Tischbein 
und deren Anordnung im Schloß in Olden- 
burg", als Marginalien bzw. in den Text 
eingeblendet die Skizzen Tischbeins bei- 
spielhaft in Reproduktionen enthaltend und 
auch in der Qualität der Ausführung die 
geschickte Hand und das wachsame Auge 
des Hamburger Graphikers Otto Rohses 
verratend. Trotz seiner samt Anhang knapp 
30 Seiten ist dieser sogenannte „Kommen- 
tclr" die umfassendste Tischbein-Studie der 
letzten Jahrzehnte, dank seiner vielseitigen 
Bezüge und grundsätzlichen Gedanken dar- 
über hinaus ein nicht zu übersehender Bei- 
trag zur Kunst der Goethe-Zeit; daB selbst- 
verständlich auch eine Reihe neuer Quellen 
erschlossen wurde, sei nur der Vollständig- 
keit halber erwähnt. 
Sieht H. W. Keiser J, H. W. Tischbeins 
Kunst vorwiegend mit den Augen Goethes, 
so wird er dessenungeachtet doch seiner 
Bedeutung für die Späteren und seiner 
Aussage für die Gegenwärtigen gerecht; 
„ln der Offenheit kunstgeschichtlicher Per- 
spektiven bieten sich Herleitungen von 
Johann Heinrich Roos über Jakob Philipp 
Hackert zu Moritz von Schwind und Arnold 
Böcklin, dann schließlich bis zu zeitnahen 
surrealistischen Regionen an. Tischbeins 
Vorahnungen sind an einzelnen Bildern 
seiner ,ldylle' zu ergründen". Gerade das 
ldyllenwerk ist Tischbeins Testament. Es 
enthcilt Anregungen und Elemente aus einem 
70iährigen Künstlerleben, ist vielleicht des- 
sen Zusammenfassung schlechthin. 
In selbständiger Verarbeitung ist Tischbein 
Betruchter der Folgenden, nimmt vieles und 
für lange Zeit vorweg. Man denke an die 
Verwendung der menschlichen Gestalt als 
Arabeske, als irn Grunde genommen deko- 
ratives Element, wie es sich erst bei Franz 
von Stuck und erst recht im Jugendstil 
wiederfinden soll. Etwa gleichzeitig mit dem 
viel jüngeren Philipp Otto Runge-vielleicht 
war dieser der Anreger - findet sich in 
Tischbeins „ldylla" iene Idee der „Ver- 
fremdung" verwirklidtt (vgl. Nr. I2, I4, 10), 
die die Romantiker „Rornantisieren" nen- 
nen. Gerade von hier führt gedanklich 
folgerichtig ein direkter Weg zum Surrealis- 
mus, wie ihn Runge, bei dem die „Über- 
höhung der Realität" in dem Ausmaße 
fehlt, nie beschritten hat. Es bleibt ver- 
wunderlich, daß selbst im zwanzigsten 
Jahrhundert, trotz einer Ausstellung Müller- 
Wulckows irn Jahre 1930, trotz gelegentlicher 
Publikationen - vornehmlich zu Beginn des 
Jahrhunderts - Tischbeins ldyllenwerk sogar 
in Fachkreisen verhältnismäßig unbekannt 
geblieben ist. Besonders groß ist daher das 
Verdienst des Herausgebers, und es ist zu 
hatten, daß dieses Werk, das eine Brücke 
zur Gegenwart bildet, durch H. W. Keisers 
 
monographische Publikation endlich die 
überlokale Anerkennung findet, die ihm 
gebührt. Armgard Ekhart 
Manfred lindner. Petra und das K5 reich 
der Nabatäer, Dalp, Nlündtan, 1970, 205 
Seiten. 
Das Buch erschien als Band es in den 
Abhandlungen der Naturhistorischen Ge- 
sellschaft Nürnberg und bringt umfassende 
Untersuchungen über das vor zltoo Jahren 
bestehende Königreich, seine Hauptstadt, 
dessen Kultur und Geschichte. 
ln verschiedenen Beiträgen, gesammelt von 
Manfred Lindner, dem Herausgeber, von 
dem nudr selbst einige Aufsätze stammen, 
und weiters von Clare Goldschmidt, Karl 
Schmitt-Karte, Margarete Wanke, Konrad 
Gauckler, Adam Rauh, Mohammad Murshed 
Khadiia und Peter J. Parr, wird die Materie 
von den verschiedensten lalidcrsunlrtcn be- 
trachtet. Einen breiten Raum nehmen zu 
Recht die Geschichte, das Kunstgeschicht- 
liche Phänomen der Felsenmonumente von 
Petra und eine Abhandlung über die be- 
malte nabatäische Keramik ein. Außeror- 
dentlich anschauliche und prägnante Texte 
sind besonders beide erstgenannten Auf- 
sätze, die ieden interessierten Leser fesseln 
werden. Die Ausführungen über die Keramik 
sind gründlich und gehen den Zusammenhän- 
gen nach, sie weisen auch auf die verschie- 
denen Verbreitungsgebiete. Auch die Ge- 
schichte der Wiederentdeckung und Erfor- 
schung seit Johann Ludwig Burakhardt wird 
aufgerollt. Die Kapitel über „Die Weih- 
rauchstraße", „Landschaft und Pflanzen- 
weit" u. a. ergänzen das Bild. Die Flora ist 
freilich sehr zu kurz gekommen, hier wäre 
eindeutig ein anderer Referent zu suchen ge- 
wesen. Das Buch läßt ein Land, das heute 
durch die politisch gespannte Lage im 
Vorderen Orient wieder in den Blickpunkt 
der Welt gerückt ist, plastisch vor uns 
erstehen. sehr viele ausgezeichnete Photo- 
graphien, etliche in Farbe, Reproduktionen 
alter Stiche, Kartenskizzen und Tabellen 
geben eine dokumentarische Übersicht. 
Alois Vogel 
Neuerscheinungen bei DuMont Sdiauberg 
Nicht weniger als 46 Titel umfaßt I97I das 
Jahresprogramm des renommierten und weit 
über die Grenzen des deutschen Sprach- 
raumes hinaus bekannten Kunstbuchverlages 
DuMont Schauberg, Köln. Ihm galt auch eine 
gutbesuchte Ausstellung im Club-Raum des 
Museums des 20. Jahrhunderts in Wien, 
die im April d. J. stattfand. Seit der Auf- 
nahme der Kunstbüctterproduktion 1956 er- 
srJtienen bei DuMont 436 Titel. Davon sind 
I4? internationale Koproduktionen, was 
heute bei autwendigeren Unternehmen die 
Regel ist. Die informativ eingerichtete Schau 
mit ihren mehr als hundert Bänden gab 
einen in gleidter Weise abwechslungsreichen 
wie die hervorragende drucktechrtische Quo- 
lität der Publikationen unterstreichenden 
Überblick über die einzelnen Verlagsge- 
biete. Das gezeigte Spektrum reidtte von 
Archäologie und kunsthistarischen Werken 
über Künstlermonographien, Photobtinde 
und die wertvollen (Euvreverzeichnisse bis 
zu den preiswerten Reihen und Beispielen 
aktueller Kunst. In der letztgenannten 
Gruppe, die zusammen mit der Paperback- 
Serie der „DuMont-Dokumente" das wohl 
kulturpolitisch wichtigste Anliegen des Ver- 
lages sind, verdient vor allem die soeben 
von Walter Aue herausgegebene Anthologie 
„P. C. A. Proiekte, Concepte, Actianen" 
besonderes Interesse. Als Sammlung neue- 
ster Kunsttendenzen vereint sie - ausgestat- 
tet mit 600 Photos - Beiträge von und über 
220 Künstler und Aktionisten. Sie gibt damit 
vor allem dem vorgebildelen Laien die 
Möglichkeit einer Uberschau dieses in ähn- 
licher Weise aus soziologischer wie künst- 
Ierischer Sicht her aufschlußreichen und 
diskutierenswerten Komplexes. 
Van den zuletzt bei uns eingegangenen 
Titeln verweisen wir auch noch auf die 
aktuelle Dokumentation „Deutsche Kunst: 
eine neue Generation" von RoIf-Gunter 
Dienst, die ähnlich wie vorhergegangene 
Bücher desselben Autors vor allem Interes- 
senten der Moderne und der Avantgarde 
ansprechen dürfte. Ein „Begriffe- und Real- 
Iexikon" unter dem Motto „Bildende Kunst" 
(Autoren PawliklStraßner), die von Fritz 
Baumgart vertaßte, klug aufgebaute und 
gut illustrierte „Stilgeschichle der Architek- 
lur" sowie zwei der heutigen kt 
schen Diskussion dienende Poperk 
den Titeln „Kunst ist Revolution" 
von Jean Cassou, Michel Ragon 
Gassio-Talabot, Alain Jouffroy und 
sowie „Kunst und Revolte" (Aul 
r. Peters] können an dieser Stellt 
empfohlen werden wie der so-t Seit 
Band van Barbara Rose „Amerikas 
modernen Kunst, von der Mülltonl 
zur Minimal Art". Pe 
Eingelan te Bücher: 
KUNSTJ HRBUCH I, HERAUSG 
VON JÜRGEN HARTEN, MANFREI 
MOTTE, KARL RUHRBERG, V 
SCHMIED UND VON PETER F, ß 
UND ALFRED SCHMELLER. 
502 Seiten, davon 212 Bildtafeln, kc 
Fackelträger-Verlag, Schmid-Küster 
Hannover, und Forum Verlag, Wien 
HERTA UTTL, DIE ANSITZE VON 
TIROL UND UMGEBUNG. 
248 Seiten, 6B Abbildungen, brosr 
Universitätsverlag Wagner, I 
S 278.-. 
WALTER JÜRGEN HOFFMANN 
DÜRERS FARBE. 
IIO Seiten Text, 2 Farbtafeln, Leinr 
Verlag Hans Carl, Nürnberg, 197i,
	        
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