Vermummung verstärkt ohne Zweifel den ehrwürdigen Charakter der Gestalt.
Die Heilige wendet ihr fein und charakteristisch durchgebildetes Antlitz
(mit langer, gerader, spitz zulaufender Nase und vorgewölbten Lippen) nach
rechts, doch nicht dem Töchterchen zu, das in langem, welligem Haar, im
Kinderröckchen und mit betend gefalteten Händchen gar zierlich auf dem
linken Oberschenkel der Mutter sitzt, von ihrer linken Hand im Rücken
gestützt. Maria gegenüber sitzt das nackte, krauslockige Jesukind, einen Apfel
in der Linken, die Rechte segnend
erhoben (drei Finger verstümmelt).
Wie der Mädchenkopf Mariens von
scharfer realistischer Beobachtung
des Modells zeugt (die Ähnlichkeit
mit der Mutter ist in den oben er-
wähnten kennzeichnenden Einzel-
heiten - Nase und Mund - aufs
glücklichste festgehalten), so weicht
auch die Bildung des nackten Kindes-
körpers mit seinen vollen Formen,
dem faltigen kurzen Halse von der
typischen Trockenheit des älteren
gotischen Schemas ab und nähert
sich der Natur.
Noch freier und lebensvoller ist
der nackte kindliche Körper in einer
allerdings wesentlich jüngeren vor-
züglichen Krippengruppe (Abb. 7)
Mariens mit dem Kinde, die ebenfalls
aus dem an gotischen Schnitzaltären
jetzt noch reichen, einst viel reicheren
Abb.7. Maria mit dem Kind: an der Krippe, Linden- Mühlviertel Stammt (Wandgmppe mit
hnlz, Oberösterreich, Mühlvienel, erste Hälfte des ausgehöhltem Rücken, Linde, abge-
Xvl" Jah'h""dem (Leihgzbe) laugt und geheizt, Höhe 66 Zenti-
meter). Der Bildschnitzer, der hier am Werke war, hat augenscheinlich schon
von der glänzenden Ausbildung des Renaissanceputto profitiert. Die Jungfrau
ist hinter der Krippe kniend gedacht; das strahlend aufblickende Gesicht von
unschuldiger Freude erfüllt, hebt sie das zappelnde Kind, das mit der Linken
einen Zipfel der Decke erwischt, von seinem linnenbedeckten Strohlager
empor und drückt es zärtlich an die Brust. In der emphatischen Bewegung
des Kopfes, dem lichtfangenden Blick (die tiefunterschnittenen Augenlider
werden auf der Abbildung nicht deutlich), dem atmend geöffneten Mund und
dem lebendigen Fall der Locken macht sich der neue, auf stärkere Effekte
losgehende Stil bemerkbar; aber das Naturstudium wird noch ernst und
gründlich betrieben und von der leeren Manieriertheit späterer Zeiten ist in
den Köpfen noch nichts zu spüren. Die Gruppe gehört zu den interessan-