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Volltext: Monatszeitschrift XV (1912 / Heft 5)

 
Vermummung verstärkt ohne Zweifel den ehrwürdigen Charakter der Gestalt. 
Die Heilige wendet ihr fein und charakteristisch durchgebildetes Antlitz 
(mit langer, gerader, spitz zulaufender Nase und vorgewölbten Lippen) nach 
rechts, doch nicht dem Töchterchen zu, das in langem, welligem Haar, im 
Kinderröckchen und mit betend gefalteten Händchen gar zierlich auf dem 
linken Oberschenkel der Mutter sitzt, von ihrer linken Hand im Rücken 
gestützt. Maria gegenüber sitzt das nackte, krauslockige Jesukind, einen Apfel 
in der Linken, die Rechte segnend 
erhoben (drei Finger verstümmelt). 
Wie der Mädchenkopf Mariens von 
scharfer realistischer Beobachtung 
des Modells zeugt (die Ähnlichkeit 
mit der Mutter ist in den oben er- 
wähnten kennzeichnenden Einzel- 
heiten - Nase und Mund - aufs 
glücklichste festgehalten), so weicht 
auch die Bildung des nackten Kindes- 
körpers mit seinen vollen Formen, 
dem faltigen kurzen Halse von der 
typischen Trockenheit des älteren 
gotischen Schemas ab und nähert 
sich der Natur. 
Noch freier und lebensvoller ist 
der nackte kindliche Körper in einer 
allerdings wesentlich jüngeren vor- 
züglichen Krippengruppe (Abb. 7) 
Mariens mit dem Kinde, die ebenfalls 
aus dem an gotischen Schnitzaltären 
jetzt noch reichen, einst viel reicheren 
Abb.7. Maria mit dem Kind: an der Krippe, Linden- Mühlviertel Stammt (Wandgmppe mit 
hnlz, Oberösterreich, Mühlvienel, erste Hälfte des ausgehöhltem Rücken, Linde, abge- 
Xvl" Jah'h""dem (Leihgzbe) laugt und geheizt, Höhe 66 Zenti- 
meter). Der Bildschnitzer, der hier am Werke war, hat augenscheinlich schon 
von der glänzenden Ausbildung des Renaissanceputto profitiert. Die Jungfrau 
ist hinter der Krippe kniend gedacht; das strahlend aufblickende Gesicht von 
unschuldiger Freude erfüllt, hebt sie das zappelnde Kind, das mit der Linken 
einen Zipfel der Decke erwischt, von seinem linnenbedeckten Strohlager 
empor und drückt es zärtlich an die Brust. In der emphatischen Bewegung 
des Kopfes, dem lichtfangenden Blick (die tiefunterschnittenen Augenlider 
werden auf der Abbildung nicht deutlich), dem atmend geöffneten Mund und 
dem lebendigen Fall der Locken macht sich der neue, auf stärkere Effekte 
losgehende Stil bemerkbar; aber das Naturstudium wird noch ernst und 
gründlich betrieben und von der leeren Manieriertheit späterer Zeiten ist in 
den Köpfen noch nichts zu spüren. Die Gruppe gehört zu den interessan-
	        
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