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Forum der österreichischen Kunstkritik
Johann Muschik
Vom Wesen der Kunstkritik
folgenden Überlegungen betreffen vor al-
die Kritik auf dem Felde der bildenden
st. Vornehmlich die umstrittene Erscheinung
FBTI, der in Zeitungen und Zeitschriften
eibt, ist ihr Gegenstand. Die Verfasser von
iern über Gegenwartskunst gehören zu einer
lichen Kategorie.
Kritiker hat viele Gegner. Ihm wird, seit es
gibt, erstens von Künstlern mit Feindseligkeit
egnet. Viele von ihnen haben sich kaum ie
(stematischer Weise Gedanken gemacht über
I und Berechtigung der Kritik, und ihrer mehr
1 fühlen sich, ob zu Recht oder Unrecht, nicht
r nur ungenügend anerkannt und iedenfalls
trem Geschäftsbetrieb gestört. Künstler stel-
ihre Werke unter anderem ia auch zu Ver-
iszwecken her. Eine Kritik, die entschiedener
r den Begriff der bloßen Berichterstattung,
Erläuterung oder besser noch der Werbung
tfl würde, wäre manchem Bildhauer oder
er weit eher genehm.
zweiten Klasse von Menschen, die sich mit
Kritik nicht selten auf Kriegsfuß befinden,
ien die Repräsentanten anderer Kunstgat-
en gehören. Gerne ergreifen sie Partei für
bildenden Künstler, machen auch sie Front
an die Kunstkritik. Sie sehen sich in dersel-
Position wie die Bildhauer oder Maler, den
riffen des gleichen Feindes ausgesetzt. Es
ia schließlich auch eine Kritik der Literatur,
Musik, des Tanzes und des Schauspiels. Das
nt an, Bündnisse zu schließen; die Sache der
it sei gemeinsam.
dritte Klasse ist mit Galeriebesitzern, Mu-
isleitern und Verwaltern anderer kultureller
er besetzt. Sie alle können sich zu den
tkritikern in einem Verhältnis der Feind-
ft befinden (oder auch der mehr oder min-
aewaffneten Neutralität oder auch der Kom-
inschaft, was ia selbst zwischen Künstlern
Kunstkritikern vorkommt).
iiereligion
vierte Klasse schließlich stellt iener Teil des
ikums dar, welcher dem Künstler grundsätz-
nit Ergriffenheit gegenübersteht. Seit Carlyle,
Jm die Mitte des vergangenen Jahrhunderts
Buch über Helden und Heldenverehrung
eb, gibt es diese nahezu kultische Haltung.
hren Wurzeln reicht sie über Schopenhauer
die Romantik in den Sturm und Drang, in
Spätbarock, in die Renaissance und, was
Verehrung des Dichters anlangt, bis in die
re zurück. Auch im Künstler spreche etwas
liches, das angebetet werden müsse. Der
Künstler sei ein Märtyrer, weil in der Regel von
der Mitwelt verkannt. Als einen, der dem Heili-
gen gleich sei, hörte ich ihn erst kürzlich wie-
der in einer Diskussion über Kunst von einem
Enthusiasten preisen.
Die Genieverehrung, die nicht allein der gro-
Ben künstlerischen Persönlichkeit gilt, hat reli-
gionsähnliche Züge. Es ist bemerkenswert, daß
sie gerade in ienem 19. Jahrhundert in besonde-
rer Breite aufzutreten begann, das sich mit be-
sonderer Systematik ans Werk der Religionskri-
tik machte. Der Geniekult ist eine Ersatzreligion.
Feststellung der Wahrheit
Und wie einst den Kritikern der Religion, ist
man den Kritikern dessen, was an Stelle der
Religion gesetzt wurde, des Genies, der künst-
lerischen Persönlichkeit, des neuen Heiligen und
Märtyrers fürs erste mit einer tiefempfundenen
Abneigung begegnet. Seinen Gott läßt sich der
Gläubige nicht gerne nehmen, und zum Geschäft
des Kritikers gehört es nun einmal, zu prüfen,
ob das oft vorschnell Verehrte der Verehrung
auch wirklich wert ist. Er hat der Wahrheit die
Ehre zu geben, das scheinbar Göttliche auf das
Menschliche zurückzuführen. Auch Kritiker kön-
nen verehren. Zum Unterschied von den Ver-
kündern und Anhängern der Geniereligion ver-
ehren sie aber nicht um ieden Preis.
Die ersten Kritiker waren die Künstler
Das vielgeschmöhte Volk der Kritiker kann auf
einen für manche seiner Gegner vielleicht er-
staunlichen Umstand verweisen. Die ersten Kri-
tiker waren gar nicht die Kritiker, sondern die
Künstler selber, und zwar die in der Antike gar
nicht sehr angesehenen bildenden Künstler. Sie
begannen gewissermaßen auch aus Notwehr
zu schreiben, in jenem goldenen perikleischen
Zeitalter, das sie den Handwerkern gleichstellte
und als Banausen ansah, die einer kulturellen,
vollmenschlichen Entwicklung gar nicht fähig
wären.
Die bildende Kunst ist ia tatsächlich aus dem
Handwerk entstanden. Der Literat, der Histori-
ker, der Philosoph, der Komödiendichter, der
Rhetoriker galten als von höherer Herkunft. Das
Mundwerk hatte vor dem Handwerk den Vor-
zug. Der bildende Künstler war durch den Ma-
kel körperlicher Arbeit geschändet.
Kunstliebhaberei bildete sich schon in der An-
tike heraus. Doch noch bei dem Philosophen
und Historiker Plutarch, der im ersten nachohrist-
lichen Jahrhundert wirkte, hieß es: „Wenn wir
uns auch am Kunstwerk erfreuen, so verachten
wir doch den Künstler." Kein iunger Mensch von
guter Anlage werde, wenn er die weltberühm-
ten Werke des Phidias oder Polyklet sehe, auch
ein Phidias oder Polyklet werden wollen, und
wenn ein Werk gefällt, so brauche darum sein
Verfertiger noch nicht der Aditung des Publi-
kums wert zu sein.
Der berühmte „Kanon" des Polyklet wurde
von Albert Dresdner in seinem schönen Buch
über Kunstkritik die erste kunstkritische Schrift
genannt.
In der Antike ist eine ganze Literatur entstan-
den, die bildende Künstler zu Verfassern hat.
Diskussionen über grundlegende Probleme der
Kunsttheorie, und insbesondere auch prinzipielle
Auseinandersetzungen der verschiedenen Schu-
len miteinander, machten den Inhalt dieser Schrif-
ten aus. Die Künstler wurden die ersten Kunst-
kritiker, indem sie sich und ihre Leistungen mit
denen ihrer Kollegen verglichen.
Aus der Art der Argumentation ist zu ersehen,
daß sie mit dieser schriftstellerischen Betätigung
auch ihr Recht auf höhere soziale Geltung ver-
fochten. Die Kunst sei der Wissenschaft gleich
oder ihr zumindest benachbart, verlauteten sie
mehr oder minder ausdrücklich. Die Wissen-
schaft nämlich war sozial hoch angesehen.
Das Mittelalter machte die bildende Kunst, wie
nahezu alles kulturelle Leben, der Religion dienst-
bar. Der Künstler wurde zum Anonymus und
wieder nicht höher als der Handwerker ge-
schätzt. Was, zu welchem Zweck (und in hohem
Maße auch wie) gemalt oder gebildhauert wer-
den sollte, bestimmten die Theologen. Das Ge-
schäft des Künstlers selber konnte keinen eige-
nen geistigen Rang beanspruchen. Als eine„nütz-
liche Beschäftigung der Hände" wurde es von
Theophilus Presbyter um 1110 bezeichnet. Erst
Leone Bottista Alberti, Baumeister, Bildhauer,
Maler, universale Persönlichkeit, pries die Ma-
lerei als ein Vermögen rein geistiger Art und
zählte sie den „freien Künsten" zu, als da waren:
die Grammatik, die Dialektik, die Rhetorik, die
Arithmetik, die Geometrie, die Musik und die
Astronomie. Für Leonardo war der Künstler der
Herr der Welt. Die Malerei galt ihm als die vor-
nehmste Kunst,der Dichtung, derMusik, derSkulp-
tur überlegen. Michelangelo schließlich berief
sich gern auf seine adelige Abstammung und
hätte den Plebeier am liebsten von der Ausübung
der Kunst ausgeschlossen. „ll divino", der Gött-
liche genannt, war er der erste Künstler, der so
aufgefaßt wurde, wie die Geniereligion des 19.
und 20. Jahrhunderts den überragenden Men-
schen überhaupt sieht.
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