sie fast alle in der vorderen Reliefebene, wohl
unter dem Eindruck von Matthäus Merians Dar-
stellung in der Historischen Chronik von 1657
(erste Ausgabe 1630), dicht aneinander, um
gleichzeitig Mittel- und Hintergrund wie im
horror vacui zu füllen'. In der Füllung des
Reliefs noch über das erste Relief in Kitzinger
Privatbesitz (Abb. 3) hinausgehend, lassen die
Verhärtung der Einzelformen, der Figuren- und
Gewandstil beim Vergleich mit den um 1960-
1700 entstandenen vier mythologischen Reliefs
(s. Teil l, Abb. 2) und den alttestamentarischen
Szenen in München und Antwerpen' eine Ent-
stehung kurz vor oder bald nach 1700 wahr-
scheinlich sein. Den dem Elefantenzahn ange-
paßten, tief hinterschnittenen Schrägen der vier
bezeichneten mythologischen Reliefs in München
(Abb. 2 in Teil l) weniger entsprechend als dem
Aufbruch Abrahams zum Opfer", ebenfalls im
Bayerischen Nationalmuseum, gehört hierher
auch der Sabinerinnenraub der Stiftssammlun-
gen St. Florian bei Linz, ein 11,5 x 16,8 cm gro-
ßes, z. T. freiplastisch geschnittenes Relief, das
die Tendenz zur Füllung auch des Tiefenraumes
noch weiter fortsetzt (Abb. 5) und wohl fast
gleichzeitig entstand ".
Mit dem 33,7 cm hohen, vom Münchener Gold-
schmied Franz Keßler reich montierten Elfen-
beinzylinder mit dem Raub der Sabinerinnen"
im Kunsthistorischen Museum Wien (Abb. 6) er-
hebt sich außer der Frage nach einzelnen Var-
lagen für die friesartig dichte, von versatz-
stückartig eingefügten Baumstämmen rhythmisch
unterbrochene Komposition, die noch nicht be-
antwortet werden kann, die der Zuschreibung.
Nach den Gesichtstypen der bisweilen wie flach
gepreßt wirkenden, in feingefältete, aber matt
modellierte Gewänder gehüllten Figuren und
nach der detailreichen Durcharbeitung und we-
nig räumlichen Schichtung der Figuren vor dem
Tiefenraum scheinen die bald nach 1700 ent-
standenen Reliefs des Dominikus Steinhart, z. B.
die Nürnberger Tafeln nach Carlo Maratta oder
die Antwerpener Reliefs u, doch eher vergleich-
bar als die nach trockener wirkenden Arbeiten
seines Bruders. Einen exakten Anhaltspunkt für
die Datierung gibt das Todesiahr 1717 des
Goldschmieds (Dominikus Stainhart starb 1712),
der u. a. auch den Vermeil-Nimbus eines Geißel-
christus in Privatbesitz" und eine bis in die
figürlichen Szenen an Fußrand und Deckel un-
serem Humpen ähnliche Fassung für einen Elfen-
beinzylinder mit Puttenbacchanal im Bayerischen
Nationalmuseum München schuf". Der Münche-
ner Humpen mit dem später ergänzten Medail-
lan, dessen Elfenbeinschnitzerei in ihrer Faktur
eher von Dominikus (oder seiner Werkstatt)
stammt, zeigt, daß auch der Adler auf dem
Wiener Gefäß ein Medaillen oder Wappen hielt.
Der Vergleich eines um 1680-1690 entstandenen
silbernen Kruzifixes in der Studienkirche zu
Dillingen mit Münchener Beschau und Franz
Keßlers Meisterzeichen" mit dern 27,5 cm gro-
ßen, im Typus allerdings unterschiedenen Elfen-
beinkorpus im Bayerischen Nationalmuseum, des-
sen silberbeschlagenes Holzkreuz ebenfalls die
Marke Franz Keßlers zeigt" und dessen feine
Formensprache von den Franz l. Steinhart zu-
gewiesenen Elfenbeinbildwerken abweicht und
u. E. nach eher mit Dominikus zu verbinden ist,
stellt die Frage, ob nicht der Goldschmied nach
plastischen Modellen des Schnitzers (oder beide
nach einem Vorbild) arbeitete "f.
Schon Erika Titze-Conrat wies die graphische
Vorlage für ein kleines Buchsbaumholzrelief des
hl. Georg im Kampf mit dem Drachen (Abb. 7;
12,2 x 8,7 cm) im Kunsthistorischen Museum Wien
nach", die Radierung Antonio Tempestas (Abb.
7a). Das Relief mit seinem Gegenstück des hl.
32
Martin ist mit Bedenken lgnaz Elhafen zuge-
wiesen, vielleicht vor 1695 entstanden". Ein
13,1 x 8,4 cm großes Buchsbaumrelief in Hart-
ford, Connecticut, The Wadsworth Atheneum
(Abb. 8), wird Dominikus Stainhart zugeschrie-
ben 7', ist iedoch in der teilweise etwas groben
Schnitzerei (Erdboden, Pferdegeschirr, Mähne,
Hintergrund) möglicherweise etwas später im
18. Jahrhundert entstanden. Es verwendet die-
selbe Vorlage, gleicht im Mativischen dem Wie-
ner Relief bis auf die Architektur links im Hin-
tergrund. Dasselbe Zwiebelturmmotiv erscheint
auf dem 12,5 x 9,1 cm hohen Buchsbaumholz-
relief des Badischen Landesmuseums Karlsruhe
(Abb. 9), dessen Schnitzstil weniger geschärft
und kleinteilig präzise scheint und in dem die
Reiterfigur durch einen Laubbaum oben mehr an
den Reliefgrund gebunden wird u. Eine ähnliche,
allerdings durch antikische Ruinenarchitektur
konsequentere Variation der Vorlage im stark
erhobenem Relief, in dem in der vorderen
Bodenkante die Rundung des Elefantenzahnes
erkennbar ist, zeigt das 12,3 x 8,6 cm große
Elfenbein des Victoria and Albert-Museums
London (Abb. 10), auf dem die Prinzessin rechts
fehlt". Der Gesichtstypus, die präzisen, aber
weich modellierten Details, wie Mähne, Pferde-
kapf, Drachenflügel, Waffenradc und Manteltuch,
sowie Boden und Hintergrund, aber auch Einzel-
motive, wie die Maske am Pferdegeschirr vorn,
setzen das Relief deutlich von der geschärfteren
Formensprache des Wiener Exemplars ab und
erlauben zahlreiche Vergleiche mit Reliefs des
Dominikus Stainhart, vor allem mit seinen späten
Arbeiten, ohne daß eine endgültige Zuschrei-
bung als sicher gelten kann". Zieht man näm-
lich die zwei Cleopatra-Reliefs des Kunsthistori-
schen Museums Wien, die ebenfalls mit Vorbe-
halt lgnaz Elhafen zugeschrieben werden und
dem hl. Georg und hl. Martin eng verwandt
sind," zum weiteren Vergleich heran, so finden
sich auch Ähnlichkeiten in der Reliefauffassung -
Varliebe für enge Figurenkomposition vor Vor-
hangmotiven und Bühnenarchitektur, stilleben-
hafte Züge - und im Figuren- und Gewandstil
mit den Arbeiten van und im Stile des Franz l.
Steinhart", für die Köpfe bei den Münchener
Reliefs des Dominikus (Teil I, Abb. 2).
K. Ramisch erkannte als unmittelbare, in Haupt-
mativen getreu befolgte Vorlage für das 25 x
45,5 cm große Zedernholzrelief der Anbetung
der Hirten im Libighaus Frankfurt a. M.
(Abb. 11) den Holzschnitt Niccolö Boldrinis nach
Tizian (Abb. 11a)". Das kastenförmig vertieft
geschnittene Relief, das vor allem in der - z. T.
gruppenartig verkleinernden - Fraportionierung
der Figuren und in der kleinteiligen, z. T. in
Aufsicht gegebenen und wenig tiefenräumlichen
Gestaltung des Hintergrundes die Vorlage ab-
ändert, scheint mir Dominikus Stainhart zumin-
dest ebenso nahezustehen wie der hl. Georg
in London. Bedenkt man für den Gewandstil
oder einzelne Typen die Nähe zur Vorlage und
das andere Material, so mag ein Vergleich mit
den Reliefarbeiten der nachrömischen Zeit und
van vor 1700, z. B. der Bekehrung Sauli, der
Vertreibung aus dem Paradies (Abb. 12, Teil l,
Ab. 4), aber auch mit den signierten Münchener
Reliefs (Teil l, Abb. 2), etwa für den Kopf des
zweiten Hirten von links, eine hypothetische
Zuschreibung an Dominikus Steinhart (und seine
Werkstatt), eine Datierung vor die Reliefs in
London und Karlsruhe, um 1690-1700, gerecht-
fertigt erscheinen.
I] Unser Autor:
Dr. Christian Theuerkauff
Oberkbstos an der Skulpturenabteilung -
Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz
D-1 Berlin 33 - Dahlem, Arnimallee 23l27
Anmerkungen 18-27 (Anm. 8-17 s. 5.31)
"Zu dem u. a. in Elfenbein, Holz und Silber arbeitenden
Johann Bernhard Strauß in Augsburg s. Steinhart, 1971,
Anm. 68. Der Verfasser plant zu Strauß eine umfassende
Monographie.
" Die Erfindung im Relief, in: Jahrbuch der Kunsthistorisrhen
Samrnlun en in Wien, XXXV, 1920l21, S. 165, 169, Nr. 10,
Fig. 105, 07. - Dieselbe Komposition z. T. nach Tizian (a
in Giuseppe Scalaris Holzschnitt (P. Dreyer, Tizian un
sein Kreis, Kupferstictikabinett Berlin, 1972, S. 59 f., Nr.
42, Abb.), auf den auch Rubens' Pradabild zurüdxgeht. -
Auf das gleiche Vorbild greift ein Elfenbeinrelief, Süd-
deutschland, 1B, Jahrhundert, der ehem. Slg, J, Bocowitz,
Wien, zuriidr (Gal. Helbing, München, Verst. 20. Vl. 1912,
S, 26, Nr. 388, Abb, auf Taf. 1B),
"Wiener Jahrbuch. , XXl, S, 104, 138, KaL-Nr. 85 f.,
Abb, 102.
1' lnv,-Nr, 19S4.169. - oben (neu?) ergänzt; mehrfach Risse,
u. a. drei Bohrlöcher. - lllustrated Guide of the Collec-
tion, Hartfard 1960 (2), ohne Nr., mit Abb.
" E. Zimmermann, in: Jahrbuch der Staatl. Kunstsammlun-
gen in Baden-Württemberg, Vll, 1970, S. 131 ff., Abb. 14.
- ln_den Lederlaschen des Waffenrockes dem Tempesta-
Vorbild am getreueslen folgend.
1' lnv.-Nr. A 36-1949, Reliefhöhe bis zu fast 4 crn. Theuer-
kauff, Rauchrniller und Elhafen, 1962 (1964), S. 136,
Anm. 425, Abb. 252.
"V I. u. a. Teil l, Abb. 4, 2; Theuerkauff, Stainhart, 1971,
A b. 20-22, 24-27.
"Wiener Jahrbuch . . ., XXl, 1968, S. 123 f., KaL-Nr. 25 f.,
Abb. 88, mit Lit.
11 Vergl. Berliner, Elfenbein, 1926, Kot-Nr. 406-409, Taf.
206 f,; Stainhart, 1971, Abb. 23; Teil I, Abb. 10, Anm.
21 f., sowie die römischen Reliefs.
1' A. Legnar, Bildwerke der Barodrzeit aus dem Liebieghaus,
Frank urt a. M. 1963, Nr. 3, Abb. - P, Dreyer, Tizian . . .
1972, S. 56, Abb, (405 x 538 mm),