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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 124 und 125)

I Aktuelles Ku nstgeschehen, Wien 
 
Museum des 20. Jahrhunderts 
Revalutionsarchitektur 
Gemini G.E.L. - Graphik und Objekte 
Ergänzt durch Beispiele der Architektur des Dritten 
Reiches (vor allem von Albert Speer), übernahm das 
Wiener Museum die zuerst für die Kunsthalle in 
Baden-Baden zusammengestellte Ausstellung 
„Revolutionsarchitektur". Unter diesem Terminus 
versteht man - nach der begrifflichen Bestimmung 
der zwanziger Jahre - eine wesentliche Tendenz der 
französischen Architektur gegen Ende des 1B. Jahr- 
hunderts. Die Hauptvertreter der Revolutians- 
orchitektur waren Etienne-Louis Boulee (1728-1799), 
Jean-Jacques Lequeu, Claude-Nicolas Ledaux 
(1736-1806) und Jean-Jacques Tordieu. Aus den 
Beständen der französischen Nationalbibliothek 
zeigte Wien annähernd 150 Handzeichnungen, 
Entwürfe und Proiekte dieser gleichermaßen kühn 
wie progressiv denkenden Architekten. Ihre Utopien 
waren einfach zu gewaltig, um finanziell bedeckt 
beziehungsweise - was ebenfalls wiederholt vor- 
kom - technisch ausgeführt zu werden. Sieht man 
von einzelnen Einflüssen auf Baukünstler des 
19. Jahrhunderts ab, so wurde die Revolutians- 
architektur erst 1930 wissenschaftlich entdeckt und 
ausgewertet. Der Wiener Emil Kaufmann hatte 
dabei mit seinem wichtigen Buch „Von Ledoux 
bis Le Corbusier" wesentlichen Anteil. Er spricht in 
seiner Begriffscharakteristik u. a. vom „Verzicht auf 
Dekor, dem unverhiillten Bekenntnis zu den 
einfachsten stereometrischen Gebilden, ihrer 
Strenge, dem Streben nach schroffer Monumentalität 
und ihren symbolischen Absichten, fußend auf dem 
rationalistischen und demokratischen Geist der 
Aufklärung, in entscheidender Abkehr von den 
Vorstellungen des Barocks." Keine spektakuläre, 
doch eine spezifisch unterrichtende Schau. 
Dem Heute gewidmet war die nachfolgende 
Ausstellung von Graphiken und Obiekten 
(Multiples) der bekannten Gemini-Druckwerkstätten, 
Los Angeles. Das 1965 gegründete Studio kannte 
sich durch seine hervorragende Qualität und kluge 
Beschränkung auf die ausschließliche Herstellung 
von Originalgraphik und Multiples internationales 
Renommee sichern. Wenn die Ausstellung auch 
künstlerisch möglicherweise zu hochgesteckte 
Erwartungen etwas dämpfte, so bot sie dennoch 
aufschlußreiche Informationen, konfrontierte sie 
doch mit „kleineren" Werken iener großen Namen, 
die den Ruhm der USA als Kunstnation in jüngster 
Zeit wesentlich mitbegriindeten. Von Josef Albers 
über Sam Francis, Jasper Johns, Elsworth Kelly, 
Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Ken Price 
bis hin zu Robert Rauschenberg und Franz Stella 
reichte die Skala prominenter Namen (August bis 
September 1972) - (Abb. 1-3). 
Secession - Engagierte Kunst 
1. Graphikbiennale Wien 1972 
Eine verdienstvolle, in Zusammenarbeit mit dem 
Europahaus Wien, der Secession und der Albertina 
zustande gekommene Ausstellung, für die Mario 
Decleva organisatorisch verantwortlich war. 
Qualitativ bot die Schau durchweg erste bis mittlere 
Qualität. Die Jury, die die drei Hauptpreise, 
dotiert mit ie 15.000 S, an Dennis M. Rowan (USA), 
Julian Santamoria (Spanien) und Klaus Moritz 
(BRD) vergab, konnte aus einem Kontingent von 
etwa 1200 graphischen Blättern wählen, die von 
über 400 Künstlern aus 42 Ländern eingesandt 
worden waren. Erfreulich vielseitig: die künstlerische 
Interpretation und Umsetzung des gestellten Themas, 
das dem gesellschaftspolitischen und sozialen 
Engagement galt und den Pluralismus heutiger 
gegenstandsbezogener Stilrichtungen und Tendenzen 
zumeist signifikant spiegelte. Weitere Preise gingen 
an Carlos lrizarry, Tetsuo Araki (Japan), den 
Dänen Janus Poul lpsen, Rudolf Schönwald, P. 
Grünwald (Großbritannien) und den Wiener Helmut 
Krumpel. Eine für Österreichs Kunstleben und Image 
im Ausland bedeutende und daher voll unter- 
stützenswerte Initiative, deren Fortsetzung geplant 
ist. Ergänzend zur Ausstellung fand Anfang 
Oktober ein international besetztes Symposion statt, 
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das der gleichen Thematik galt (9. 9.-8. 10. 1972) - 
(Abb. 4-6). 
Stadtpark 
Obiekte - Subjekte - Umweltgestaltung 
Die von Hermann Painitz im Auftrag des Kulturamtes 
der Stadt Wien erstellte Sommerschau fungierte als 
prinzipiell geglückter Ausbruch aus iener Praxis 
der „Grünen Galerie", die zuletzt kaum mehr als 
ein zufälliges Nebeneinander mehr oder minder 
geglückter Plastiken bot. Da Painitz vorwiegend 
iüngere, progressive Künstler einlud, konfrontierte 
die Schau ausreichend mit Experimenten und 
Prablematischem. Die qualitätvollste Plastik - eine 
elegant geformte, Strenge mit harmonischer Grazie 
und Kraft verbindende Arbeit aus nichtrostendem 
Stahl - stammte von Erwin Reiter. Ihr benachbart, 
war ein aus parallelen Röhren zusammengesetztes 
Polyesterobiekt von Nyrom (Maria Neureiter). 
Helga Phillip dekorierte die Wasseroberfläche des 
Wienflusses mii Ringen in zwei Farben; - ein 
schwimmendes Environment, vergleichbar den halb- 
kugelförmigen Elementen, die Hermann Painitz zur 
optischen Demonstration der Ergebnisse der 
Nationalratswohl 1971 verwendete. Die an die 
„fliegenden Menschen" des Polen Broniotowski auf 
der Biennale in Venedig erinnernden Auslagen- 
puppen von Peter Perz wurden in Baumkronen lose 
gruppiert, um solcherart den Ausbruch aus der 
uniformen Gesellschaft zu symbolisieren. Während 
Roland Goeschl unter Verwendung seiner bekannten 
Farbkuben eine „Mauer gegen die Umwelt- 
verschmutzung" herstellte, versuchte Ingeborg 
Pluhar mittels einer überdimensionierten, 
verrammelten Brille den dialektischen Durchblick 
in eine bessere Zukunft. Weiters mit von der Partie 
waren: Werner Würtinger, Gero Schwonberg, 
Frantisek Lesäk, Robert Lettner, Hermann Klinger 
und Adam Jankowski, von dessen Friedhofskreuzen 
zweifellos die stärkste Provokation ausging 
(5. 7.-31. B. 1972) - (Abb. 7-9). 
Galerie nächst St. Stephan 
Mario Terzic 
Bei der Realismus-Ausstellung der Galerie Schotten- 
ring spannten sich seine Ikarusflügel als Symbol für 
Freiheit und unerfüllbare Sehnsucht quer durch den 
Raum. Eine Iebensgraße Nachbildung seiner selbst 
mit ianusartigem Doppelkopf stand im Zentrum 
einer Personale von Mario Terzic in der Galerie 
nächst St. Stephan. Terzic entpuppte sich in ihr als 
gleichermaßen geistvoller wie konsequenter 
Obiektehersteller und Fotoaktionist. (ln letzterer 
Eigenschaft wird ihm von Peter Strobl assistiert.) Er 
konfrontiert in seinen Arbeiten mit verschiedenen 
Bewußtseinsebenen, mii dem unerwarteten 
Nebeneinander und der Gleichzeitigkeit von 
Erkenntnis- bzw. Erinnerungsfragmenten, die in 
dem vom Künstler geschaffenen Assoziationsraum 
bei jedem von uns akut werden können. „Besuch 
der Renaissance" heißt die von Strobl fotografierte 
Serie, die Terzic im selbstgefertigten Gewand aus 
reiner weißer Seide in den toskanischen Gärten, 
unwirklich zwischen Bäumen schreitend, festhält. 
Die Spannweite, die der 1945 Geborene auf den 
gefährdeten Pfaden zwischen Realem und lrrealem 
beschreitet, ist im Sinne gezielter Denkanstöße 
überraschend groß. Dennoch - und das ist bestimmt 
ein Zeichen für Qualität - sind seine Arbeiten von 
merkbarer Klarheit, von einer seltenen Prägnanz 
des Ausdrucks. Das mit Federn überklebte Modell 
eines Düseniögers symbolisiert so - um ein Beispiel 
konkret herauszuheben - neben dem Prinzip des 
Fliegens auch das der Aggression, neben dem 
Technischen das Organische und Tierische. Eine 
diskutierenswerte Ausstellung (7.-30. 9. 1972) - (Ab- 
bildung 10). 
Galerie Würthle - Josef Engelhart 
Eine Ausstellung, die - gezeigt in zwei aufeinander- 
folgenden Teilen - die gerade für Wien künstlerisch 
ergiebige Zeit um 1900 facettenreich herauf- 
beschwärte. Trotz der gezeigten Breite blieb es 
allerdings schwierig, Engelhart (1864-1941) 
zusammenfassend zu beurteilen, unterlag doch sein 
Werk - abgesehen von qualitativen Schwankunger 
- auch nach Stil und Tendenz stärkerem Wechsel 
und zeitbedingten Moden. Engelhart war Porträtist 
und Landschafter. Er zeichnete Veduten, malte 
typische Szenen aus dem lokalen Wiener Milieu, 
karikierte und skizzierte vergleichsweise spontan 
weibliche Akte. Er übernahm repräsentative, dem 
Ornament in typischer Weise huldigende 
Auftragsarbeiten, deren wichtigste Merkmale dem 
Sezessionismus und dem Jugendstil zuzuordnen sind 
Engelhart blieb aber auch wiederholt einem 
stereotypen Akademismus ohne sonderlichen 
kunsthistorischen Stellenwert verhaftet (September 
1972). 
Galerie Basilisk - Obiekte und Graphiken 
österreichischer Künstler 
Eine dem Experiment, den Versuchen meist 
iüngerer österreichischer Künstler, gewidmete 
Schau, die als 100. Ausstellung der van Klaus 
Lingens geleiteten Galerie in der Schönlaterngasse 
viel Interesse fand. Lingens vereinte in ihr 
Graphiken, Bilder und Objekte von Peter Gröschl, 
Meina Schellander, Helmut Schober, Georg 
Chaimawicz, Hubert Pfaffenbichler, Kurt Talos und 
Zbynek Sekal. Viele der Genannten wurden von 
Lingens in den Jahren vorher einzeln präsentiert 
und für Wien entdeckt. Dies gilt z. B. für Talos, 
dessen „drei Bildtafeln für einen politischen Altar' 
im Zentrum der Exposition standen, trifft aber auch 
auf den in Italien lebenden Schober und den iungen 
Niederösterreicher Gräschl zu, der in seinen 
Obiekten merkbare Fortschritte verrät. Die in sie 
gesetzten Erwartungen erfüllte auch Meina 
Schellander. Sie legt in ihren zeitkritischen und 
teilweise skurrilen Obiekten ein Bekenntnis ab, da: 
keinerlei Konzessionen an Gängiges verrät. 
Beachtenswert auch ihre Zeichnungen und farbiger 
Skizzen. Der von der Galerie in Abständen unter- 
nommene Versuch, neben Bewährtem und gut- 
gehenden Namen auch eine Lanze für das zu 
brechen, was noch in Fluß ist, verdient Anerkennung 
(Juni-September 1972) - (Abb. 11). 
Galerie in der Passage 
Cornelius Kolig 
Peter Weihs 
C. Kolig, vor allem bekannt als Obiektdesigner und 
Plastiker, beschäftigte sich neuerdings mit 
Siebdrucken. Dabei interessieren ihn weniger rein 
reproduktive Vorgänge, als vielmehr solche 
schöpferisch-kombinatorischer Art: die Möglichkeiter 
der Zerlegung und des Neuaufbaues eines Motivs, 
seine Verfremdung und die Verwendung verschieder 
großer Rasterpunkte. Experimente dieser Art lagen 
auch seinen Alpenlandschaften zugrunde, die Kolig 
vorwiegend in Zustonds- und Probedrucken nun 
erstmals in Wien vorstellle. Koligs romantischer, 
ironischer, der Pop-art legitim zuzuordnender 
Realismus besitzt in dem ihm eigenen Verfremdungs 
und Abstraktiansgrad seinen besonderen Reiz 
(14. 7.-10. 9. 1972). 
Dem 1940 geborenen Mödlinger Plastiker und 
Keramiker Peter Weihs galt die nachfolgende 
Schau in der von der Ersten österreichischen Spar- 
Casse gesponserten Passantengalerie. Weihs 
zeigte farbige Bildobiekte und Palyesterplastiken 
geometrisch-abstrakter Grundhaltung. Ein Vergleich 
mit den USA läßt an Tendenzen des Hard Edge 
und der Neuen Abstraktion denken. Das 
Charakteristische an den Bildabiekten von Weihs 
ist das Verlassen rein flächiger Überlegungen 
zugunsten einer fallweise auch über die 
ursprüngliche Bildbegrenzung hinausgehenden 
Dreidimensionalität. Dabei bedient sich der 
Künstler im allgemeinen weicher, abgerundeter 
Formen, die zum Begreifen im faktischen Sinne 
auffordern. Er kombiniert die Elemente in 
kurvigen Parallelen, mit Bedacht auf starke Farb- 
kontraste, gelegentliche Positiv-Negativ-Effekte 
und die in der modernen Plastik bereits fest 
verankerte Gleichberechtigung von Form und Farbe 
Weihs trat vor kurzem eine Lehrstelle an der 
Kunstakademie in Kinshosa, Zaire, an (15. 9.45. 10 
1972) - (Abb. 12). Peter Baum
	        
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