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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 80)

schale technisch klar und einfach aufgebaut. 
Aber über diesen „unantastbaren Kern" wird 
ein Netz voller kleinteiliger und spielerischer 
Bewegung gelegt. Alle Einzelformen ver- 
schlingen sich mit benachbarten, greifen von 
einem Joch auf das andere über, aber durch 
die Bestimmung, eine malerische Einheit zu 
schaffen, mangelt ihnen die Kraft, über die 
Raumeinheit hinaus zu wirken. Die Be- 
wegungslinien sind an ihren Block, an die 
Gewölbeschale gebunden. Es entsteht ein 
durchspielter, kein dynamischer, von ver- 
körperten Bewegungslinien durchschraubter, 
über sich hinausweisender Raum. 
K. M. Swoboda hat dieses Phänomen sehr 
früh erkannt und gedeutet: „Wie in anderen 
späten Entfaltungsstufen (vgl. Spätromanik), 
in welchen alle Kunst dazu neigt, sich aus 
alter Kunstüberlieferung des Volkes zu er- 
neuern, muß das zunehmende Eindringen 
geometrischer Ornamente als Ersatz der ein- 
fachen Kreuzrippen in der Spätgotik als 
Aufstieg vorzeitlicher, vor allem im Bauerntum 
überlieferter Kunst anzusehen sein. Der vor- 
zeitlichen und der Bauernkunst sind jene 
Ornamente geläufig, dort sind sie ein Grund- 
thema künstlerischen Schaffens überhaupt." 
In der Anwendung von Schlingrippen ist aber 
nur eine erste Stufe der Übernahme solcher 
Formen zu sehen, hier werden sie monu- 
mentalisiert und dem Zeitstil verpflichtet. Mit 
ihnen werden feierliche Räume gestaltet und 
an diesen erinnert nichts an die Forderungen 
der Devotio moderna. Überdies treten die 
neuen Gewölbe schon zwanzig Jahre vor 
dem ersten Werk eines Malers der Donau- 
schule auf. Es fällt schwer, hier die Donau- 
schule zu finden. 
Die dritte Richtung der spätgotischen Archi- 
tektur nimmt solche vorzeitlichen und in der 
Bauernkunst konservierten Formen viel direk- 
ter und unmittelbarer auf, sie monumentali- 
siert sie nicht, und wie in der Malerei die 
Formenwelt dem Stil unterworfen wird, so 
hier der Raum und das tektonische Gerüst, 
auf welche das Ornament aufgelegt erscheint 
wie der Malerei die Donaukunst. Dieses 
Ornament entstammt dem Holzbau und 
wird als Kerbschnitzerei klassifiziert. Mit 
diesen Formen wurden bis in die jüngste 
Vergangenheit die Holzdecken der Bauern- 
stuben geschmückt, ihr erstes Wiederauftreten 
nach der Spatromanik kann am Altarwerk von 
Kefermarkt studiert werden. Um 1490 ziert 
der Hauptmeister die Stola des Petrus mit 
einem Rautenmuster, schmückt wenig später 
ein Geselle den Innenraum der Verkündigung, 
besonders die Säule, mit einer Musterkarte 
solcher Ornamentik. Um 1500 schon ergreift 
das Neue im Kirchenbau bestimmte Elemente: 
Die Rippen werden gekerbt, gerautet und 
geschuppt, Dienste gedreht, Brüstungen, Tore 
und Fensterleibungen von solchen Bändern 
oder in die Flache gebreiteten Rautenmustern 
überzogen. Auch werden in Gewölbezwickel 
Maßwerknasen eingesetzt, deren Stege ge- 
riefelt sind, deren Stirnseiten urtümlich an- 
mutende Masken bedecken. Holztechnik wird 
in Stein übertragen mit Nagelung und Aus- 
kragung, Astwerk ziert gerne Sakraments- 
häuschen. 
Die erste „Versteinerung" des Ornaments im 
Holzbau läßt sich am Schloß zu Freistadt 
datieren. 1m Jahre 1505 adaptierte der Pfand- 
inhaber Lasla von Prag den verwahrlosten 
Bau. Fenster- und Türgewände stammen aus 
diesem Jahre. In seiner Gruftkapelle in 
Altenburg bei Perg befinden sich die schönsten 
und frischesten Donauschulfresken, die 1512 
datiert sind. 
Früher als die datierten Bauglieder am Frei- 
Städter Schloß dürfte der Chor von Hirsch- 
bach entstanden sein, das Langhaus von 
Unterweißenbach folgt mit seiner reichen 
Empore. Auch Stephan Wultinger verwendet 
diese Formen 1512[13 in Verbindung mit 
spätgotischen Formen an der Empore in 
Vöcklamarkt, überall in Südböhmen, wie im 
hussitischen Tabor, finden sich Holzorna- 
mente. Im Domkreuzgang in Regensburg 
verbinden sie sich mit dem Renaissance- 
ornament, in St. Georgen im Attergau mit 
neu auftretenden romanisierenden Kapitellen. 
Wie schon bemerkt, ist dieses Ornament über 
die dem Zeitstil unterworfene Architektur 
gelegt, während die Schlingrippengewölbe 
selbst Stilausbildungen darstellen. 
Im Sinne der Devotio moderna wurden bei 
dieser Richtung alle Forderungen erfüllt: Das 
Zurückgehen in ein einfaches Leben erscheint 
symbolisch in der Anwendung von profanem 
Formengut, das damals noch lebendig, auch 
die Stuben der Bürger und Bauern schmückte. 
Das Göttliche erschien also brüderlich im 
profan ausgeschmückten Kirchenraum. Nicht 
wie die Figuren im Gemälde agiert hier der 
Mensch selbst im Raum. 
Zur Definition der gesamten Donaukunst 
ordnet sich diese Gestaltungsweise zwanglos 
ein, wenn jeder Kunstgattung die ihr eigenen 
Gestaltungsprinzipien zugebilligt werden und 
nicht an Plastik oder Architektur die der 
Malerei allein gelegt werden: 
1. Die Devotio moderna als geistige und 
religiöse Grundlage wurde in der unmittel- 
baren Übernahme vorzeitlicher Ornamentik 
erkannt. 
2. Der Landschaft entspricht der Kirchenraum 
selbst, der so wie im Gemälde aus Lichterspiel 
aufgebaut ist. 
3. Das Licht erweckt die Farbe, es ist aber 
auch für die Erscheinung der Graphik ohne 
Farbgebung von eminenter Bedeutung. Das 
Flimmernde aller Kunstgattungen ist ohne 
raffinierte Lichtführungen nicht denkbar. Die 
Maler bauten deshalb bis um 1510 Ruinen, 
auf denen und auf den aus ihnen sprießenden 
Moosen und Flechten ebenfalls das flim- 
mernde Lichterspiel lebte. 
4. In der gebauten Architektur ist der Mensch 
selbst, nicht nur sein Abbild, mit dem Raum 
verbunden; ohne den darin Lebenden gibt es 
keinen. 
Die Forschung, gerade in Fluß geraten, kann 
vorerst nur allgemeine Hinweise zu diesen 
Fragen bieten, solange die Architektur als 
solche selbst noch nicht untersucht ist. Am 
Anfang gotischer Baukunst stand die Kathe- 
drale als Abbild des Himmels. Kann nicht 
am Ende der mittelalterlichen Welt die Kirche 
als Abbild der menschlichen Behausung stehen 
dürfen?
	        
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