Gerhard P. Woeckel
Das aus der Schwarz-
spanierklosterkirche
St. Mariä stammende
Kirchengestühl in der
Augustinerpfarrkirche
in Wien und sein von
Johann Baptist Straub
geschnitzter Reliefzyklus
Der „Kurzgefaßten Nachricht" (1722) von J. K.
v. Lippert zufolge wurde „im 26. Jahr seines
Alters" (d. h. 1730) Johann Baptist Straub „zu der
dazu erforderlichen Bildhauerarbeit" in der
Schwarzspanierklosterkirche de Monte Serrato
in Wien „bestimmt".' Außer der (heute in
Laxenburg befindlichen) Kanzel und abgesehen
von „anderen erhabenen Arbeiten und Verzie-
rungen", von denen noch des näheren an ande-
rer Stelle zu sprechen sein wird, führte J. B.
Straub damals auch die „Oratorien" aus. Sinn-
gemäß ist diese Nachricht, die für die vorliegen-
de Arbeit von exemplarischer Bedeutung ist, so
zu interpretieren, daß Straub für das im Mönchs-
chor aufzustellende Gestühl den Gesamtentwurf
zu liefern und bei der Ausführung, der im
Planungsstadium sicherlich Entwurfszeichnungen
und Bozzetti vorausgegangen waren, den spezi-
fisch bildhauerischen Teil zu übernehmen hatte.
Außer dem geschnitzten Ornamentdekor und
kleinerem figürlichem Beiwerk (den Engelsbüsten)
war die Hauptdekoration der Reliefzyklus, auf
den noch zurückzukommen sein wird. Nach dem
üblichen Zunftbrauch blieb die Zurichtung eines
solchen kirchlichen Einrichtungsmöbels jedoch
bis infolge der Durchführung der Josephinischen
Reform die Schwarzspanierklosterkirche am
6.November 1779 geschlossen und damit dieAuf-
hebung des Ordens angeordnet wurde. Auf
Vorschlag des kaiserlichen Hafarchitekten Jo-
hann Ferdinand von Hohenberg wurden die
Straubschen „Oratarien" während des Jahres
1784 in die inzwischen neogotisch umgestaltete
damalige Augustinerhofpfarrkirche transferiert,
wo sie fortan als Kirchenbönke Verwendung fan-
den. Als Datum für den Abschluß der Umgestal-
tung dieser Kirche ist der Dreikönigstag des
Jahres 1785 überliefert. An diesem Tag fand die
erste Predigt auf der neuen Kanzel statt, die auf
Wunsch Kaiser Josephs ll. J. F. v. Hohenberg
in neogotisdwem Stil errichtet hattet. Kenn-
zeichnend für die völlige Gleichgültigkeit gegen-
über der hier vorliegenden Themenstellung ist
es, daß man die ursprünglich vorhandene An-
ordnung des Gestühls bei der Neuaufstellung
völlig außer acht ließ. Ebenso kennzeichnend
für die Folgezeit ist es freilich auch, daß man
die ikonographisch sinnwidrige Aufstellung der
Kirchenbänke bis zum heutigen Tage unver-
ändert beibehielt. Es wäre deshalb dringend zu
1 Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge-
stühl mit den Reliefs 1 und 2 (Altes Testament)
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge-
stühl mit den Reliefs 3 und 4 (Altes Testament)
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge-
stühl mit den Reliefs 5 und 6 (Neues Testament)
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge-
stühl mit den Reliefs 7 und 8 (Neues Testament)
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, geschnitzte
Wange (11,5 x 101 cm) vom Kirchengestühl
uißwm
Anmerkungen 1,2
'Erschienen in: Augsburgisches Monatliches Kunstblatt,
3. Jg., Vll. Stück v. 31. 3. 1772, . 53 fi., bes. p. 54.
"C. Wolfgruber, Die Hofkirche zu Augustin in Wien,
Augsburg 1888, S. 25 („Die in der untern Kirche stehen-
den Bänke sind aus der Schwarzspanierkirche"). - A.
Schnerich, Wiens Kapellen und Kirchen, Wien 1921, S. B7
(Hln der Mitte herrliches Baradrstuhlwerk"). i Dehin-
Ginhart, Wien und Niederdonau, 2. AufL, Wien-Berlin
1931, s. 16 („Rßldl eschnitzte spätbarocke Kirdien-
hanke um 1730 aus er Schwarzspanierkirche"). - A.
Schmiedbauer, Meisterwerke kirchlidter Kunst aus Oster-
reich, lnnsbruck-Wien-München 196D, S. 348 u. Abb. 204
(„Van der einstigen barocken Einrichtung haben sich nur
mehr die prachtvollen, teilweise iigürlich [SJCJ] geschnitz-
ten Kirdienstühle aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
[sicl] erhalten").
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stets einem - in diesem Fall unbekannten -
Kistler überlassen. Am 12. Oktober 1732, einem
möglicherweise sogar absichtlich gewählten Tag
wegen der Centenarfeier anläßlich der Wieder-
kehr der Erstgründung des Klosters (1632) durch
Kaiser Ferdinand lll., stattete Kaiser Karl VI. der
Schwarzspanierklasterkirche einen offiziellen Be-
such ab. Sicherlidi war damals die von J. B.
Straub ausgeführte biidhauerische Zier an der
Kanzel, am Chargestühl und an der Orgel voll-
endet. Vermutlidi waren, wie schon erwähnt,
die „Oratorien" im Mönchschor aufgestellt, und
zwar unterhalb des zeitgenössisch besonders ge-
rühmten Kuppelfreskos „Himmelfahrt Mariö",
das kurz vorher von Giovanni Antonio Pelle-
grini ausgeführt worden war. Älteren Baube-
schreibungen zufolge handelt es sich bei dem
Chor um einen zentralisierenden Raum mit ab-
geschrägten Ecken. Deshalb ist zu vermuten,
daß die von J. B. Straub ausgeführten „Orato-
rien" sich einst paarweise gegenüberstanden in
der Farm, daß die Bänke mit den Reliefs aus
dem Alten Testament der einen und die mit den
Szenen aus dem Neuen Testament der anderen
Seite zugeordnet waren. Fast 50 Jahre lang waren
die „Oratarien" in gottesdienstlichem Gebrauch.
wünschen, daß man bald einmal eine Änderung
in dem vorgeschlagenen Sinne herbeiführen
würde. Die in unserem Beitrag enthaltene Re-
konstruktion entspricht ikonographisch der einsti-
gen Anordnung.
Als Werkstoff wurde zur Herstellung der Kirchen-
bänke ausschließlich massives Nußhalz verwen-
det, das, ungefaßt, mit der Zeit einen tief dun-
kelbraunen Farbton angenommen hat. ln zwei
Abteilungen zu [e sechs Stück, getrennt durch
einen kleinen Gang, sind ietzt die 24 Bänke in
der Mitte des Kirchenschiffs aufgestellt. Zur Ver-
anschaulichung der Größenanordnung erfolgt
hier die Nennung ihrer Maße. Eine Bank ist [e-
weils 110,5 cm hoch, 287 cm breit und 101 cm
tief. Die Höhe einer Wange beträgt ieweils
111,5 cm bei einer Breite von 101 cm. Durch ein
achtmal sich wiederhalendes plastisches Motiv,
das zugleich die Monotonie der Horizontale
unterbricht, werden so die reliefierten „Fassaden"
des Kirchengestiihls deutlich als „Schauwand"
gekennzeichnet. Es sind dies vollpiastisch ge-
schnitzte Engelsbüsten (Format ie ca. 23 x 32 cm).
Sie markieren gleichzeitig die Mittelachse der
Kirchenbönke. Ein weiterer plastischer Akzent
zeigt sich in der Bekrönung der Wangen. Außer