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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 136 und 137)

graziöser Weise eingewinkelt und den Schädel 
zum Himmel gewendet, so daß die Mähne in 
prachtvoll perforierter Weise abflattert. Knapp 
über seinem Leib erscheint über Wolken und im 
Strohlenkranz die Halbfigur Christi mit Kreuz 
und Blitzbündel. Während die Figuren von Chri- 
stus und Paulus noch ganz in der Tradition von 
Johann Peter dem Älteren (Pramer Krippen- 
werk) stehen, weist das Pferd in seiner unver- 
kennbaren „individuellen" Reaktion auf die be- 
rühmten Tiergruppen Johann Georgs, etwa auf 
die „kämpfenden Pferde" des Linzer Landes- 
museums" hin. Die flammenartig stilisierten 
Schweifhaare, die in die Wellenbewegung des 
Berges einzumünden scheinen, und die spezifi- 
sche Formung der Wegsteine als Polyeder bieten 
Ansatzpunkte für einen Vergleich. Der Auswei- 
tung der Salzburger Gruppe, indem Johann 
Georg Landschaft in seine Komposition auf- 
nimmt, wodurch diese wieder in die Nähe des 
Augsburger Kupferstiches gerückt erscheint, wi- 
derspricht eine Verknappung der figuralen Szene 
auf zwei Personen, wobei im Brennpunkt seines 
künstlerischen Interesses die Darstellung von 
„Natur" im weiteren und die des Pferdes im 
engeren Sinne gelegen ist. 
3. Die zweite Salzburger Gruppe Pauli Bekeh- 
rung (Abb. 5), St. Peter, stellt eine iüngere Fas- 
sung dieses Themas dar. Bedauerlicherweise 
scheint dieses Werk in keiner der zeitgenössi- 
schen „Stiftsraittungen" oder lnventare auf, so 
daß eine Erwerbung im 19. oder 20. Jahrhun- 
dert zwar nicht völlig auszuschließen, aber den- 
nach wenig wahrscheinlich ist'. Am ehesten 
noch ist eine Erwerbung dieser Pendants unter 
Abt Beda Seeauer anzunehmen. Er, der der bür- 
gerlichen Nebenlinie der Grafen von Seeau 
(Schloß Seeau am Hallstätter See, OÖ) ent- 
stammte, hat die Verbindung mit seiner Heimat 
stets gepflegt. So lesen wir in seinem Tagebuch 
am 28. Juli 1779:" „Auf besdwehenes Ansuchen 
des H(errn) Salzb(urger) Ambtsmann zu Gmünd- 
ten (am Traunsee) hab ich disen Altar" in das 
neu erbaute Gotteshaus zu lschl in Oberöster- 
reich bestim(m)et, wo noch gar kein Hochaltor 
ist". Nach in diesem Jahre reiste er anläßlich 
einer Abtswahl in Stift Admont durch seine 
Heimat, um die Verwandten zu besuchen. Es ist 
nicht ganz von der Hand zu weisen, daß man 
später, als Dank für den geschenkten Hochaltor, 
diese Gruppen als „Verehrungen" übergab". 
Abt Beda, der die Stiftskirche St. Peter von 1760 
bis 1782 im Sinne des Spätbarock und Rokoko 
hatte ausstatten lassen, wobei er den damals in 
Salzburg vorherrschenden Frühklassizismus Ha- 
genauerischer Prägung kaum beachtete, konnte 
der Adressat dieser zierlichen Gruppen sein, 
wobei man wohl eine Einflußnahme des Abtes 
als „Auftraggeber" wird ausschließen müssen. 
Auf einer dunkelbraun politierten, reich ge- 
schwungenen Platte (Länge 53 cm, Breite min. 
17 cm, max. 26,9 cm), die auf fünf blütenförmi- 
gen Füßchen ruht, sind zwei gestürzte Reiter mit 
ihren Pferden sowie, im Strahlenkranz schwe- 
bend, die Halbfigur Christi mit Kreuz und Blitz- 
bündel dargestellt. Während die Figur des rück- 
lings am Boden liegenden hl. Paulus, mit Muskel- 
panzer, Mantel und Stulpenstiefeln bekleidet, 
ienem der Gruppe im Dommuseum weitgehend 
entspricht - diese Entsprechung trifft auch auf 
die Halbfigur Christi zu -, wurde anstelle der 
Versatzstücke, die Natur und Landschaft mor- 
kieren sollten, ein zweiter Reiter eingefügt. Da- 
imit nähert sich Johann Georg wieder stärker 
der Textvorlage, die von Begleitern spricht, und 
dem „Linzer" Relief. Hier wie dort tritt stärker 
eine V-färmige Komposition der „irdischen" 
Gruppen in den Vordergrund. Auch die Ähnlich- 
keit der beiden Pauluspferde, mit Felldecke und 
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fliegender Mähne dargestellt, ist evident, indes 
die zweite Reiter-Pferd-Gruppe die seitenver- 
kehrte Paraphrase einer Paulusdarstellung zu 
sein scheint, die als barodces Andachtsbild noch 
vor der Jahrhundertmitte entstanden ist. (Die 
Abb. 6 zeigt bewußt eine seitenverkehrte Repro- 
duktion.) Das bockende, mit den Hinterhänden 
weit ausschlagende Pferd vereint eine derart 
verblüffende Naturbeobachtung (Detailverismen) 
mit einer vom Klassizismus geforderten Stilisie- 
rung, wie sie von den Tiergruppen Johann 
Georgs her bekannt sind "l. Diese Gruppe in St. 
Peter ist nicht nur, weil sie auf Staffage, um 
Landschaft anzudeuten, verzichtet, nach iener im 
Dommuseum anzusetzen, wobei dies im Sinne 
einer inneren Entwicklung zu verstehen ist. 
4. Das „Linzer" Relief Bekehrung des hl. Huber- 
tus (Eustachius) (Abb. 2) ist laut Signatur „1779" 
entstanden. Daß es trotz der Differenz von zwei 
Jahren zum Paulusrelief als echtes Pendant ent- 
standen ist, bezweifelten weder Gustav Guggen- 
bauer noch Hermann Ubell'. lm Gegensatz zu 
der tumultartigen Szene der Paulusbekehrung 
vollzieht sich die Bekehrung des hl. Hubertus 
(der ikonographische Unterschied zur Bekehrung 
des hl. Eustachius fällt kaum ins Gewicht) in der 
Stille. Unter Laubbäumen, deren Geäst die obere 
Bildhälfte füllt, erscheint dem in die Knie gesun- 
kenen leidenschaftlichen Jäger zwischen dem 
Geweih eines prachtvollen Zwölfenders das 
Kreuz Christi. Das an einem Baum angehalfterte 
Pferd wendet seinen Blick dem Hirsch zu, wäh- 
rend die mit einer Leine verbundenen Jagd- 
hunde den Vordergrund markieren. Hubertus, 
durch Degen und Hifthorn als Jäger ausgewie- 
sen, kniet auf einer Bodenschwelle, die zum 
Wald hin ansteigt. Diese Darstellung entspricht 
weitgehend einem ikonographischen Typus, der 
durch niederländische Tafelbilder (Meister des 
Marienlebens") formuliert, durch A. Dürer" tra- 
diiert und durch Augsburger Stecher des Barock 
unserem Meister bekanntgeworden sein mußte 
(Abb. 7). 
5. Die Salzburger Gruppe der Hubertusbekeh- 
rung, Dommuseum (Abb. 8), bildet aufgrund der 
gleichen Gestimmtheit den stärksten stilistischen 
Zusammenhang mit dem „Linzer" Relief von 
„1779", so daß man es sich bald danach ent- 
standen wird vorstellen müssen. (Sogar ein völlig 
identisches Motiv, wie das zur Hälfte in ein 
Baumloch gekrochenes Eichhörnchen, tritt zu- 
tage.) Wie bei dem Pendant der Salzburger 
Paulusbekehrung sind die Einzelfiguren und Ver- 
satzstücke auf einer Basisplatte eingezapft (Länge 
52,3 cm, Breite min. 16,6 cm, max. 23,3 cm; 
max. Höhe 34,5 cm) und mit Ausnahme des ab- 
hebbaren hl. Hubertus fest verleimt. Kleine Be- 
sd1ädigungen finden sich am Geweih und der 
Kleidung des Heiligen, sonst ist die Gruppe sehr 
gut erhalten. Die Arbeit aus Lindenholz ist 
weißlich überfaßt, wobei nur die Augen der 
Figuren und das Eichhörnchen in den natürlichen 
Farben erscheinen. Mit Rücksicht auf das Pen- 
dant ist die Szene verkehrt worden, wodurch im 
Gegensatz zum „Linzer" Relief der Hirsch eine 
Bewegung einleitet, die im passiven Sinn zum 
knienden Heiligen führt. So entsteht im Bild 
eine Stille, die vorn Künstler zu lyrischer Ge- 
stimmtheit ausgewertet wird. Aus hohlen Baum- 
ruinen blicken Fuchs und Käuzchen zu, der Hund 
verhofft, Eidechsen, ein Vogel und sogar eine 
Gemse verharren reglos; es ist der Zauber eines 
Märchenwaldes. Ein Vergleich mit einem zeit- 
genössischen Augsburger Andachtsbild des hl. 
Eustachius mag beweisen, daß Johann Georg 
Details, wie die gedrungenen Baumruinen mit 
den an Eichenlaub erinnernden Blättern sowie 
die Gemse auf dem Felsgipfel solchen Vorlagen 
entnommen hat (Abb. 7). 
6. Die andere Salzburger Gruppe der Hubertus- 
bekehrung (Abb. 9), St. Peter, die hier erstmals 
publiziert wird, weist die vorhin beschriebene 
Gestimmtheit der Gruppe des Dommuseums 
nicht mehr auf. Wie ihr Pendant ist sie auf einer 
dunkel politierten, reich geschweiften Holzplatte 
mit Füßchen (Länge 33,5 cm, Breite max. 27,3 cm, 
min. 18 cm; Höhe 37 cm] montiert, Alle Figuren, 
aus Lindenholz geschnitzt, sind naturfarben. 
Zaumzeug und Steigbügel bestehen aus Leder- 
riemchen und Blech. Durch den Verzicht auf 
iene Versatzstüdre, die die Waldlandschaft mar- 
kieren - davon blieb lediglich eine Baumruine 
im Hintergrund erhalten -, durch das Hinzufü- 
gen eines Pferdes und dreier Hunde und durch 
die Kompositionsweise, die diese relativ großen 
Figuren in einer Ebene einander gegenüber- 
stellt, entstand, im Gegensatz zur Paulusbekeh- 
rung von St. Peter, eine weitgehende Neuinter- 
pretotion des Themas. Nicht das Erscheinen des 
Gekreuzigten im (lädierten) Geweih, und nicht 
die zauberische Stimmung der Dommuseums- 
gruppe, sondern eher der kurze Moment einer 
erzwungenen Rast, wenn der Jäger sein Halali 
geblasen hat, ist hier intoniert. Darauf deuten 
die starke Betonung der Tierleiber und ihre na- 
türlichen bis ins veristische Detail nachgezeichne- 
ten charakteristischen Bewegungen hin". Gerade 
diese Tiere sind es, die formal und stilistisch mit 
den bekannten, für Johann Georg Schwonthaler 
in Anspruch genommenen Tierhatzgruppen über- 
einstimmen. 
Es ist - stilgeschichtlich gesehen - eine Spät- 
zeit, die solche Kabinettstücke schafft, deren 
Typus seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar ist. 
Anstelle der kostbaren Materialien (Edelmetalle, 
Elfenbein, Halbedelsteine), wodurch die Arbeiten 
eines B. Cellini und M. Steindl unter der Kate- 
gorie „Kunsthandwerk" und „angewandte Kunst" 
subsummiert wurden, tritt bei Johann Georg 
Schwonthaler Holz (bzw. Ton), der angestammte 
Werkstoff des alpenländischen Barock. Es war 
eine neue gesellschaftliche Schicht, für die solche 
Kabinettstücke geschaffen wurden, der Beamten- 
adel, das im späten 18. Jahrhundert zu größerer 
kultureller Bedeutung gekommene Bürgertum und 
die Geistlichkeit, die von den Söhnen der eben 
genannten Stände genommen wurde. Wenn die 
Porzellanmonufakturen" des adeligen Europas 
nach den Stichen Riedingers (1718-1765) ihre 
zauberhaften Gruppen um die Jahrhundertmitte 
geschaffen haben, so ist dies grundsätzlich kein 
anderer Vorgang als bei Johann Georg Schwan- 
thaler. Nur die Tonlage hat sich geändert. 
Anmerkungen 8-17 
' Schwonthaler-Katalog a. a. O., Nr. 237, Abb. 68. 
'Die Sommeltätigkeit des Abtes Albert Nagnzaun er- 
streckte sidi auf Mineralien, Vögel, Hölzer etc., die des 
Abtes Albert Eder auf nazarenische und mittelalterliche 
Kunst. Abt Romuald Homer sammelte überhau t nichts 
Einschlägiges, und der bekannte Herausgeber es Salz- 
burger _Urkundenbuches AbtHWillibald Hauthaler war 
w iißiilveäifhrsiindfilx'Q9333? '"'"ess""" 
"Gemeint ist der ehem. Hochaltor von St. Peter von 
n. Woldburger. _ 
" Die Kirchenrechnungen der ab 1770 durch Maria Theresia 
ggstiftäten lFsd1ler Jflilffälfdle Sgeben "kleineln Bßhiäfsiittä? 
ü er iese rage. g. ranz tiiger rsg., a s . 
Ein Heimatbudl . . . zur SUU-Jahr-Feier der Markterhebung. 
A Linz W66. 
"EGs ist hinslänglich bikagnt, daß Jshalnn Gheorg für diese 
ru en tidie von ie inger zur orage atte. 
"V LpPThieme-Becker, Künstlerlexikan, Bd. 37, 219, 220, 
H . Eustachius, London. 
"(RgL Albsrieäht lgürälnNDalswäesamle graphische Werk ll. 
agner ern a1 r. . 
" Vgl. Katalog Schwonthaler a. a. O., Nr. 238-246. Die 
Tiere sind aufgrund der originalen Zopflöcher richtig 
aufgestellt. Leider ist der stehende Hund im Vorder- 
grund dn den Laufen ergänzt worden. Der liegende 
zlundkrimlklifnterlgränd (aufmdeml Spie verdeckt) hat 
en rmerdu e e emurn s. zu e en. 
"Zwischen 1741- 7M schuf z. B. J. J. Kändler eine viel- 
figurige Bekehrung des hl. Hubertus, Dresden. 
f] Unser Autor: 
Dr. Adolf Hahnl, Kunsthistoriker 
A-SOlO Salzburg, Postfach 113
	        
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