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53-2
die durch die Phase des Jugendstils gingen,
machten auch nur in einigen Fällen den Ver-
such, das soziale Problem zu lösen. Die Mehr-
zahl von ihnen huldigte ziemlich unverhohlen
prä- und kryptofaschistischem Gedankengut".
Einige traten freilich auch den Weg zum „ex-
pressionistischen Schrei" an, zum Aktivismus und
zu der Utopie, daß nach der reinigenden Kriegs-
katastrophe der „neue Mensch" in neuer Umwelt
den idealen Staat aufbauen werde. (Die meisten
dieser Idealisten mußten schon zu Beginn des
„Reinigungsprozesses" ihr Leben lassen.)
Innerhalb der englischen Jugenstilbewegung
war William Morris (1834-1896) wohl der ein-
flußreichste Vorkämpfer für die neuen Ideen. Als
Sohn sehr reicher Eltern verbrachte er eine sorg-
lose Jugend, um sich dann plötzlich mit allern
Nachdruck für seine Vorstellungen einzusetzen.
Er sah in der englischen lndustriewirtschaft, die
sich auf die schlechten Grundlagen des Kapita-
lismus stützte, als überzeugter Sozialist die Wur-
zel allen Übels. Den allgemeinen Verfall der
Menschenwürde und der Formen suchte er durch
das gediegene Kunsthandwerk zu bremsen. Den
Arbeiter wollte er aius dem Elend ziehen und ihm
eine neue und schöne Umwelt sichern. Morris
strebte eine „Einheit von Kunst und Leben" an.
Ihm schwebte dabei das von ihm idealisierte
mittelalterliche Zunftwesen vor. So sah er in der
gotischen Kathedrale das „Symbol für die Zu-
sammenarbeit aller Künstler als Handwerks-
leute"". Seiner Vorstellung nach muß Kunst
„vom Volk gemacht sein, für das Volk, als eine
Beglückung für den Hersteller und den Nutz-
nießerlz".
Morris selbst stellte das überzeugendste Beispiel
für diese Gesamtheit der Künste dar: er war
Schriftsteller und Dichter, Maler und Designer,
bildete einen festen Mittelpunkt für Schüler und
54
Trabanten, schuf Holzschnitte, Zierleisten, Initia-
len, Illustrationen und Bucheinbände für seine
Bücher und verkaufte auch eigenhändig alle
Stücke, die in seinen Werkstätten hergestellt
worden waren (Möbel, Gebrauchstextilien, Tape-
ten und Bildteppiche). Die Gestaltung der Wohn-
räume war sein höchstes Anliegen. Sie sollten
„eine Gemeinschaft von Menschen beherbergen
können, ohne daß der Sinn ihres Zusammenseins
von Äußerlichkeiten gestört wird I3".
Es ist nicht verwunderlich, daß Morris mit diesem
Idealismus - der weniger tragisch als kurzsichtig
zu nennen ist - Schiffbruch erlitt. Die Vielzahl
seiner künstlerischen Anregungen und Ideen
wirkte zwar ausgesprochen befruchtend, seine
sozial-utopischen Gedanken hingegen blieben
restlos unverwirklicht. Eine derartig teure Her-
stellung der verschiedensten Kostbarkeiten - al-
les von Fachleuten und Künstlern handgefertigt
- mußte zu astronomischen Verkaufspreisen füh-
ren. Es handelte sich fast ausnahmslos um Einzel-
stücke, Einmaligkeiten, „Modelle". Der „schlichte"
Gebrauchsgegenstand war für den Arbeiter un-
erschwinglich. Nur die ganz wenigen Superrei-
chen und Snobs konnten diese exquisiten Pretia-
sen bezahlen. Kostbarste Exklusivität und erle-
senster Luxus blieben notwendigerweise dem
Volk unzugänglich und damit auch suspekt.
Aber die Industrie - und damit war Morris' Idee
pervertiert - sah die Lücke. Man stellte einfache
und billige Formen, Verzierungen und Gegen-
stände massenhaft her, die dem lenkbaren Durch-
schnittsgeschmack den Schein der Vornehmheit
vorgaukelten und auch im tristesten Hinterhaus-
zimmer als geschmacklose Kitschraritöten der Fa-
milie blühten. Kurzfristig konnten sich die dritte
und vierte Künstlergarnitur vor Aufträgen kaum
retten. Dann regierte ausnahmslos das Fließ-
band; der Kitsch feierte Hochkoniunktur. Das
8 Arthur H. Mackmurdo, Titelseite zu: W
City Churches, 1883
9 Edward Burne - Jones, „The well at the W(
end". Buchgestaltung W. Morris, Illustration
E. BurnchJones. 1896
11 Aubrey Beardsley, Doppelseite aus; Thc
Malary, Le Morte D'Arthur. 1893194
12 Aubrey Beardsley, The Climax. Aus
Wilde „Salome". 1894
13 Aubrey Beardsley, The Stomach Dance.
Oscar Wilde „Salome". 1894
Anmerkungen 10-13
"I Vgl. hierzu: HamannlHermand, Stilkunst, a. a. o.
" 1l'7lafstütter, Gesch. d. eurap. Jugendstilmalerei, a. t
cßuzn. SUNNYSIDE ganemvrou . xswr.