Hans Koepf
Zur Frage der Urheber-
schaft der 96 angeblichen
„Pilgram-Risse" der
Wiener Sammlungen
dargestellt an den Zeichnungen
des Orgelfußes im Stephansdom
und der Meisenheimer Gruppe
Bruno Grimschitz hat in der Publikation „Die
Risse von Anton Pilgram" (' Wiener Jahrbuch
für Kunstgeschichte, Bd. XV [XIX], 1953) von den
insgesamt 287 Planrissen der Wiener Sammlun-
gen (1 Hans Koepf, Die gotischen Planrisse der
Wiener Sammlungen, 1969) nicht weniger als 96
Risse Pilgram zugeschrieben (3 Die Numerie-
rung der Risse nach Hans Koepf, Die gotischen
Planrisse . . ., a. a. O.). Verglichen mit der relativ
kurzen Zeitspanne, in der Pilgram in Wien nach-
weisbar ist (t Karl Oettinger, Anton Pilgram
und die Bildhauer von St. Stephan, 1951), ist die
Größenordnung dieses Planschatzes schon von
vornherein sehr problematisch.
Ohne die großen Verdienste von Bruno Grim-
schitz um die Wiener Planrißforschung im ge-
ringsten schmälern zu wollen, muß doch einmal
grundsätzlich dessen Methodik der Zuschreibun-
gen kritisch untersucht werden. Man kann mittel-
alterliche Planrisse einem Meister zuschreiben,
falls das dargestellte Objekt sicher auf diesen
zurückgeht und falls es sich bei der Zeichnung
um eine Entwurfs- oder Werkzeichnung handelt,
der die Ausführung zugrunde liegt. Viel schwie-
riger ist die Zuschreibung nach rein stilistischen
Kriterien, da eine Bauzeichnung nicht immer die-
selben unverwechselbaren ldiame wie ein Werk
der darstellenden Kunst besitzt.
Ebenso schwierig ist es übrigens, nur nach einem
persönlichen „Zeichenstil" eine Zuschreibung vor-
zunehmen, da hierzu sehr viel Übung und vor
allem auch ein nicht geringes technisches Ver-
ständnis gehören. Die technische Zeichnung ist
im 13. und 14. Jahrhundert meist nur wenig
individuell artikuliert, beginnt aber bereits in der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Symptome
zu zeigen, die den ldiomen einer Handschrift
ähnlich sind. Bei der Zuschreibung eines Plan-
risses an einen bestimmten Zeichner müssen also
immer wiederkehrende unverwechselbare ldiome
erkennbar sein, die eine Verwechslung mit ande-
ren zeitgenössischen Plonfertigern unmöglich
machen.
Grimschitz hat nun bei der Herausarbeitung des
zeichnerischen Werkes von Anton Pilgram auf
stilistische oder zeichentechnische Kriterien ge-
achtet, wobei sich der stilistische Befund nicht
immer mit dem zeichentechnischen deckte, ob-
wohl eine kritische Untersuchung natürlich eine
Methodik gefordert hätte, bei der sich die bei-
den Kriterien wechselseitig gestützt hätten.
Bei dieser Methodik konnte es nicht ausbleiben,
daß Grimschitz den Riß Nr. 119, den er in einer
kurz zuvor veröffentlichten Untersuchung über
den Wiener Dombaumeister Buchsbaum (5 Bru-
no Grimschitz, Hanns Puchspaum, 1947) bereits
letzterem zugeschrieben hatte, einige Jahre spä-
ter auch nach als Pilgram-Riß identifizierte. Man
kann dies vielleicht als Nachlässigkeit oder gar
als eine Verwechslung entschuldigen. Daß aber
die ganze Methode seiner Zuschreibungen nicht
stimmen kann, beweisen die beiden Risse Nr. 110
und Nr. 180. Grimschitz schreibt den Riß Nr. 180
nur auf Grund der Zeichentechnik Pilgram zu,
während er den Riß Nr. 110 als „Reinzeichnung"
des Risses Nr. 180 bezeichnet. Seitdem der Ver-
fasser dieses Beitrages 1961 nachweisen konnte,
daß es sich bei dem Riß Nr. 110 um einen
Grundriß des von Hans Buchsbaum im Jahre
1452 errichteten Langhauses des Preßburger Do-
mes handelt, ist nun aber die Sachlage genau
umgekehrt: Riß Nr. 110, der sich übrigens naht-
los in das von Grimschitz selbst erarbeitete
zeichnerische Werk des Hans Buchsbaum ein-
fügen lößt und der auch auf Grund der Zeichen-
technik um 1450 entstanden sein muß, ist die
Ausgangsbasis für die Kopie Nr. 180 gewesen,
die zeichentechnisch wieder auf die Zeit um
1500 hinweist.
Daß die oben skizzierte „Gegenprobe" in die-
sem Falle dringend notwendig gewesen wäre,
beweist gerade dieser Fall. Hätte Grimschitz den
Riß Nr. 110 nach stilistischen Kriterien überprüft,
so hätte er sofort bemerken müssen, daß der
hier gezeigte Grundriß - ebenso wie die von
Buchsbaum stammenden Grundrisse des Long-
hauses des Stephansdomes und des Steyrer
Chors - ganz typisch für das Jahrzehnt zwischen
1440 und 1450 ist. Hätte er aber umgekehrt den
Riß Nr. 110 nach zeichentechnischen ldiomen
untersucht, so hätte er ebenso bemerken müssen,
daß diese in die Zeit um 1450 (und nicht um
1500!) weisen.
Grimschitz ist hier an der gefährlichen Klippe
der (späteren!) Kopien bzw. der Planbearbei-
tungen älterer Planrisse gescheitert. Daß auch
andere Zuschreibungen, die Grimschitz vorge-
nommen hat, schon aus rein zeitlichen Gründen
nicht stimmen können, wurde bereits an anderer
Stelle bewiesen (6 Hans Koepf, Forschungen zur
Frage der Urheberschaft der Wiener Planrisse,
Erlonger Forschungen, Reihe A, Bd.20,1967).
Eine Überprüfung weiterer Fehlerquellen ist an
dieser Stelle deshalb nicht zielführend, weil in
der vorliegenden Untersuchung bereits die Aus-
gangsbasis der von Grimschitz erarbeiteten Pil-
gram-Konstruktion in Frage gestellt wird. Die
Hypothese von Grimschitz basiert auf der An-
nahme, daß die Risse der tatsächlich auf Pilgram
zurückgehenden Werke, Kanzel und Orgelfuß
im Wiener Stephansdom, auch von der Hand
Anton Pilgrams stammen müssen: Eine auf den
ersten Blick durchaus plausible Arbeitshypothese!
Es handelt sich dabei um die Wiener Planrisse
Nr. 40 (Grundriß, Schnitt und Abwicklung der
Kanzeltreppe im Wiener Stephansdom) und die
Risse Nr. 41 und Nr. 170 mit einem Grundriß
des ebenfalls auf Pilgram zurückgehenden Wie-
ner Orgelfußes. Von größter Wichtigkeit ist
auch der Planriß des Wiener Orgelfußes im
Ulmer Stadtarchiv (lnv.-Nr. 29, dort als „Fuß
einer Monstranz" bezeichnetl).
Die Annahme, daß es sich bei den oben erwähn-
ten Rissen um Pilgram-Risse handle, ist dann
richtig, wenn man mit Sicherheit nachweisen
kann, daß es sich bei diesen Blättern entweder
um Entwürfe oder aber um Ausführungszeich-
nungen (Baupläne!) handelt. Sollte es sich hin-
gegen um Bauaufnahmen, (spätere) „Planbear-
beitungen" oder gar um „Lehrstücke" (Schüler-
zeichnungen) handeln, so können derartige
Zeichnungen natürlich nicht auf den ausführen-
den Meister zurückgehen. Daß es sich bei den
drei „Pilgram-Blättern" der Wiener Sammlungen
ebenso wie bei dem Ulmer Riß nicht um Ent-
wurfs- bzw. Bauzeichnungen handeln kann, wur-
de bereits früher ausgeführt (7 Hans Koepf,
Die gotischen Planrisse . . ., a. a. O., Hans Koepf,
Forschungen zur Frage der Urheberschaft... a.
a. O.). Zusammenfassend kann man sagen, daß
es sich dabei teils um Blätter eines Architektur-
theoretikers (LehrmeistersZL teils um „Lehrstücke"
von Schülern handelt.
Die Evidenz zeigt zudem deutlich, daß die Risse
Nr. 170 auf der einen und Nr. 40 und 41 auf der
anderen Seite von sehr unterschiedlicher Art
sind, wobei schon bei oberflächlicher Betrach-
tung klar sein dürfte, daß die Risse Nr. 40 und
Nr. 41, die zudem noch dasselbe Wasserzei-
chen 54 (' vergl. Hans Koepf, Die gotischen
Planrisse..., o. a. O.) tragen, auf denselben
Zeichner zurückgehen. Eine genaue Zuordnung
dieser beiden Zeichnungen ist allerdings nur bei
einer genauen Kenntnis des gesamten Planbe-
standes der Wiener Planrisse möglich.
Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Zu-
sammenhang die große Zahl von „Lehrstücken"
der Gesellen und Meisteranwärter, die ie nach
Begabung und Ausbildungsstand des betreffen-
den Zeichners vorn hilflosen Versuch bis zur
völligen Perfektion reichen.Typische „Lehrstücke"
sind u. a. die Zeichnungen einer Wendelstiege
Nr. 129R, Nr. 138, Nr. 195 und Nr. 279 (' vergl.
Hans Koepf, Die gotischen Planrisse, a. a. O.,
Abb. 314, 330, 387 und 466). Auf dem Riß Nr. 195
sieht man zudem noch die Schraffurtechnik, die
für Wiener „Lehrstücke" ganz bezeichnend ist.
Durch diese Schraffur sollten vorspringende Rip-
pen und Stufen, aber auch vertiefte Hohlkehlen
und ähnliche Baudetails „optisch" deutlicher her-
vorgehoben werden, wie dies eigentlich bei den
klaren gotischen Bauzeichnungen sonst nicht üb-
lich ist. (m Einige graphisch besonders delikate
Meisterwerke 'der Zeit nach 1450 verwenden
diese Schraffur in differenziertester Form zur
Hervorhebung von Gesimsen, so etwa der so-
genannte Wiener Rathausplan, Riß Nr. 21. Nicht
mehr in die Reihe der eigentlichen Planrisse,
sondern eher zur Gruppe der graphischen Dar-
stellungen gehört Riß Nr. 14 mit einer Darstel-
lung der Südwand der Eßlinger Frauenkirchel)
Eine gewisse didaktische Komponente kann man
der Schraffur bei „Lehrstücken" allerdings nicht
absprechen, falls die Schüler kein ausgesprochen
räumliches Vorstellungsvermögen zu entwickeln
vermochten.
Mit dem Mittel einer eher hilflos „gekratzten"
Schraffur arbeitet aber auch der Meisterschiiler,
der die Risse Nr. 40 und Nr. 41 gezeichnet hat.
ln dieselbe Reihe gehört auch der Riß Nr. 277
(" vergl. Hans Koepf, Die gotischen Planrisse . . .,
a. a. O., Abb. 452), auf dem man ähnlich wie
bei dem Riß Nr. 40 sogar noch die Bezeichnung
der einzelnen Stufen durch Zahlen finden kann.
(" Dieselbe Stutennumerierung durch Zahlen -
1, 2, 3 und 4 - zeigt auch der Riß Nr. 252.) Auf
dem Riß Nr. 277 ist außerdem noch ein Gewölbe-
grundriß mit Eintragung der Rippenfugen zu
sehen, wie dies auch bei anderen Studienblättern
(u. a. bei den Rissen Nr. 104, Nr. 273, Nr. 276
oder Nr. 288) praktiziert wird.
Nach der Evidenz sind also die beiden „Pilgram-
Risse" Nr. 40 und Nr. 41 „Lehrstücke" eines Mei-
steranwärters, während Riß Nr. 170 das Werk
eines sehr begabten Architekturtheoretikers (oder
Lehrmeisters?) ist, auf den auch noch andere
virtuos gezeichnete und manchmal lovierte Risse
der Wiener Sammlungen zurückgehen (" vergl.
Hans Koepf, Die gotischen Planrisse . . ., a. o. O.,
Teil X Katalog, S. 36 ff.). Auf denselben Zeichner
geht aber ohne Zweifel auch der Riß des Wiener
Orgelfußes im Ulmer Stadtarchiv zurück.
in seinen bereits mehrfach oben genannten Pu-
blikationen hat der Verfasser bereits die ver-
schiedenen Zeichner der von Grimschitz Pilgram
zugeschriebenen Blätter nach einer genaueren
Analyse der Zeichentechnik zu differenzieren
versucht und dabei - neben völlig unbedeuten-
den Schülern - vor allem fünf lndividualitäten
herausgearbeitet, die er P1, P2, P3, P4 und P5
nannte. Während die Risse Nr. 40 und Nr. 41
auf den weniger profilierten Zeichner P5 zurück-
gehen dürften, ist der Zeichner des Risses Nr. 170
und des Ulmer Risses eine sehr interessante und
klar profilierte Persönlichkeit, von der die bedeu-
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