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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 138)

Ausführung dieses völlig einmaligen Gewölbes 
Pilgram persönlich zuzuschreiben, wie dies schon 
versucht wurde. . ." 
Es ist deshalb beinahe grotesk, wenn ein in der 
Planrißforschung noch kaum bekannter Rüdiger 
Becksmann in der sonst renommierten Kunst- 
chronik (u 1972, H. 6) in völliger Unkenntnis der 
tatsächlichen Entwicklung dieser Zusammenhän- 
ge über die Publikation des Verfasser (17 Die 
gotischen Planrisse..., a. a. O.) völlig unquali- 
fizierbare Behauptungen aufstellt (u „Eine be- 
denkliche Mißachtung wissenschaftlicher Auf- 
richtigkeit stellt schließlich die Behandlung der 
erstmals von F. W. Fischer zusammengestellten 
mittelrheinischen Gruppe dar.  Eine beson- 
dere Problematik verbindet sich mit den vier 
Planrissen der Grabkapelle der Meisenheimer 
Schloßkirche... Var ihrer Identifizierung, die 
H. Koepf nun für sich in Anspruch nimmt, waren 
sie von B. Grimschitz Anton Pilgram zugewiesen 
worden . . ."). 
Rüdiger Becksmann dokumentiert seine Unerfah- 
renheit in der Planrißforschung durch die längst 
widerlegte Übernahme der Hypothese, die pfäl- 
zische Gruppe des Wiener Planschatzes sei erst 
zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den 
Wiener Hofsteinmetzen Franz (II) Jäger nach 
Wien gebracht worden. Fischer hat die Tat- 
sache, daß die glanzvolle Maßwerkzeichnung 
der Mainzer Memorienpforte erst im 19. Jahr- 
hundert durch den Hofsteinmetzen Jäger in den 
Besitz der Wiener Akademie gelangte, zu der 
Hypothese ausgeweitet, daß dann auch die 
übrigen pfälzischen Bestände, vor allem die Mei- 
senheimer Gruppe, auf demselben Wege durch 
einen Zwischenträger nach Wien gelangt seien. 
Diese Hypothese ist leicht widerlegbar: 
1 Auf der Rückseite des Risses Nr. 238 befindet 
sich eine Vorzeichnung des Chorpolygans von 
St. Stephan, wie der Verfasser erstmals feststel- 
len konnte. 
2 Die lnventarnummer des Risses mit dem Maß- 
werk der Mainzer Memorie (Akademie 10.931) 
liegt völlig außerhalb des in sich völlig geschlos- 
senen lnventarnummernbündels (Akademie 
16.816-17.094) der Wiener Planrisse, während 
die Meisenheimer Gruppe völlig in dieser Reihe 
integriert ist. 
3 Die Meisenheimer Gruppe trägt den typischen 
Charakter eines „Lehrstückes" Wiener Prägung. 
Gerade bei den Wiener „Lehrstücken" ist aber 
wieder die Methode üblidi, daß einzelne Bau- 
teile aus didaktischen Gründen schraffiert wer- 
den. Dies konnte auch später geschehen, wenn 
ein Meisteranwärter ader ein Lehrmeister seine 
Präzisierungen auf vorhandenen Rissen eintrug. 
4 Das Wasserzeichen 54 des Risses Nr. 238 
gehört zu den häufigsten Wiener Wasserzeichen, 
die auf den Rissen vorkommen. 
Becksmann stockt nun auf eine falsche Hypo- 
these eine noch weit unrichtiger Annahme auf, 
wenn er schreibt: „Der Rez. (" Rezensent Becks- 
mann) hält es daher für wahrscheinlich, daß 
diese von Mißverständnissen nicht freien Zu- 
taten ("o gemeint ist die Schraffurl) von Franz 
Jäger stammen, der in diesem Falle ,verbessernd' 
in den Bestand eingegriffen hat." Die „Idee", 
daß der Sammler Jäger, der den Wert eines 
gotischen Planrisses sehr wohl zu schätzen wuß- 
te, nachträglich -nach in gotischen Originalen 
herumgekratzt haben soll, um diese zu „ver- 
bessern" (genauer gesagt: zu entwerten!), ist so 
absurd, daß sich iede Debatte darüber erübrigt. 
Übrigens ist die eindeutig geklärte Frage der 
Priorität bei der Zuschreibung des Meisenheimer 
Gewölbes ein für die Planrißforschung sekun- 
däres Problem. Wichtiger ist vielmehr, ob die 
Meisenheimer Gruppe auf den Zeidiner Pilgram 
zurückgehe. Die Idee dieser Komposition wäre 
14 
wohl eines Pilgram würdig. Fisdier hat diese 
Frage nicht gelöst, als er von Pilgram wieder 
abrückte und einen durch sonstige große Lei- 
stungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht hervor- 
getretenen Meister Philipp, gen. Hühnermenger, 
ins Spiel bringen wollte. Die Problemstellung 
liegt hier ähnlich wie in Wimpfen, wo Bernhard 
Sparer das interessante Kurvaturengewölbe der 
Stadtkirche zwar gebaut, aber sicher nicht 
entworfen hat und wie in Schorndorf mit seinem 
höchst originellen Kurvaturengewölbe, das im 
Repertoire der „Uracher Meister" ebenfalls nicht 
unterzubringen geht. Über den Planverfasser des 
Meisenheimer Gewölbes können wir also nur 
aussagen, daß er mit Sicherheit nicht zu bestim- 
men geht. Sicher aber wurde das Meisenheimer 
Gewölbe an der Bauhütte von St. Stephan 
eifrig studiert, wie die vier erhaltenen Risse be-. 
weisen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem 
Schor-ndorfer Riß und indirekt auch mit dem 
Wimpfener Kurvaturengewälbe, von dem zwar 
kein Riß in den Wiener Sammlungen existiert. 
Dagegen war die Verbindung eines starren 
Randrippensystems mit Kurvaturen, wie wir sie in 
Wimpfen finden, in der Zeit um 1500 in Wien 
ein Zentralthema der Meisterschüler und Meister- 
anwärter (i" vergl. Hans Koepf, Die gotischen 
Planrisse..., a. a. O., VI Kurvaturen und zwei- 
schichtige Gewölbe, S. 22 ff.). 
Bei den vier Blättern mit dem Gewölbe von 
Meisenheim handelt es sich um einen Lehrgang, 
bei dem ein (oder mehrere?) Meisterschüler den 
überaus schwierigen Versuch wagten, eines der 
kompliziertesten Kurvaturengewölbe mit zwei 
Rippenschichten, das diese(r) noch nie in natura 
gesehen hatten, zeichentechnisch darzustellen. 
Die Zeichnung auf Riß Nr. 147 scheint der erste 
Versuch gewesen zu sein, bei dem schwerpunkt- 
mäßig nur die Kurvaturen der oberen (höhe- 
ren) Schicht mit voller Rippenstärke, aber ohne 
Maßwerk, durchgezeichnet wurden. Den zwei- 
ten Versuch stellt Riß Nr. 253 dar, bei dem 
beide Hähenschichten skizzenmäßig vorgezeich- 
net sind und partiell sogar versucht wurde, die 
Rippenstärke durch drei Striche wiederzugeben. 
Riß Nr. 238 zeigt das vollständig durchgezeich- 
nete Rippensystem ahne Maßwerk, wobei aller- 
dings die beiden Systeme derartig unklar durch- 
einandergeraten sind,wie wir dies bereits bei den 
in verschiedenen Höhen liegenden Durchsteck- 
rippen bei den Orgelfußrippen sehen können. 
Das letzte und am weitesten perfektionierte 
Blatt in dieser Reihe ist der Riß Nr. 68. Zeichen- 
technisch ist dieser Riß insofern aufschlußreidi, 
als das gesamte zweischichtige System als Gan- 
zes in einem Arbeitsgang aufgetragen wurde, 
obwohl es doch sinnvoller gewesen wäre, zu- 
nächst die untere (tieferliegende) und erst da- 
nach die obere (höherliegende) Ebene aufzu- 
zeichnen. Die Folge der gleichzeitigen Auftra- 
gung war eine vollkommene Verwirrung an den 
Knotenpunkten, an denen sich höher- und tiefer- 
liegende Rippen überkreuzen. Dabei kann es 
vorkommen, daß einander genau entsprechende 
(symmetrische) Knotenpunkte durchaus verschie- 
denartig gezeichnet sind. So wird die Tatsache 
verständlich, daß eine Schichtebene durch alter- 
nierende Schwarz-Weiß-Schraffuren besonders 
hervorgehoben und gegen die andere abge- 
grenzt werden sollte. Der Zeichner entschied 
sich dabei aus sehr einleuchtenden Gründen für 
die unter Ebene mit den sich am Auflager 
überkreuzenden Kurvaturen. In der rechten Raute 
zwischen den durdi Kreise markierten Schluß- 
steinsdteiben geriet er dann aber infolge der 
unklaren Zeidinung der Knotenpunkte prompt in 
die beiden Fischblasen der oberen Ebene. So 
war der ganze zeichentechnisch-didaktische Ef- 
fekt gescheitert, weshalb die Zeichnung auch 
aufgegeben werden mußte. Bei der nacl 
chen Präzisierung wurde auch ein Schlußs 
eine bereits schematisch als Kreis beze 
Schlußsteinscheibe als DreipaB ElTtZUlFGQl 
sucht, was aber ziemlich kläglich gescheit 
Dieser Schlußstein mußte dann außerha 
Gewölbefeldes in vierfacher Vergrößeru 
neut richtig dargestellt werden. 
Nach der vorliegenden Analyse gibt uns 
dieser Riß Nr. 68 ziemlich viele Rätsel au 
delt es sich bei ihm um das Schlußei 
einer immer mehr perfektionierten Serie e 
desselben Schülers oder um die beste 
einer Aufgabe durch verschiedene Ze 
Wurde das relativ gutvorgezeichnete Blat 
von einem Lehrmeister (P1?) vorgezeichn 
erst später durch Schraffur und einen mit 
nen Dreipaß „bereichert" und damit verd 
Die spätere Korrektur mit dem größer g 
neten Schlußstein ist aber wieder fast 
ausgefallen und dürfte von derselben 
stammen, die das Grundgeriist des Blatti 
gezeichnet hat. Also keine SchüIer-„Strafc 
sondern eine Meistervorzeichnung! 
Zusammenfassung: 
Nachdem sich der Ausgangspunkt der Ko 
tion des Planzeichners Anton Pilgram 
Nr. 40, Nr. 41 und Nr. 170) als gegenstr 
herausgestellt hat, die Risse Nr. 40 und 
typische Wiener „Lehrstücke" sind, währe 
Nr. 170 fraglos eine Zeichnung des ' 
Theoretikers und Lehrmeisters P1 ist, de 
den in Ulm entdeckten und 1525 datiert 
des Wiener Orgelfußes gezeichnet hat, 
Hypothese von Bruno Grimschitz, daß 91 
des Wiener Planschatzes auf Anton Pilgri 
rückgehen sollen, nicht länger aufrechtzuer 
Ebenso ist die Hypothese von Friedhelr 
helm Fischer, daß eine wichtige Gruppi 
zischer Risse erst durch Vermittlung des i 
Hofsteinmetzen Franz (ll) Jäger im 19. Jc 
dert nach Wien gelangt sein sollte, nacl 
genauen Analyse des Meisenheimer Sekti 
solut unhaltbar geworden. (12 Auch der : 
Vermerk „J'äger" auf der Rückseite des 
menthausrisses Nr. 15 ist kein Gegenbew 
gerade dieses Blatt mit dem in Wien häu 
Wasserzeichen 54 eine Zeichentechnik Ol 
die auch auf anderen Wiener Rissen vorki 
Immer mehr in den Vordergrund schiel 
dagegen die Persönlichkeit des Meisti 
(„Schlaufenmeister" mit Rötelkorrekturen 
ohne Zweifel ein Gelenk zu der in Wi 
berg arbeitenden pfälzischen Gruppe 
Eine direkte Querverbindung des Meist 
zur Pfalz ist hingegen nicht feststellbar 
wenn er in Wien vielleicht die Meisen 
Risse durch Schüler bearbeiten ließ. Diese 
ster P1 ist aber ohne Zweifel der fü 
Architekturthearetiker Wiens in der Z4 
1520. In welcher Beziehung er zu Anton F 
stand, ist heute noch völlig ungeklärt. ( 
die Aufhellung dieser Frage ist nach de 
liegenden neuen Erkenntnissen zu eine 
wichtigsten Anliegen für die künftige Far 
geworden. 
Es ist das große Verdienst von Bruno Grin 
den Bestand der Wiener Planrisse aus d 
um 1500 erstmals publiziert und beschriel 
haben, wobei retrospeiktiv der Name F 
nur den Kristallisationskern abgab. Ohne 
Pionierarbeit wären die vorliegenden PI 
rungen und Klarstellungen unmöglich ge 
III Unser Autor: 
o. Prof. Dr.-Ing. Oberbaurat a. D. Hans Kt 
Vorstand des Instituts für Baukunst und 
Bauaufnahmen der Technischen Hochschuli 
A-1040 Wien, Karlsplatz 13
	        
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