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VER SACi/jjf 
bedient sich anderer technischer Mittel. So unterscheidet 
es gewöhnlich nur die Technik, „die Mache“ Grund 
genug, ihm keinen zu grossen objectiven Wert beizumessen. 
Was der Künstler in langjähriger Praxis kennen lernt, 
ist nicht eigentlich die Kunst, sondern seine Kunst, eine durch 
Anlagen bestimmte und modificierte Farben-und Formen 
anschauung, die eine gewisse 
Einseitigkeit im Gefolge hat. 
Und zwar je stärker die Ei 
genart, desto grösser in der 
Regel die Einseitigkeit. Das 
kann man immer wieder be 
obachten. Zum starken 
schöpferischen Wirken ge 
hört sogar ein entschiedenes 
Dominieren ausgesprochen 
einseitiger Empfindung. Das 
Verkehrteste, was man thun 
kann, ist, einenKünstler über 
einen anderen zu befragen, 
dessen Individualität ihm 
fremd ist. Eine Grundver 
schiedenheit der Tempera 
mente schliesst unb efange 
nes kritischesUrtheilen in der 
Kunst von vornherein so gut 
wie aus.Sogar dieT echnik ist 
der unmittelbare Ausdruck 
des Temperaments (wie Lenbach richtig betont hat) und 
gehört untrennbar zum esen des jeweiligen künstlerischen 
Naturells. „ , 
Steht im ganzen die schöpferische Thätigkeit der 
kritischen im Wege, so schliesst das nicht aus, dass trotz 
dem ein Künstler, wo es ihm zufällig „liegt“, den Nagel 
auch einmal auf den Kopf trifft! Und wo ausnahmsweise in 
einem tüchtigen Künstler eine kritische Beanlagung zugleich 
vorhanden, da dürfen wir sie doppelt freudig begrüssen, 
denn der Kritiker kann sich dann vom Künstler das Auge 
borgen! Ist doch das „sehen lernen“ eine nothwendige 
Vorübung zur Befähigung gerechter Kritik. Sie erfordert 
ein gewisses Mass technischen Verständnisses und schliesst 
dennoch gerade den erfahrensten Techniker, den Künstler 
selber, aus, weil ihm in den meisten Fällen seine Subjecti- 
vität im Wege steht. Dieses Dilemma vermag bis zu einem 
gewissen Grade die trübseligen Zustände zu erklären, in 
denen sich unsere Kunstkritik im allgemeinen befindet. 
Dass hierunter nur die aufrichtige, ernste Kritik gemeint 
ist, versteht sich von selbst. Die Leichtfertigkeit und rührende 
Verständnislosigkeit, die auf gewissen Gebieten der Bericht 
erstattung herrscht, darf mit Fug und Recht aus dieser Be 
trachtung ausgeschlossen werden. Man thäte ihr zu vielEhre 
an, wollte man sie ernst nehmen. 
Bei Kritikern, die aus Fachkünstlern hervorgegangen 
sind, verliert sich manchmal die gefährliche Einseitigkeit, 
weil ihre ganze Thätigkeit allmählich aus einer productiven 
(künstlerischen) in eine receptive (kritische) übergeht. Bei 
dem schaffenden Künstler kommt es in erster Linie aber 
nicht auf die umfassenden und allseitig durchgebildeten 
geistigen Anlagen, kurz gesagt, auf die „Bildung“ an, als 
vielmehr auf die Intensität 
seines ursprünglichen Em 
pfindens und die Macht zur 
Wiedergabe desselben. 
Der Kritiker bedarf da 
gegen der Bildung in um so 
höherem Grade, als ihm, bei 
gleichgrosser Empfänglich 
keit für Natur- und Kunst 
eindrücke, leicht die Unpar 
teilichkeit und Weite des 
Blickes, die geistige Über 
sicht verloren gehen kann. 
Diese grundlegende Bil 
dung besitzt der Kunsthisto 
riker. 
Sollen unsere Kunstge 
lehrten die Kritik überneh 
men? 
Im ersten Augenblick 
scheinen sie dazu berufen, 
wie wenig andere. Mit dem 
Verständnis für das Geschichtliche in der Kunst kann man 
die Culturentfaltung von Jahrhunderten mit einem Blicke 
überschauen und ihre mannigfachen Ausstrahlungen in 
einem Brennpunkt zusammenfassen. Aus der Vergangen 
heit gewinnt der Historiker den sicheren Masstab für per 
sönliche Grösse, wie für Stammesechtheit, die beiden Pole, 
um deren Achse sich die Culturgeschichte aller Völker, das 
tiefste Geheimnis der Kunstpsychologie dreht. Aber das 
Urtheil der Kunstgeschichte gründet sich im wesentlichen 
auf die durch sorgfältige Analyse festzustellenden Bedin 
gungen, unter denen ein Kunstwerk entstanden ist. Ihr 
eigentlicher Masstab ist weder ein rein kritischer, noch ein 
rein künstlerischer, sondern sie sucht culturell interessante 
und bedeutungsvolle Thatsachen zu ermitteln. 
Dann kommt für den Kunsthistoriker noch ein un 
günstiger Moment hinzu. Wer sich nämlich ganz in den 
Geist längstvergangener Epochen hineinlebt, an dem glei 
tet oft das wirkliche Leben, dessen Zeitgenosse er ist, unbe 
merkt vorüber! Die stete Beschäftigung mit der Vergangen 
heit mindert allmählich die Empfänglichkeit für die Gegen 
wart; gehört doch jedesmal ein kräftiger „Ruck“ dazu, 
sich aus einer Zeit in eine ganz andere zu versetzen und mit 
klammernden Organen in sie einzudringen. Während du 
allerlei Urväter Hausrath ausgräbst oder in Museen nach 
Meistersivnaturen und alten Handschriften suchst, vollzieht 
Studie v. Max 
Liebermann. 
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l( Ver sacrum. sich draussen im Freien eine Wiedergeburt und du siehst sie nicht, begreifst sie nicht!Du studierst vielleicht gerade die Renaissance und nimmst an der lebendigen Renaissance der Gegenwart, an der du mitzuwirken berufen, keinen Antheil. Und sie nicht an dir. Es gibt Kunstgelehrte, welche genau Tag und Stunde angeben können, wo Meister Rembrandt die letzten Ab züge einer Radierung von seinesVatersWindmühle gemacht hat. Und doch haben sich solche Kenner durch plumpe Fäl schungen unerhört täuschen lassen. Davon haben wir die heitersten Beispiele erlebt. Es wird deswegen niemandem einfallen, ihre Freude an der „reinen“ Wissenschaft und ihre Verdienste um dieselbe schmälern zu wollen. Nur lehrt die Erfahrung, dass mit dem „Kennen“ nicht allemal das Erkennen verbunden ist! Tritt solche merkwürdige Rathlosigkeit in Fragen des eigentlichen Kunstwertes und der Echtheit alter Kunst werke häufig zutage, so ist das noch in erhöhtem Masse gegenüber modernenWerken der Fall. Man verhält sich im ganzen ziemlich ablehnend gegen dieselben und sucht ihnen mit vorgefassten Urtheilen oder gar aus alter Gewohnheit mit abgeleiteten „Kunstregeln“ beizukommen. Zum Glück gibt es keine feststehenden Regeln über Kunst. Das Ge heimnis der Kunst und ihre wunderbare Wirkung auf den Menschen liegt nicht zum geringsten Theil in ihrem steten Wechsel, ihrer Unbeweisbarkeit, ihren unaufhörlichen Wandlungen, die so oft als Widersprüche erscheinen, in Wahrheit aber nur natürliche, nothwendige und wohlthu- ende Gegensätze sind. Und nur darum kennt sie keine Wiederholungen, weil nicht irgend eine äusserlich wahr nehmbare mechanische Gesetzmässigkeit, eine willkürliche ästhetische Theorie, sondern der unerforschliche Wesens-
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