I Lüthi
erpretationen zu
tiler Kunst
Österreichische Kulturzentrum Österreichhaus veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Smithsonian
vtlon, Washington, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst und
undesministeriums für auswärtige Angelegenheiten eine Ausstellung textiler Kunst aus Österreich.
soll im Laufe von zwei Jahren in verschiedenen Zentren der USA, beginnend in Washington,
7t werden. Die Ausstellung enthält Exponate von Llnda Christanell, Beatrix Kaser, Helen Knapp,
Moasmann, Marga Persson-Petraschek, Maria Flachky, llll. T. Praschak, Fritz Riedl, Edda Seid!-
', Jutta Waloschets, Moniea Zell. - Aus Anlaß dieserAusstellung sind die folgenden Interpretationen
rnden.
lda Seidl-Reiter, Erste Liebe, 1971. Wolle,
lBXTÄZ cm
Drei Schwerpunkte, die vielleicht zugleich als
Schritte in einer zeitlich-epochalen Abfolge heu-
tigen Kunstschaffens deutbar sind, bestimmen
die zeitgenössische textile Kunst. Erstens werden
Traditionen des Teppichwebens und der Tapisse-
rien aufgenommen und erneuert, wobei eine
Wegwendung vom Bild als Abbild und eine Zu-
wendung zur Verdichtung und zum Symbol fest-
zustellen ist. Zweitens fasziniert der Struktur-
charakter der Materialien, und textile Kunst wird
so zur Strukturkunst. Drittens löst sich textile
Kunst aus der Zweidimensionalität und wird zum
textilen Objekt. Diese drei Schwerpunkte bestim-
men auch die Ausstellung textiler Kunst aus
Österreich.
T. Material
Textiles Material, Umgang mit diesem Material
und Materialvorgänge sprechen unmittelbar an!
Es ist das ja Material, dem wir auch in unserem
Alltag immer wieder begegnen. Es ist Material,
mit dem schon das Kind hantiert, und dann auch
Material, das uns als Stoff und Kleid, Gewebe
und Teppich durchs ganze Leben begleitet. Tex-
tile Materialien sind besonders strapazierfähig,
„griffig", elementar. Von haptischen und opti-
schen Eindrücken her werden unsere Sinne an-
gesprochen. Das Material strahlt Sinnlichkeit aus
und regt zu Manipulationen an. Schon Kinder
können leicht mit ihm umgehen; das kindliche
Flechten regt haptische, optische und prozeß-
haft-schöpferische Qualitäten an. Vorgänge wie
Knüpfen, Weben, Binden, Knoten, Applizieren
verbinden Handwerkliches mit Abstraktions- und
Kreationsfähigkeiten.
Indem textiles Material in seinem Strukturcharak-
ter erlebt wird, entstehen ornamentale, abstrakte,
gleichsam mathematisch gedachte Gestaltungen.
Und weil texliles Material gedehnt, durchbro-
chen, durchlöchert iund überhöht werden kann,
ist der Übergang in die Dreidimensionalität ge-
geben. So gibt es schließlich das textile Objekt,
das neue Erfahrungen am und mit dem Stoff
übermittelt. Es erhält seine Bedeutung oft durch
die Benutzung. Und es knüpft manchmal auch
an Traditionen des Spielzeugs an, beispiels-
weise an einfachen oder grotesken Puppen. Die
Räumlichkeit des Objekts bezieht dann aber
auch Raum und Umraum aufeinander.
Im Dreischritt „Teppich - Struktur - Objekt"
spricht textile Kunst im Rahmen der heutigen
Kunstszene und hat hier eine neue, noch zuwe-
nig wahrgenommene Chance; nicht zufällig ha-
ben so bedeutsame Positionen wie Jugendstil,
Bauhaus und Werkbünde diese Chance vor-
bereitet.
Allerdings sei schon hier darauf hingewiesen,
daß solche Kunst auch nach Einwänden ruft.
Man meint, es könnten sich hier leicht nostal-
gisch-romantische und weiblich-allzuweibliche
Haltungen ergeben; das Schicksal wahrhaft mo-
derner Kunst liege in künstlichen und nicht in
natürlich-elementaren Stoffen! Diese Einwände
stellen schon das Problem der Bedeutung der
textilen Kunst zur Diskussion, und sie sollen
dann im Zusammenhang der Interpretation noch-
mals aufgenommen werden.
2. Seitenblick auf die Sprache
Es ist nicht zufällig, daß Materialien und Mate-
rialprozesse, die weithin so elementar sind und
zum Alltag des Lebens gehören, auch die Spra-
che beeinfl-ußt haben. Ein Seitenblick auf die
Sprache vermag denn auch die deutende Be-
mühung vorzubereiten. (Eine Kartothek von Edda
Seidl-Reiter hat mir für diesen Abschnitt we-
sentliche Anregungen gegeben.)
Das Elementare und Alltägliche der textilen Ma-
teralien in der Alltagssprache wirken sich zu-
nächst in der Alltagssprache, also umgangs-
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