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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 140)

entscheiden noch ist es für unser Problem wichtig. 
Wichtig allein ist die Tatsache, wie sehr der 
Dichter von anschoulichem Material abhing, und 
in wie vielfältiger Art er es verwendet hat. Nicht 
selten geschah dies mit einem Augenzwinkern 
für den gewitzigten Leser, iener Ironie und Ver- 
steckenspiel, die Thomas Mann liebte. 
So etwa, wenn der Besuch Josephs im Bildhauer- 
atelier des Ptach beschrieben wird und uns prak- 
tisch alle Meisterwerke der pharaonischen Kunst, 
in loco gewissermaßen, vorgeführt werden u. 
So bewundert Joseph: „Königsbilder . . . im Kopf- 
tuch, von dessen über die Schulter fallenden Flü- 
geln ihre Ohren abstanden  es handelt sich 
um die Granitstatue des Sesostris im Museum in 
Kairo; oder; „Könige, denen ein Falke im Nak- 
ken die Flügel spreitete" (Abb. I3), es ist die 
überlebensgroße Dioritstatue des Chefren im 
gleichen Museum, eines der großartigsten Werke 
altügyptischer Kunst. Joseph sieht auch den 
„Schreiber mit unterschlagenen Schenkeln", ge- 
meint ist wohl das Werk im Louvre, und, um 
unsere Liste nicht allzulang zu machen, er bewun- 
dert auch das Doppelpartröt eines Mannes und 
einer Frau: „Sie waren bemalt, wie sie da mit 
geschlossenen Knien nebeneinander saßen . .. in 
den natürlichsten Farben der Haut  Ptachs 
Künstler hatten ihnen Augen gemocht  ein 
schwarzes Steinchen im Glasfluß als Sehlach, 
aber in dieses wieder ein Silberstiftchen, das als 
Lichtblitzlein darin auflebte." Mit unnachahmli- 
Tllalnxs MAXN 
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cher Präzision ist hier das Doppelbildnis des Ra- 
hotep und seiner Frau Nofrit„abgeschrieben"und 
in ihre einstige Daseinssphäre zurückversetzt. 
Neben solchen erkennbaren, also „offenen" 
Zitaten, in denen Thomas Mann entweder 
Einzelpersonen noch bildhaften Vorbildern gestal- 
tete, oder ein Bild, also eine statische Darstel- 
Iung in ein Geschehen in der Zeit gestaltete, 
verwendet Thomas Mann Werke der bildenden 
Kunst in einer subtileren, oft schwer zu entzif- 
fernden Form; hier handelt es sich um „ge- 
heime", ia man könnte sie sogar „hermetische" 
Zitate nennen. 
Eine derartige Montage findet sich z. B. im sie- 
benunclvierzigsten Kapitel des „Doktor Faustus". 
Nach seiner wirren Rede stürzt Leverkühn zu- 
sammen, und die darauffolgende Szene allge- 
meiner Bestürzung schließt mit den Worten: 
„Frau Schweigestill... hob den Kopf des Be- 
wußtlosen, und seinen Oberleib in mütterlichen 
Armen haltend . . 1'" Hier hat ahne ieden Zwei- 
fel - sowohl was das Äußere der Haltung an- 
langt als auch dem inneren Gehalt nach - die so 
leidvolle Pieta des Michelangelo, die Pietä Ron- 
danini Modell gestanden. Die Szene im Roman 
ist eine reine Nachdichtung dieser so ausdrucks- 
vollen Plastik, doch könnten Nichteingeweihte 
ein derartiges „Zitat" leicht überlesen ß. 
Die größte Bedeutung kommt aber jenen Bild- 
montagen zu, die, ohne Rücksicht auf den Sinn- 
geholt des Bildwerkes, lediglich vom Optischen 
ausgehend, in Sprache umgesetzt werden, wo 
ein konkretes, greifbares Werk in das abstrakte 
Medium der Sprache umfunktioniert wird. Hier 
haben wir es mit einem formalösthetischen Phö- 
30 
 
14 Michelangelo, Detail aus dem „Jüngsten Ge- 
richt". Sixtinische Kapelle, Rom 
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I5 Briefstellen aus Thomas Manns Schreiben an Dr. 
Hilde Zaloscer, die sich auf den vorliegenden 
Beitrag beziehen. 
Thomas Mann, ErlenbachlZürich, 24. August 1953 
Sehr geehrte Frau, nehmen Sie verbindlichsten 
Dank für die Übersendung der „Revue du Caire" 
mit Ihrem Aufsatz „Le Docteur Faustus et ses 
Modeles". lch habe die ausgezeichnete Arbeit 
mit aufrichtigem Vergnügen gelesen  
- Über Nietzsche scheint M. Collevill's ent- 
cleckender Scharfblick nicht herausgelangt zu 
sein... Da geht es bei Ihnen anders zu. Sie 
haben mehr gesehen von den verschwiegenen 
und doch so offenkundigen Hintergründen des 
Buches, und wenn Sie es geradezu „une sorte de 
rornan-clef de notre epoque" nennen, so hat 
mich das, weil es witzig ist, amüsiert und, weil es 
wahr ist, ergriffen... Dürer ist selbstverständ- 
lich immer gegenwärtig und auch die Gegenwart 
der „ieune Venitienne" ist richtig erkannt... 
- Ihr Aufsatz, soviel ist sicher, gehört zu den 
besten, einsichtigsten Studien, die über den 
„Doctor Faustus" geschrieben worden sind... 
Ihr sehr ergebener 
Thomas Mann 
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Anmerkungen 43-46 
" Th. Mann, lose h, Bd. I, S. 336 f. 
4' Th. Mann, „D0 IOr Faustus", a. d. 0., S. 763. 
45 Th. Mann, „Doktor Faustus", u. a. O., S. 773. 
4' Weitere Beispiele dieser „hermetischen" Bildzitate siehe 
in: H. Zaloscer, Ägypten in Thomas Manns Jasephsroman, 
Cl. G. 0., S. T23. 
nomen ganz eigenständiger Prägung zu tu 
es bei der Umsetzung der statischen, stur 
Bildwerke in die lebendig-dynamische Wel 
Erzählung, des Wortes, um die Umsetzung 
Formkategorien, geht, von denen iede ihre 
nen unverwechselbaren Werte besitzt. 
Die vollkommenste Umsetzung erfolgt also 
wo der Realitätsgeholt des Bildwerkes vom 
der Sprache zur Gänze aufgesogen, seine 
krete Gültigkeit aufgelöst wird und ein l 
Sprachwerk entsteht. Eines der schönster 
zugleich instruktivsten Beispiele dieses Kun 
tels, das, soweit ich es beurteilen kann 
Thomas Mann verwendet hat, ist das folg 
ebenfalls dem „Doktor Faustus" entnor 
Das Werk schließt mit den Worten des 
nisten, der in einer apokalyptischen Visio 
Schicksal seines zerstörten Vaterlandes, De 
land, heraufbeschwört: „Heute stürzt es, 
einem Auge die Hand und mit der GFIdEft 
Grauen starrend, hinab von Verzweiflur 
Verzweiflung"? Diese ebenso pathetisch 
auch anschauliche Metapher ist aber nichts 
res als die genaue Beschreibung einer derl- 
figuren aus Michelangelos „Jüngstem Gr 
in der Cappella Sixtina (Abb. I4)! Jeden 
das Werk kennt, wird beim Lesen dieses l 
das Vorbild mit aller Deutlichkeit gegenv 
So wird ein durch sein Pathos dazu geeig 
Bildwerk, als Metapher zu reiner Dichtkui 
die Sprache integriert. Weitere Beispiele fi 
 
se Art der „Montage" ließen sich anführer 
auch hier soll das Einmalige und Prinz 
aufgezeigt werden, die besondere Art, n 
Thomas Mann Werke der bildenden Kun 
wendet hat". 
Mag denn Thomas Manns Liebe in erster 
der Musik gegolten haben, deren Wurze 
auch Gefahren er immer wieder untersuc 
für die Gestaltung seiner Romanfiguren, 
ausgeprägten Naturalismus, der ihnen den 
pel der Authentizität a-ufdrückt, war d 
dende Kunst von ausschlaggebender Bede 
Gewiß, seine Beobachtungsgabe war k 
war weniger emotionell gefärbt als sein 
gung zur Musik. Doch die Werke der bilc 
Kunst boten nicht nur die notwendiger 
schauungsstützen", sie bereicherten au: 
Sprache und ein eigentümlich schillerndl 
ment, ein Paradoxon zwischen Anschaul 
und Abstraktheit. 
Erst naali Fertigstellung dieses Essays konnte irl-i 
Untersuchungr „Bild Und Text bei Thomas Mann, l 
kumentation", Francke-Verlag Bern, Kenntnis nehme 
diese werden zahlreiche Arbeiten zu der Frage derl 
im (znyrs von Thomas Mann hinfällig, da nunrr 
im Archiv vorhandene Material ledem zugänglich t 
iedes Raten und Erraten sich erübrigt. Daher sclleir 
wichtig, darauf hinzuweisen, daß meine ersten in dil 
ning weisenden Arbeiten „Le Docteur Faustus et sc 
les" in Kairo im Jahre 1953 und „Ägypten in 
Manns Jasephromon: zum Problem des ßildzitat 
Jahre 1974 in Toronto erschienen, also ohne zirliil 
des eingangs erwähnten publizierten Materials. 
l l Unser Autor: 
Prof. Dr. Hilde Zaloscer 
Kunsthistorikerin 
Franz-Koci-Straße 6lStiege15,'IlO0 Wien
	        
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